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Julia Bulk. Die Leiterin des Wilhelm Wagenfeld Hauses Bremen im Portrait. md-mag

Wilhelm Wagenfeld Hauses, Bremen
Julia Bulk

Design liegt im Trend. Doch welche Ansätze gibt es, um die Institution Designmuseum ins digitale Zeitalter zu überführen? Wer sind die neuen Macher? md-Autor Oliver Herwig im Gespräch mit Julia Bulk, Leiterin des Wilhelm Wagenfeld Hauses Bremen.
Julia Bulk empfängt in ihrem Arbeitszimmer im Obergeschoss des ehemaligen Bremer Detentionshauses von 1825, das vor 20 Jahren von einer Polzeistationn in das heutige Ausstellungs- und Bürogebäude umgebaut wurde. Ein großer Schreibtisch steht am Fenster zum Hof, ein ehrfurchtgebietendes Regal voller Aktenordner und Bücher füllt eine Wand, gegenüber ein Besprechungstisch. Seit 2014 führt die promovierte Kunsthistorikerin die Wilhelm Wagenfeld Stiftung, in der Doppelrolle aus Wissenschaftlicher Leiterin und Geschäftsführerin. Daher sagt sie ganz ruhig: „Ausstellungsmacherin ist vielleicht nicht der beste Begriff, um meinen Beruf zu beschreiben“, und fügt hinzu: „Wir bewahren ja den gesamten Nachlass von Wilhelm Wagenfeld, und in diesem Zusammenhang sehe ich mich auch als Archivarin. Dazu kümmere ich mich als Geschäftsführerin um unser Budget.“ Darauf wird Julia Bulk noch zu sprechen kommen. Doch zuerst führt sie durch die Ausstellung ‚Stapeln‘.
Allein die lange Liste der Leihgeber lässt ahnen, wie lange das Wilhelm Wagenfeld Haus an dieser Ausstellung plante: Sie versammelt Objekte von Alvar Aalto bis Walter Zeischegg, von Ronan & Erwan Bouroullec bis Wilhelm Wagenfeld in einer Schau, die sich eines Strukturprinzips der Moderne annimmt – des Stapelns. Und da steht es auch schon, das berühmte Kubusgeschirr aus Pressglas von Wilhelm Wagenfeld, das einen Nukleus der Ausstellung bildet. 1938/39 entworfen, lassen sich in der logischen Teilung der Schalen und Formen auch die rationalen Gedanken der Moderne ablesen, die gerne systematisierte und standardisierte, als müsste die Welt der Dinge endlich mal einer vernünftigen Ordnung unterworfen werden. Das ging mal spiele-rischer vonstatten, mal konsequenter, mal augenzwinkernd, dann wieder bierernst.
Stühle als Stapelware
Wenn Kuno Nüssli etwa den Standard-Container des weltweiten Warenverkehrs einschrumpft und zum stapelbaren Kabinettsschränkchen im Wohnzimmer macht, geschieht das mit einer ordentlichen Portion Humor, ganz im Gegensatz etwa zu manchen Stuhl-Entwürfen, die sich so sehr als hocheffiziente Stapelstühle gerieren, dass man nicht anders kann, als an militärische Ordnung zu denken.
Überhaupt Stühle und Hocker. Sie sind prädestiniert als Stapelware.Dabei zeigen sie eine besondere Ästhetik: Was als Einzelstück kraftlos auftritt, gewinnt in der seriellen Reihung. Ein Hocker von Philippe Starck wirkt aufgetürmt wie eine Säule von Brancusi. Es stimmt ja: Wir reihen und türmen, was das Zeug hält, das ist praktisch, effizient – und so manchmal richtig absurd. Das sieht auch Julia Bulk so, die dann explizit fragt: „Muss sich der Mensch an effiziente Systeme anpassen oder sollte es nicht umgekehrt sein?“ Daher endet ihre Überblicksausstellung mit einer schönen Brechung und Künstlern, „die das Stapelprinzip zwar nutzen, aber zugleich mit dem ordnenden Zugriff der Moderne brechen.“ Hanna Krüger beispielsweise türmt einen zerbrechlichen Stapel aus Porzellangeschirr, dem man gar nicht zu nahe kommen möchte. So bleibt die Ausstellung bei aller Systematik frisch und gewitzt. Die 1975 in Münster geborene Julia Bulk hat eine besondere Gabe: Sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Selbst mitten im Ausstellungsaufbau beantwortet sie freundlich Reporter-fragen und leitet zugleich ihr Team. Wer das überprüfen will, sollte sich einen Youtube-Clip von Radio Bremen ansehen zur letzten großen Schau ‚Die Entdeckung der Dinge‘. Die Ruhe gründet sich in einer fundierten Ausbildung. 2014 brachte die Westfälin alles mit, was heute für die Führung eines modernen Ausstellungshauses notwendig ist.
Julia Bulk war drei Jahre Assistentin der Direktorin der Kölner Galerie Linn Lühn, anschließend Assistentin der Direktorin am Kunstmuseum Stuttgart, promovierte zwischenzeitlich über ‚Neue Orte der Utopie. Zur Produktion von Möglichkeitsräumen bei zeitgenössischen Künstlergruppen‘ und war anschließend Kuratorin am Kunstmuseum Stuttgart. Bulk kennt also alle Kniffe, vom Kleinen, also der Galerie, in der sie auch schon mal die Wände weißelte, bis hin zur Organisation von Ausstellungsmaschinen. Bremen liegt da in der Mitte. Das Team ist überschaubar. Es besteht aus einer Leiterin bzw. Geschäftsführerin, einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin, einer Archivarin/Kunstvermittlerin und einer Verwaltungsangestellten. Zudem arbeiten noch drei Aufsichten und ein Haustechniker im Wilhelm Wagenfeld Haus. Ein Schnellboot also, das pro Jahr zwischen 15 000 und 20 000 Besucher zählt. Finanziert wird das Haus durch den Senator für Kultur der Freien Hansestadt Bremen. „Um Ausstellungen realisieren zu können, sind wir zusätzlich auf Drittmittel angewiesen“, sagt Bulk. Medien und Vermittlung sind genau auf die jeweiligen Themen abgestimmt. Von der Audiovermittlung, die mit Objekten in der Vitrine verbunden ist, über einen Mediaguide bis zu klassischen Führungen. „Manchmal ist das gute alte Großfoto oder ein Bildschirm an der Ausstellungswand die beste Lösung“.
Die Westfälin ist so systematisch wie pragmatisch und „gerne handwerklich tätig“. Das sei der perfekte Ausgleich für lange Stunden am Computer, gebeugt über Zahlenkolonnen. Nur eines vermisst die Wissenschaftlerin: Sie komme kaum zur Aufarbeitung des gewaltigen Nachlasses von Wilhelm Wagenfeld. 53 Ordner Fotos, dazu kommen Konvolute an Korrespondenz, teilweise noch originalverpackt, ebenso wie die Stücke der Stiftung übergeben wurden. Sie ist sich im Klaren, dass sie hauptsächlich über Ausstellungen wahrgenommen wird: Also, was braucht man, um gute Ausstellungen zu organisieren? „Neugierde natürlich. Durchhaltevermögen schadet auch nicht, man sollte die richtige Balance zwischen Durchset-zungsfähigkeit und Kompromissbereitschaft finden“, sagt Bulk und setzt nach: „Gute Kontakte zu Kollegen und Sammlern sind natürlich hilfreich. Ebenso wie ein ausgewogener Blick für das Wünschenswerte und vor allem das Machbare.“ Social Media sind wichtig. Mit jedem Post erreicht sie so zwischen 400 und 800 Interessierte. Alle zwei Wochen geht eine Meldung an die Zielgruppe raus.
Mit Objektkompetenz
Vielleicht ist das ihr Erfolgsrezept: klare Ansagen, freundlich verpackt. Die Leiterin geht immer voran. Denn sie hat eine klare Vorstellung von ihren Zielen: „Wir möchten für Alltagsobjekte sensibilisieren“. Denn ein Leben ohne gestaltete Alltagsobjekte gebe es nicht. Dafür liefert Julia Bulk ein anschauliches Beispiel: Schon auf dem morgendlichen Weg vom Schlafzimmer ins Badezimmer komme man mit gestalteten Objekten in Berührung – mit dem Türdrücker, dem Toilettensitz, der Shampoo-Flasche. All diese Dinge würden aus bestimmten Materialien und unter besonderen Produktionsbedingungen hergestellt, griffen vielleicht historische Formen auf oder bedienten Sehnsüchte. „Manche benutzen sie gern, weil sie gut in der Hand liegen, andere sind wichtig, weil sie mit ihnen eine persönliche Geschichte verbinden. Jedes Alltagsobjekt sagt etwas über die Zeit aus, in der es entstanden ist. Wer über all diese Fragen noch nie nachgedacht hat, schließt einen wesentlichen Teil des Lebens aus.“ Jetzt ist Bulk ganz in ihrem Element. In vielen Schulen werde über das Internet oder Fernsehwerbung gesprochen, um die Medienkompetenz der Jugendlichen zu stärken. „Parallel dazu könnte man sagen, dass wir an einer Objektkompetenz arbeiten. Da ist noch viel zu tun.“
Wie aber kann das aussehen, diese Kompetenz, die offenbar nicht mehr selbstverständlich ist? Und wie wird sich das Ausstellen von Design in den nächsten Jahren verändern? Geht es nun um die digitale Aufrüstung von Häusern, die ja gerade durch ihre Objekthaftigkeit punkten, geht es um 3D-Brillen, neue Medien und digitale Interaktion? „Gerade bei ständigen Sammlungspräsentationen wird es wohl immer mehr elektronische Angebote geben, die sich an spezielle Publikumskreise richten und einen individualisierten Zugang gewähren“, sagt Bulk. Und schränkt ein: „Kleinere Ausstellungshäuser werden von Fall zu Fall entscheiden, was inhaltlich sinnvoll ist und was sich finanziell und organisatorisch verwirklichen lässt.“ Schlagartig ist man wieder an die Möglichkeiten und Begrenzungen des Wilhelm Wagenfeld Hauses erinnert, das seit 1998 gemeinsam von den Ressorts Kultur und Wirtschaft getragen wurde. Als die Wirtschaftsförderung Bremen 2015 auszog, bot das Risiken und Möglichkeiten. Bulk sieht das vor allem “als große Chance, uns thematisch breiter aufzustellen und zugleich das Profil des Hauses zu schärfen.” Das geschah im letzten Jahr beispielsweise durch die Ausstellung ‚Die Entdeckung der Dinge. Fotografie und Design‘, die einen Teil der 2 000 Fotos aus der Werkstatt des einflussreichen Gestalters präsentierte, die noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt wurden. Typisch Bulk: Eine reine Fotoausstellung war nicht genug. Sie fragte spielerisch nach dem Verhältnis von Fotografie und Produktdesign. Was also prägt unsere Wahrnehmung, unser Gedächtnis, unsere Wertschätzung? Keine Frage. Bulk hat die Herausforderung angenommen, die Dinge des Alltags neu zu präsentieren und zu hinterfragen. Positiv nennt sie, dass sie „einen sehr großen Gestaltungsspielraum“ habe und viele Projekte umsetzen könne.
Dass das Haus monothematisch organisiert ist, bedeutet keinen Nachteil. Es kommt eben nur darauf an, das Besondere sichtbar zu machen. An der Arbeit von Wilhelm Wagenfeld lässt sich die Genese von Objekten Schritt für Schritt zeigen, von der ersten Skizze bis zum fertigen Produkt. Der in Bremen geborene Bauhaus-Meister war ein akribischer Entwerfer, einer, der auch die kleinen Zwischenschritte dokumentierte. Und er hatte auch ein Gespür für die Schritte nach der Produktion und konzipierte sogar Werbepläne, betont sachlich, denn nichts war dem „künstlerischen Mitgestalter in der Produktion“ so zuwider wie platte Superlative. 1958 schreibt er im Aufsatz ‘Industrielle Formgebung’ die fast unangreifbaren Sätze: „Durch das Brauchen von Dingen verbinden wir uns mit ihnen, ergänzen sie uns in unserem Wohnen und Leben, werden sie Teil von uns selbst.“
Respekt vor den Dingen
Am Abend vor jeder Ausstellung macht Julia Bulk einen Rundgang durch die noch menschenleeren Räume. Sie stellt sich dann vor, erzählt sie, wie die Besucher wohl auf die Exponate und die Ausstellung reagieren werden. Bulk schaltet dann gewissermaßen die Expertin ab und versucht einen anderen Blick, den der Außenstehenden. Und Änderungen in letzter Minute? Wie steht es damit? „Nein, eigentlich nicht“, sagt die Wissenschaftliche Leiterin und Geschäftsführerin der Wilhelm Wagenfeld Stiftung. „Aber ich habe tatsächlich mal Exponate aus der Ausstellung herausgenommen, die bereits im Katalog abgebildet waren.“
Die Objekte hätten einfach nicht in den Raum gepasst, zumindest nicht in der vorgesehenen Konstellation. „Objekte haben manchmal auch einen Willen, davor muss man Respekt haben.“
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