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Museumsdirektor Deyan Sedjic über das Designmuseum London

Design Museum, London
Deyan Sudjic

Das Londoner Designmuseum hat sich grandios entwickelt. Ein neues Ausstellungshaus in Kensington und besucherfreundliche Präsentationen machen die von Deyan Sudjic geleitete Institution zu einer echten Adresse.

Autor Oliver Herwig

Immer passiert es. „The Design Museum? You meen the V&A?“ Der nette Londoner weist die Exhibition Road herunter. Dabei sagt der Kartendienst, dass das von Deyan Sudjic geleitete Londonder Design Museum eigentlich in der entgegengesetzten Richung liegt. Tatsächlich hatte Sir Terence Orby Conran das „Boilerhouse“ ursprünglich im Keller des Victoria and Albert Museums gegründet und war 1989 in ein ehemaliges Bananenlagerhaus nahe der Tower Bridge gezogen.

Seit knapp zwei Jahren sitzt es wieder in Kensington und wird doch regelmäßig mit dem altehrwürdigen V&A verwechselt. Gar nicht so schlecht, eigentlich. Das Flaggschiff des traditionellen Kunstgewerbes ist schließlich noch immer der große Tanker, das „Design Museum“ hingegen immer noch eine schlanke Yacht auf dem Meer der Designvermittlung. Jordan Lewis, Pressesprecher, beschreibt das Verhältnis zum großen Nachbarn so: „Es gibt einen großartigen Dialog zwischen uns. Sie machen die großen Ausstellungen, die Blockbuster, wir konzentrieren uns auf radikalere Shows.“ Eines jedenfalls steht für ihn fest: Seit das Design Museum in Kensington angekommen ist, hat das Haus ein neues Kapitel aufgeschlagen.

Am Anfang steht ein Wow-Effekt. Man betritt den Eingang und der Kopf fällt in den Nacken. Ein gewaltiger, gedeckter Innenhof tut sich auf, den ein Zeltdach aus Beton überspannt. Kaskadenförmig treppen sich Galerien zum Eingang ab. Auf großen Bänken hinauf zum ersten Stock sitzen Besucher, reden und staunen über das Gebäude von 1962, das Architekt John Pawson mit neuem Leben gefüllt hat. Es hat etwas von Uni, von informellen Treffen und unkompliziertem Einlass.

Genau das will das Haus unter Deyan Sudjic vermitteln. Keine Schwellen, keine Barrieren. Hier scheint jeder willkommen, jeder seinen Platz zu finden. Schließlich ist der Eintritt in die Dauerausstellung frei, nur für die Sonderausstellungen im Untergeschoss und der Galerieebene verlangt man eine Eintrittskarte. „Wir wollten das Gebäude zugänglich und einladend machen.

Freier Zugang verändert die Dynamik des Museums“, sagt Deyan Sudjic, Museumsdirektor seit 2006. Genau das ist gelungen. Der ehemalige Sitz des Commonwealth Institute wurde nach langem Umbau und zähen Verhandlungen mit dem Denkmalschutz zu einem entspannten Ort. Vor fast zwei Jahren öffnete das Museum an der Kensington High Street, nur einen Steinwurf entfernt vom Holland Park.

Hoher Anspruch von Deyan Sudjic

„Für mich ist Design ein Weg, die Welt um uns herum zu verstehen“, sagt Sudjic. „Es sorgt dafür, dass Technologie funktioniert, es ist ein Spiegelbild unserer Kultur und ein wirtschaftlicher Motor.“ Und dann kommt der entscheidende Satz, der den Anspruch des Hauses umreißt, „nicht nur die Objekte um uns herum zu erforschen, sondern auch die Ideen, die die Zukunft unseres Lebens beeinflussen werden.“ Es klingt schon anspruchsvoll: Ein Haus, das die Produktkultur der letzten anderthalb Jahrhunderte ausstellt, will Dinge gewissermaßen zum Anlass nehmen, über die Welt an sich nachzudenken. Wie soll das funktionieren?

„Es geht um die Rolle von Design“, ergänzt Pressesprecher Lewis, der das Haus inzwischen verlassen hat. „Wir konzentrieren uns auf den Einfluss von Design auf die Gesellschaft und versuchen hinter die Dinge zu blicken. Beispielsweise das iPhone. Es hat alles verändert.“ Plötzlich wird klar, was der Brite meint. Dieses Museum sieht sich nicht als Archiv der Dinge, sondern als Ort, der Vernetzungen und wechselseitige Bedingtheiten aufzeigen möchte. Das ist ein sehr ambitioniertes Projekt und ein recht aufklärerischer Impuls.

Wie viel leichter ist es doch, ein Objekt auf den Sockel zu heben und gut auszuleuchten, als verständlich und anregend darzustellen, was das System Mobilfunk eigentlich ausmacht. Eben nicht nur Sendemasten und Übertragungstechnologie, sondern die Art, wie wir Termine planen, eine fremde Stadt wahrnehmen und uns in sozialen Netzwerken bewegen.

Das Haus versucht diesen Anspruch einzulösen, indem es Strukturen (her)ausstellt, Verwandtschaften und Entwicklungen. Machen wir die Probe aufs Exempel, anhand der Dauerausstellung „Designer Maker User“, die direkt unter dem Zeltdach angelegt ist. Hier findet sich keine „Sammlung der größten Hits“, sagt Sudjic. „Wir untersuchen, was Objekte und Produkte bedeuten, und zeigen, dass die Geschichte hinter ihrer Herstellung genauso wichtig ist wie ihre endgültige Erscheinung.“

Tatsächlich ist das chronologische Abarbeiten von Zeiten und Stilepochen aufgegeben zugunsten thematischer Blöcke. Diese klingen manchmal recht banal – wie etwa „Design and Business“ –, manchmal wolkig wie „Agents of Change.“ Konkretes Beispiel: Eine große Wand zeigt exemplarisch an Olivetti die Wechselwirkung von Plakatdesign und gesellschaftlichem Wandel in den Sechzigerjahren, psychedelische Farben inklusive.

Hier hätte man durchaus auch die Beatles zeigen können mit ihrem Album „Yellow Submarine“ oder Bilder von Vietnam-Protesten, als kurzer Parallelblick. Das bleibt aus. Bei „Ways of Making“ hingegen ist eine ganze Werkstatt ausgebreitet – und damit all die Hämmer, Feilen, Bohrer und Sägen, mit denen Materialien überhaupt bearbeitet und zu Produkten „geformt“ werden können. Parallel eine Form für die Saftpresse „Juicy Salif“, das Hassobjekt Nummer eins für Anhänger funktionalen (oder sollte man lieber sagen: funktionierenden?) Designs.

Im Laufe des Rundgangs tauchen überzeitliche Problemstellungen auf, wie etwa die Frage nach gutem Design. Dazu steht freilich nicht Gugelots (und Rams) Schneewittchensarg, der „Phonosuper SK 4“, sondern eine AK47. Funktionalität schlägt Ethik. Solche Brechungen geben der Ausstellung Würze.

Chronologie aufgeben

Wer die Chronologie verlässt, wie das Londoner Design Museum, braucht aber nicht nur Thesen, um übergeordnete Themen aufscheinen zu lassen, Entwicklungen, Moden und wiederkehrende Einstellungen. Vor allem braucht es eine passende Ausstellungsarchitektur. Und da finden sich durchaus spannende Elemente. Da wäre zum Beispiel die berühmte Frankfurter Küche.

Statt eines der verbliebenen Exemplare zu erwerben und auszustellen, haben sich die Londoner dafür entschieden, die Kochnische als stählernes Skelett und stilisierte Holzwand nachzubauen, so, als würde man in eine dreidimensionale CAD-Anwendung treten. Das hat einen gewissen Reiz. Warum aber keine beweglichen Teile eingearbeitet wurden, wie etwa die Schütten, bleibt ein Rätsel. Denn der Drang, die Dinge auch mal anzufassen und zu „begreifen“, ist enorm hoch.

Neben diesem fragwürdigen Strukturskelett gefallen klare Übersichtsdarstellungen, da sie formale Aspekte, Augenkitzel und prototypologische Entwicklungen auf einen Blick zusammenbringen. Insofern passt der Titel „Way of Making“ ganz gut. Die Auseinandersetzung mit Design aus der Sicht des Anwenders dominiert den Blick auf die Macher und Designer, wobei gegen Ende die Grenzen natürlich fließend werden.

Ein 3D-Printer zeigt, dass die Rollen fluide geworden sind, was auch die folgende Spiel- und Bastelecke für Kinder verdeutlicht. Natürlich können sie hier darüber nachdenken, was Designer antreibt, aber viel spannender ist es doch, selbst tätig zu werden und etwa ein Abfallsortiersystem für den Haushalt zu entwickeln. Das erhält ein dickes „like“! Natürlich geht es auch um London um Präsentationsformen. Museumsdirektor Sudjic liefert dazu eine Anekdote rund um die Schreibmaschine für Olivetti.

„Wenn Schulkinder sie zum ersten Mal sehen, müssen wir erklären, was es damit auf sich hat. Einer von ihnen kam sofort auf den Punkt: ‚Oh, du meinst einen Laptop, der während des Schreibens druckt.‘“ Genau das trifft es. Dinge ohne Kontext werden entweder Kunstobjekte oder sie bleiben unverständlich.

Zu der angeblich über 1000 Objekte umfassenden Dauerpräsentation unter dem Dach kommen personalisierte Sonder- und Wechselausstellungen. Alles, was Rang und Namen hat, war bereits zu sehen, von Alvar Aalto und Archigram über Luigi Colani und Christian Dior, Richard Buckminster Fuller, Eileen Gray, Konstantin Grcic und Jonathan Ive bis zu Alison und Peter Smithson, Ettore Sottsass und Frank Lloyd Wright.

Im Augenblick ist es Spitzencouturier Azzedine Alaïa, der mit seinen tragbaren Skulpturen (er selbst war ja Bildhauer) den Blick auf selbstbewusste Weiblichkeit geprägt hat. Frau denke nur an Grace Jones‘ Auftritt als Bond-Gegenspielerin in „A View to a Kill“ von 1985.

Über Geld reden

Wie steht es mit der Finanzierung? 80 Mitarbeiter hat das Design Museum, und es erwirtschaftet 98% seiner Mittel selbst. Da gibt es natürlich die „Patrons“ und „Donors“ – in guter englischer Tradition – eben einen Club, einen Freundeskreis rund um das Museum und ein geschicktes Netzwerk aus „collaboration and merchandize“. Dabei ist der Designshop recht überschaubar und das Angebot nicht einmal hochpreisig.

Zwei Prozent des Etats kommen vom Staat, eine Quote, die in Deutschland eigentlich nur ungläubiges Staunen auslösen kann. „Das hält uns frisch“, grinst Deyan Sudjic und verweist auf auskömmliche Kooperationen wie mit Ferrari 2013 und große Erfolgsausstellungen wie etwa mit Paul Smith. Diese stoßen auch außerhalb des Ausstellungshauses in London auf reges Interesse und werden regelmäßig auf Tour geschickt.

„Touring is an asset“, gibt Deyan Sudjic  zu. Die Zahlen geben dem Museum Recht. Bislang hat das Haus mehr als 100 Ausstellungen in 25 Ländern und 96 Orten gezeigt.

Einen anderen „Aktivposten“ bildet die mediale Präsenz des Hauses. Stolz berichtet Lewis, das Designmuseum liege an dritter Stelle bei Twitter, was die Follower-Zahlen im BereichMuseen anginge. Weltweit. Wie machen sie das? Nun, es ginge um qualifizierte Informationen, nicht um irgendwelche Nachrichten. Design ist längst digital. Das ist die Erkenntnis, die man aus London mitnimmt.

Und das Museum ist keine Box, in der Geschichtliches gefriergetrocknet überlebt, es ist ein Laboratorium, in dem neues Denken auf neue Materialien und neue Vermittlungsformen trifft – um über das Morgen zu spekulieren.

Und um Menschen zu verknüpfen. Real vor Ort und weltweit übers Netz. Davon ist im Londoner Designmuseum derzeit noch gar nicht so viel zu sehen. Keine Life-Koppelung mit Singapure und keine VR-Geräte auf dem Kopf. Die Mission hier ist ganz klar. What you see is what you get.

Weitere Macher in Museen finden Sie hier

www.designmuseum.org

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