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Kunstgewerbemuseum Berlin: Direktorin Thümmler möchte es ins 21. Jahrhundert holen. md

Kunstgewerbemuseum Berlin
Sabine Thümmler

Außen pfui − und innen hui? Das Berliner Kunstgewerbemuseum zählt mit seiner ungeliebten Betonhülle zu den eher schwierigen Museen. Direktorin Sabine Thümmler möchte das Haus und seine grandiose Sammlung ins 21. Jahrhundert holen.

Autor Oliver Herwig

So blickt eine Optimistin in die Welt. Von Sabine Thümmlers Besprechungsraum aus schaut man auf das benachbarte Kulturforum mit seinen in die Jahre gekommenen Highlights von Scharoun, Mies van der Rohe und Hilmer + Sattler.

Hier, mitten in Berlin, sollte nach der Wende der kulturelle Neubeginn stattfinden. Doch was ist daraus geworden?

Seit sieben Jahren leitet die studierte Kunsthistorikerin das von Rolf Gutbrod 1966 entworfene Kunstgewerbemuseum, einen 7 000 m² großen Supertanker, der Kunsthandwerk vom Mittelalter bis zur Gegenwart in sich aufnimmt.

Trotz seiner überragenden Sammlung war das Haus von Anfang an umstritten und wurde als „Betonbunker” im Zeichen des Brutalismus geschmäht. Vor drei Jahren gab es ein bescheidenes Facelift: Einige Ausstellungsräume und die Infografik des Hauses wurden erneuert. Die Direktorin, schlank und groß gewachsen, kennt die Kritik und dennoch spürt man, dass sie ihr Haus liebt, die raumgreifende Treppenanlage im Zentrum und all den Sichtbeton.

Vielleicht erträgt sie daher auch manche Schwächen wie die niedrigen Decken oder die in die Jahre gekommenen Vitrinen.

Auf jeden Fall schwärmt sie von den Sammlungen. Und die haben es in sich. Trotz aller Verluste im Zweiten Weltkrieg zeigt das Haus, das seit 1879 offiziell als Kunstgewerbemuseum firmiert, vorzügliche Glas-, Email- und Porzellangefäße, Möbel, Tapisserien sowie vorzügliche Gold- und Silberschmiedearbeiten, beispielsweise das berühmte Lüneburger Ratssilber.

Darunter rund 7 000 Exponate der Brandenburg-Preußischen Kunstkammer. Durchschnittlich bleibt dagegen das, was die Moderne angeht – aber genau hierin liegt auch eine Chance. Wer will schon die immer gleichen Möbel und Exponate von Bauhaus bis Memphis sehen? Viel spannender ist doch die Chance, Einmaliges zu sehen. Und dazu eine besondere Präsentation. Wie steht es damit im Kunstgewerbemuseum?

Wer durch die Abteilungen streift, begreift, dass Thümmler die 2014 neu inszenierten Sektionen nicht mehr als historische Simulationen begreift, als rekonstruierbare Ensembles, sondern als Serie von Einzelstücken ausstellt. Mit diesen Brüchen muss man leben. Schließlich möchte die ehemalige Kostümbildnerin am Schauspiel Bonn und Leiterin des Deutschen Tapetenmuseums in Kassel Perspektiven öffnen für ein zeitgemäßes Museum angewandter Kunst. „Naja“, sagt Thümmler, der Begriff Decorative Arts sei eigentlich besser und treffe den Sachverhalt genauer. Denn „der Ursprungsgedanke“, sagt sie, war ja „ein ‚Museum ornamentaler Kunst‘ neben Materialien in der Gründungsepoche.“

Das ist Thümmlers Thema, schließlich promovierte sie über ein ornamentgeschichtliches Thema und sagt Sätze wie: „Das Ornament ist immer noch die freieste Kunstäußerung.“

Weltbeste Sammlung

Damit markiert sie zugleich die Bruchlinie des Maschinenzeitalters, in dem etwa Adolf Loos in bewusst fortschrittlicher Kleinschreibung propagierte, „evolution der kultur“ sei „gleichbedeutend mit dem entfernen des ornaments aus dem gebrauchsgegenstande“ und mit seiner American Bar und dem sogenannten Looshaus zeigte, wie sich Ornament im Bau fortschreibt: als Eigenschaft des Materials selbst. Wie also steht es mit der typisch modernen Abgrenzung zwischen Design, Kunsthandwerk und künstlerischen Spielarten?

Thümmler denkt hier synthetisch und spricht vom Reiz des Designs als „Gestaltung zwischen Alltag, Repräsentation und Selbstdarstellung.“ Doch dazu später.

Als ihr wichtigstes Projekt sieht die Direktorin neben Aktionen und Ausstellung zum 150. Jubiläum die Neuaufstellung des Mittelalters.

„Wir haben eine der weltbesten Sammlungen, die wir entsprechend darstellen müssen.“ Hier ist tatsächlich Handlungsbedarf. Die sagenhafte Kollektion ist ohne Dramaturgie.

Das befördert den umherstreifenden Geist, kann aber auch dazu führen, dass sich Besucher verlieren. Jahrhundert für Jahrhundert arbeiten sich die Gäste durch die Zeit. Sie graben sich durch die historischen Schichten vor zur Moderne im Untergeschoss.

Thümmler nennt das ein „Ankommen im 21. Jahrhundert durch entsprechende Ausstellungen.“ Und dort wartet ein Kniff. Statt den üblichen Verdächtigen empfängt ein vergoldeter Prunksessel von Karl Friedrich Schinkel von 1827/28 – eine fast schon postmoderne Wendung – zumal sich die Modernität des Objekts aus Eisenkunstguss erst bei näherer Betrachtung erschließt.

Der Sessel mit Ölvergoldung und Seidendamast ist in Einzelteile zerlegbar und so trotz überbordendem Ornament ein Serienmöbel. Nach dem gelungenen Auftakt geht die restliche Sammlung Moderne freilich über das Bekannte und Beliebte kaum hinaus.

Etwas über ein Dutzend Mitarbeiter arbeiten im Haus, darunter Wissenschaftler und Restauratoren, dazu Depotarbeiter und Hausmeister im Zweigmuseum Köpenick. Weiteres Personal kommt über die SMB (Staatlichen Museen zu Berlin).

Vieles wird zentral entschieden, darunter auch die Werbemittel für Ausstellungen. Was kann die Direktorin tun? „Optimismus“, sagt Thümmler, sei die die wichtigste Charaktereigenschaft einer modernen Ausstellungsmacherin.

Rund 50 000 Besucher zählt das Haus seit seiner Wiedereröffnung im Jahr 2014. Sabine Thümmler hat zudem einen Publikumsmagneten ausgebaut: Mode.

Dank der Modegalerie und den 2003 angekauften, zusammen rund knapp 1600 Objekte umfassenden Modesammlungen des Kostümbildners Martin Kamer sowie des Textilhändlers Wolfgang Ruf hat sich auch das Publikum in den letzten Jahren verjüngt. Die neue Abteilung mit ihren rund 130 ausgestellten Kostümen und Accessoires empfängt durch einen langen Korridor in Schwarz. Die Augen sollen sich an das gedämpfte Licht gewöhnen. Thümmler entschied sich gegen jede Inszenierung und zeigt die historischen Gewänder als Kunstwerke – unterkühlt in Temperatur und Atmosphäre.

So flanieren die Besucher im Halbdunkel durch Jahrhunderte wie durch einen Trailer des Films „Dark City“. Das erfordert einen interessierten Blick, und es ist gut vorstellbar, dass sich Besucher durch die eine oder andere Treppe in eine andere Abteilung verlieren. Architekt Gutbrod hatte ein Haus erdacht für Besucher, die sich die einzelnen Epochen und Sammlungen treppauf, treppab selbst aneignen, Neues entdecken und unverhoffte Korrespondenzen herstellen. Aber er kam nicht dazu, alle Pläne zu verwirklichen. Im Gegenteil, der Auftrag wurde ihm entzogen, und es sollte 18 Jahre dauern, bis das Museum 1985 schließlich eröffnet wurde – als ein aus der Zeit gefallener Bau. Noch immer ist der Weg zum Kunstgewerbemuseum gewöhnungsbedürftig. Besucher stapfen über eine abschüssige Steinplatte namens Piazzetta, eigentlich ein Betondeckel über dem darunterliegenden Parkdeck, und plötzlich stehen sie vor einer tief gezogenen Metallfassade inmitten von viel Klinker. Wie eine Guillotine hängt diese Front über einer runden Glastür, wie sie Universitäten der Sechzigerjahre hatten.

Zum Glück steht darüber in roten Versalien: „KUNSTGEWERBEMUSEUM“. Ein Lichtblick.

Markantes Leitsystem

Das Leitsystem der Agentur Double Standards erhielt letztes Jahr den German Design Award für Excellent Communications Design und bereitet die Besucher vor auf die Ergänzungen und Veränderungen, die das Berliner Architekturbüro Kuehn Malvezzi 2012 bis 2014 vornahm.

Gutbrod hatte die Sammlungsräume ursprünglich mit einem Zwischengeschoss versehen – für die Didaktik. Kuehn Malvezzi destillierten daraus Ausstellungsräume für die Mode. Klarer akzentuiert wurden zudem Design und Jugendstil, nicht hingegen die Abteilungen zum historischen Kunsthandwerk. „Ein typisch Berliner Stilbruch“, meinte das Kulturradio des RBB dazu, „denn für eine Gesamtrenovierung der Sammlung reichte einfach das Geld nicht.“

Es bleibt einiges zu tun. Wenn etwa die Direktorin daran denkt, neue Interaktionsformen einzuführen, bei denen der Besucher aktiv werden kann, etwa „mit einem Spiel per Smartphone durch die Sammlung“, muss man wissen, dass der massive Bau kaum Handy-Empfang zulässt und auch nicht flächendeckend mit WLAN ausgestattet ist. Sehr optimistisch klingt daher ihre Antwort auf die Traumausstellung, frei von Beschränkungen durch Geld, Zeit, Raum oder Personal: „Eher Zeitreisen mit Geräusch, Duft und Licht, um ein Gespür für die jeweilige Epoche zu bekommen.“

Letztlich Installationen mit wissenschaftlicher Aufarbeitung. Thümmler will Besucher durch das Ephemere bezaubern: Klang und Geruch. Wer eine Epoche wiederaufleben lassen wolle, müsse eben auch ihre Geräusche einfangen können und ihren Duft. Das ist ein schöner Ausblick auf kommende Inszenierungen. Schließlich ist das Thümmlers Mission: „Mit dem Blick zurück nach vorn das Kunstgewerbemuseum ins 21. Jahrhundert zu holen mit seiner interdisziplinären Gründungsidee von Wirtschaft, Technik und Kunst.“

Zunächst aber geht der Blick übers Kulturforum. Irgendwo dort hinten könnte bald jene im Volksmund „Scheune“ genannte Ausstellungshalle mit Satteldach der Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron entstehen. Erstaunlich: Mitten in Berlin haben sich im Laufe der letzten 50 Jahre Solitärbauten angesammelt wie Muscheln am Strand. Mies’ seit 2015 geschlossene Neue Nationalgalerie, die unterschätzte Gemäldegalerie oder Hans Scharouns Philharmonie, Sie erinnert tatsächlich an ein kostbares Stück aus den Tiefen der Geschichte. Das Kunstgewerbemuseum Berlin hat diesen Nimbus nicht.

Es wird dennoch Zeit, es in seiner Sprödigkeit neu zu entdecken. Denn es lohnt sich. Nicht nur für Optimisten.

Kunstgewerbemuseum Berlin

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