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Interview zur Schulraumqualität an Berliner Schulen - md-mag

Mut zur Schulraumqualität
Christine Edmaier

Christine Edmaier, Architektin und Präsidentin der Architektenkammer Berlin, plädiert für offene Ausschreibungen und für individuelle Schulgebäude. Diese Ideen bringt sie in die Berliner Initiative Schulraumqualität ein.

Interview: Gabriele Benitz

Berlin wird durch die Initiative Schulraumqualität mit einem Lern- und Teamhäuserkonzept als Vorreiter im Schulbau gepriesen. Worin drückt sich das aus?

Im guten Sinn, weil nun Konzepte und Pläne bestehen und die Facharbeitsgruppe „Schulraumqualität“ der Berliner Schulraumplanung einen Schub versetzt hat. Aber Berlin muss erst noch beweisen, dass es das hinbekommt. Die Konzepte sind keine Berliner Erfindung, es gibt gute Modelle in anderen Bundesländern.

Aus welchen Eckpunkten besteht das Konzept?

Das wichtigste Element des Konzepts, mit dem große Schulen in überschaubare Einheiten aufgeteilt werden, ist das gemeinsame Forum, um das herum sich die Klassen- und Teilungsräume anordnen. In Berlin nennen wir das Konzept „Compartment-Schule“, abgeleitet vom englischen Wort für Abteil. Zwei Compartments mit einer Teamzone für das pädagogische Personal dazwischen bilden jeweils ein Cluster. Das heißt, jeweils sechs Klassen in der Grundschule verstehen sich als kleine Schule in der Schule. Diese Cluster bestehen aus Lern-, Unterrichts- und Ruheräumen und dem flexibel nutzbaren Forum und verfügen über eigene Garderoben, Toiletten und einen Teamraum. Zudem existieren für die gesamte Schule Fachräume, Bibliothek und Mediathek, Aula und Mensa. Das Konzept passt dazu, dass es in Berlin nur Ganztagsschulen gibt. Die Schüler sollen dort in ihren überschaubaren Gruppen den ganzen Tag verbringen und sich heimisch fühlen.

Die Schulbauten sollen neuen pädagogischen Konzepten dienen, was mit der Metapher „Raum als dritter Lehrer“ umschrieben wird. Was ist damit gemeint?

Die Vorteile gegenüber der in Berlin weit verbreiteten Flurschule, wo die Klassenräume von langen Fluren abgehen, liegen auf der Hand. Wir gehen davon aus, dass die Räumlichkeiten Impulse bei Schülern und Lehrern freisetzen, allein schon durch das Zentrum, in dem man sich trifft. Der Unterricht findet in verschiedenen Räumen und Zonen statt. Die Klassen können Partnerschaften mit anderen Klassen bilden. Hohe Standards wie gute Akustik, Luft und Licht, Farbkonzepte und natürliche, gesunde Materialien wirken zusätzlich. Ich behaupte, dass gute Architektur im umfassenden Sinn eine pädagogische Wirkung hat.

Wie beeinflusst die Städtebausituation die Architektur und damit die Schulraumqualität?

Die Schemazeichnungen zeigen symbolisch, wie sich die Klassenräume um ein rundes Forum anordnen. Da liegt ein runder Grundriss nahe. In der Praxis dürfte das ein Problem darstellen, denn es existieren nicht überall große Grundstücke, die raumgreifende Grundrisse erlauben. Deshalb plädiere ich dafür, dass jede Schule individuell an das vorhandene Grundstück angepasst wird. Angesichts des auch in Berlin knappen Baugrunds müssen wir uns überlegen, wie viele Klassen respektive Compartments übereinander gestapelt werden können. Zweigeschossige Schulbauten wird es künftig wohl kaum noch geben. Außerdem existieren in Berlin viele denkmalgeschützte Backsteinbauten aus der Gründerzeit. Ein Problem bei der Sanierung und Modernisierung liegt oft im Brandschutz, dennoch lassen sich auch hier gute Lösungen finden.

Es wurden Musterraumprogramme entwickelt. Von wem?

Das Raumprogramm hat besagte Arbeitsgruppe entwickelt, in der ich die Architektenkammer vertreten habe. Wir arbeiteten gut zusammen und erzielten schnell Ergebnisse. Die Vorarbeit aus anderen Bundesländern kam uns zugute. Auch wenn die Bauverwaltung die Ergebnisse etwas zurecht gestutzt hat, lässt sich das Resultat immer noch sehen. So entstand beispielsweise für Grundschulen ein Flächengewinn bei der pädagogischen Fläche pro Schüler von 5,8 auf 7,4 m².

In welcher Form fließt das Musterbauprogramm in die Planungswettbewerbe ein?

Es ist eine verbindliche Vorgabe für einen derzeit ausgelobten Wettbewerb. Leider favorisiert der Senat vor allem die Version modularer Schulgebäude, die an mehreren Grundstücken durch Generalunternehmen realisiert werden sollen. Er begründet das mit Personalmangel in den Bauabteilungen. Das können wir entkräften, denn wir Architekten übernehmen die Planung, die Ausschreibungen und die Bauleitung, wenn man uns lässt. Es entsteht also nicht unbedingt mehr Arbeit für die Ämter.

Sie weisen auf die Gefahr hin, dass Kosteneinsparungen bei der Schulraumqualität im Vordergrund stehen und stellen sich gegen Generalplaner. Mit welchen Argumenten?

Die Architektenkammer Berlin vertritt 8 500 Mitglieder. Wir haben hier eine Struktur mit vielen kleinen Architekturbüros. Wenn man die Wettbewerbsteilnahme nur Büros erlaubt, die als Generalplaner auch die Fachplanung mitliefern, fühlen sich viele unserer Mitglieder von dem Verfahren ausgeschlossen, zumal die Haftungsrisiken groß sind. Deshalb wäre es schade, ein so ehrgeiziges Schulbauprogramm zu erstellen und gleichzeitig den innovativen kleineren, und jüngeren Büros keine Chance einzuräumen.

Welche Qualitätsstandards sollten beim Planungs-und Ausführungsprozess eingehalten werden?

Die Facharbeitsgruppe bewertet solche Standards positiv, aber bei ihrer Festlegung haben wir noch keine großen Fortschritte erzielt. Die Formulierungen bleiben zu allgemein. Deshalb hat die Schulverwaltung eine Task Force gebildet, die Standards festlegt. So reichen etwa die gängigen Akustikstandards nicht aus. Das gleiche gilt für die Lüftung. In Berlin wurden seit Jahren keine Schulen mehr gebaut, weil man sich nicht auf einen Lüftungsstandard einigen konnte. Und ein Passivhausstandard wie im Wohnungsbau ergibt für Schulen keinen Sinn. Die Architektenkammer macht eine Fortbildungsreihe zum Schulbau, bei der diese Punkte im Fokus der Diskussion stehen.

Ihnen geht es um zufriedene Lernende und Lehrende und nachhaltige Gebäude. Wie kann das funktionieren?

Natürlich kommt es ganz wesentlich auf die Materialien, Farben und die Möblierung an. Architekten kämpfen dafür, dass sie individuelle, an die Architektur angepasste Möbel selbst entwerfen. Ähnliches gilt für den Einsatz schöner Materialien, die keinesfalls teurer sind als herkömmliche. Es gibt auch gute Beispiele für modulare Schulen. Da muss man aber noch mehr Wert auf eine gute Innenausstattung legen. Das Berliner Büro die Baupiloten arbeitet derzeit an der Innenausstattung einer solchen Schule.

Der Senat will von 2017 bis 2026 etwa 5,5 Milliarden Euro für 60 neue Schulen und die Sanierung von Bestandsbauten investieren. Reicht die Investitionssumme aus?

Die vorgestellten Zahlen haben für mich eher symbolischen Wert. Erst in den kommenden Jahren zeigt sich, ob die geplante Summe ausreicht. Es gibt in Berlin bereits einen Sonderfond, der für den Schulbau eingesetzt werden kann. Davon wurde bislang nur ein Bruchteil abgerufen. Meistens dauert der Mittelabfluss länger als geplant.

Besteht die Gefahr, dass Fehler der Schulbauprogramme der 1970er-Jahre und 1980er-Jahre wiederholt werden?

Es entstehen wieder die gleichen Mechanismen. Wenn Baugesellschaften schlüsselfertige Produkte anbieten, wollen sie in erster Linie Geld verdienen. So können sich Fehler wiederholen, wenngleich solche Betonmonster sicher nicht mehr gebaut werden.

Wie kann man dem im Sinne der Schulraumqualität entgegensteuern?

Auch der Berliner Finanzsenator sieht den Bedarf für ein langfristiges Programm, das die Wirtschaft vor Ort durch kleinteilige Aufträge stärkt. Man müsste die geplanten Modulschulen an Pilotprojekten testen, bevor man große Stückzahlen baut. Doch dafür ist angeblich keine Zeit und so will man das Risiko eingehen. Bewährte Methoden ziehen, wenn es schnell gehen soll. Verzögerungen entstehen meist weniger beim Planen und Bauen als bei den komplexen Genehmigungsmechanismen und im überbürokratisierten Finanzierungs- und Förderungsdschungel



Christine Edmaier
ist freischaffende Architektin und betreibt seit 1992 ein eigenes Büro für Architektur und Städtebau, seit 2015 als Arge mit S.E.K. Architektinnen. Von 2003 bis 2008 war sie Vorsitzende des BDA Berlin. Seit 2013 ist sie Präsidentin der Architektenkammer Berlin.

Portrait: privat
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