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Wunderkammer der Zusammenkunft

Theme Park 2016
Wunderkammer der Zusammenkunft

Neben neuen Produkten spielen die Trendinszenierungen der Messen eine besondere Rolle. Dafür ruft die Heimtextil Forscher, Berater und Designer an ihren Trendtable, wo die Inszenierung der Schau vorbereitet wird.

Autor: Thomas Edelmann
Ein Messebesuch ist gleichermaßen Qual und Belohnung. Im endlosen Strom visueller Nachrichten und Einflüsse bieten Messen einen Zwischenhalt. Die Heimtextil in Frankfurt (12. bis 15. Januar 2016) ist eine der ersten Gelegenheiten des Jahres für diese Art der Zusammenkunft.
In unserer teildigitalisierten Welt bietet sich eine der seltener werdenden Gelegenheiten, stoffliche Realitäten in Augenschein zu nehmen, sie zu berühren. Auf Messen sind alle Sinne gefordert. Aussteller und Besucher sind dabei zweifellos die wichtigsten Akteure, dennoch setzen traditionell auch Messegesellschaften mit Sonderschauen maßgebliche Akzente. Wer auf der Heimtextil ausstellt oder sich informiert, hat mit Produkten zu tun, die sich auf künftige Mode, Möbel, auf Innenarchitektur oder Automobilinterieur auswirken. Was hier zu sehen ist, findet sich vielleicht morgen schon in Hotels, privaten Wohnhäusern oder im Design anspruchsvoller Läden.
Doch welche der Neuerungen sind relevant? Welche spielen auf den Märkten eine entscheidende Rolle? Im Spannungsverhältnis von Ökonomie und Kultur, von eben Gesehenem und morgen Geschätztem sind die Trends angesiedelt. Sie markieren eine “allgemeine Richtung, in die sich etwas entwickelt oder sich im Laufe der Zeit verändert”, sagt Ann Marie Commandeur vom Stijlinstituut Amsterdam, die im vergangenen Jahr für Konzeption und Leitung der erstmals unter der Bezeichnung Theme Park durchgeführten Sonderschau zuständig war und dem Trendtable der Heimtextil angehört.
2015 war “Experience” das Motto, ein Thema, das nicht nur immer geht, sondern einen realen Hintergrund hat. Commandeur beschrieb es so: Wohlhabende Konsumenten seien heute weniger daran interessiert, Luxusgüter zu erwerben. Was sie inzwischen weit mehr begeistere, seien Luxuserlebnisse. Und das gelte nicht nur für traditionsreiche Luxus-Regionen, sondern auch für die BRIC-Staaten. Entsprechend wichtiger werde daher die Erfahrung bei Lieferung eines Produkts, die Nutzung und der Kontext. Entsprechend erlebnisorientiert war der Theme Park der Heimtextil 2015.
Der Trendtable versammelt Designer wie Felix Diener aus Düsseldorf und Dan Project aus Japan und Trendexperten aus London, Paris und Amsterdam. Auch die internationale Prognose-Firma WGSN Group (früher unter dem Namen Worth Global Style Network aktiv) gehört dazu. Das Unternehmen veröffentlicht nach eigenen Angaben 350 ausführliche Reports – pro Monat. Eine wahrhaft “Ehrfurcht gebietende Menge an Inspiration”, sei das, loben sich die Berater auf ihrer eigenen Website selbst. Der Ableger WGSN Mindset, der sich im Team des Heimtextil-Trendtables diesmal federführend um den Theme Park auf der Heimtextil 2016 kümmert, ist ein Beratungsunternehmen, das seine Angebote abgestuft in die Leistungspakete ‘Ready Made’, ‘Tailor Made’ oder ‘Custom Made’ anbietet. Die Begrifflichkeiten lassen eine traditionelle Nähe zur Modeindustrie erkennen.
Doch Expertise und Kundenstamm reichen weit darüber hinaus. So beriet Lisa White, die am Trendtable der Messe als Creative Director des Lifestyle & Interiors-Departments von WGSN teilnimmt, Kunden wie Bon Marché, LG oder Rolex. Helen Sac, WGSN-Senior Consultant war ebenfalls beim Trendtable dabei und stellte die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse der Designer und Trendexperten vor, die in den Theme Park 2016 münden. Worte wie “akkurat” finden sich oft auf den Seiten dieser und anderer Prognostiker künftiger Shopping- und Einrichtungswünsche. Denn nichts ist den Beratern und ihren Auftraggebern wichtiger als der Anschein von Seriosität. Da geht es um “Big data”, um vertiefte Einblicke in die Ideenwelt von Konsumenten, die nicht allein “crowd-sourced” sind, sondern von weltweit über 450 Kreativexperten stammen und den Teams der Kunden vermittelt werden, damit diese die Kreativität “erweitern” und bedeutende Entscheidungen “absichern” können. Was man von solcher Art Phänomenologie auch halten mag: Sie scheint ein lohnendes Geschäft. Für die WGSN-Muttergesellschaft Top Right Group wollte die Investmentgesellschaft Blackstone kürzlich eine Milliarde Pfund locker machen.
Doch was haben die Trendforscher zu bieten? Der Theme Park 2016 steht unter dem Motto ‘Well-Being 4.0’. Mit dem Titel ist nicht etwa der bisherige Standort der Sonderschau in Halle 4.0 der Messe gemeint. Wegen des großen Zuspruchs der Aussteller bekommen die Bereiche Deko- und Möbelstoffe künftig mehr Raum. Als neuer Standort wurde Halle 6.0 ausgewählt. ‘Well-Being 4.0’ steht, wie Helen Sac erläutert, für eine gänzlich neue Art von Well-Being, eben die künftige. Und die soll so vergleichbar weitreichende Auswirkungen haben wie die vierte industrielle Revolution, die unter dem Siegel ‘Industry 4.0’ in aller Munde ist, da sie nicht weniger als die Umwälzung aller Verhältnisse in Produktion und Vertrieb durch Digitalisierung bedeutet.
Vier Trends haben die Berater gefunden, ihnen stellen sie ihre Grundaussage voran: “Das menschliche Element” solle stärker ins Design zurückkehren, forderten sie. In einer Welt, in der wir von Technik umgeben sind, solle die menschliche Hand und ein wieder entdecktes Handwerk eine neue Rolle spielen. Ziel sei nicht mehr und nicht weniger als ein “ausbalancierter und harmonischer Lebensstil”.
Auch die neuerdings wieder sehr populäre “Gelassenheit” wird mehrfach beschworen. Die vier Trends werden in einem Video und einer Begleitbroschüre präsentiert, so wie ein DJ seine Musik auswählt und kontrastreich präsentiert: ‘Protect’, in hellen Farben gemalt, huldigt dem Schutz, der Entspannung des Individuums. ‘Energise’ heißt das aktivierende Gegenprogramm. Wer da an Softdrinks denkt, ist selber schuld, liegt aber nicht ganz daneben. Farben und Formen der 1980er-Jahre kehren wieder, grell, bunt und frech. Lochstrukturen und Fischnetze. Wer’s lieber lieb mag, ist mit ‘Nourish’ gut bedient, dem sensorisch-nachhaltigen Trend, der Mensch und Natur einander sympathisch nahebringt. Und ‘Enrich’ schließlich thematisiert die metallisch-edlen Strukturen, Materialien und Oberflächen. Man sage nicht, das ist ja nichts Neues!
Trendforscher sind nicht Schuld daran, dass es das Neue nicht mehr gibt, weder als Faktum, noch als erstrebenswertes Ziel der Veränderung. Doch mit den Trends allein ist es nicht getan. Sie werden präsentiert in der eher kargen Messehalle in fünf Sektoren, halb offenen Pavillons, “hölzernen Blütenblättern” gleich, die mit den Produkten der Aussteller bezogen und dekoriert sind. Helen Sac bezeichnet diese Gebilde als kokonähnlich, vergleichbar auch einem Nest, einem Fluchtpunkt, der sich jedoch zur Welt hin öffne.
Vom ‘Circle of Wellness’ ist die Rede oder – man glaubt es kaum – vom ‘Holy Grail of perfect balance’. Das Zentrum bilde eine Installation mit Farbverläufen, von den Nachwuchs-Trendgurus mal als “Sonne”, mal als “Herz” benannt. Drumherum werden fünf nestartige Holzgebilde aufgebaut , die den Bereichen ‘Hospitality’, ‘Technology’, ‘Craft’, ‘Sustainability’ und schließlich ‘Retail’ gewidmet sind. Sie alle bilden für die Besucher eine ideale “textile Reise”, die im 150 m² großen Zentrum, dem ‘Heaven of Wellness’, münden soll. Wem sich das alles zu selbstverliebt-esoterisch anhört, der sollte die Trendverheißungen und seine eigenen Vorurteile vor Ort überprüfen. Denn erfahrungsgemäß sind die Frankfurter Inszenierungen der Heimtextil eben doch von einem besonderem visuellen wie haptischen Reiz. Eine inspirierende Attraktion des Marktplatzes.
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