Die Stapelbildung ist nicht aufzuhalten. Heute würde man sagen, sie verbreitet sich viral. Nicht nur stapeln sich im Papierbüro die Akten, auch in den Ecken der Besprechungsräume und den Lagerräumen nebenan wird Stuhl auf Stuhl auf Stuhl auf Stuhl gestellt. Das spart Platz, man bleibt flexibel, kann einen Raum vielfach nutzen. Schon seit den Sechzigern begehrt die Zeit unübersehbar nach Reproduktion, Multiplikation, Reduplikation.
Es herrscht das Prinzip der Serie: Thirty are better than one – Warhol hatte es selbst Leonardos Mona Lisa ins Stammbuch geschrieben. Weshalb sollte sich der über das Vereinzelte hinaus strebende Geist der massenhaft popkulturell befreiten Moderne nicht auch in übereinandergestapelten Sitzgelegenheiten zelebrieren lassen?
Stapelstühle auf dem md-Cover
Mehr als 40 Stapelstühle zeigt die Übersicht – von Frei Ottos ‚Montreal‘ über den ‚Thonet-Flex‘ bis zum ‚Landi‘ von Hans Coray. Man ist auf Veränderungen vorbereitet und staunt, was es alles gibt.
Dem Vervielfältigen will sich Dieter Engelmanns Cover der md 7/1977 auch nicht verschließen und stapelt gleich zweifach übereinander: Kräftige diagonale Blockstreifen, abwechselnd Weiß und in leuchtendem Zinnober, bedecken die komplette Seite. Unten links türmt sich – den dynamischen Streifen folgend und grafisch reduziert – sieben Mal der Stapelstuhl ‚1100‘ der Kusch+Co. Sitzmöbelwerke KG in Hallenberg, entworfen vom Architektenteam Gruppe 4.
Design für den mobilen Arbeitsplatz
Dass das in Serien verkörperte Rationale in Gestalt des Messbaren und Objektivierbaren auch Wettbewerbe verändert, offenbaren der Bundespreis Gute Form 1976–77 und sein Thema „Der Fahrerplatz im Kraftfahrzeug – Design für den mobilen Arbeitsplatz“ – höchst umstritten und von Wolfgang Albrecht-Schoeck entsprechend kritisch beäugt.
Im Verlauf der Produktanalyse von 50 Fahrerplätzen seien zwar „insgesamt 38 400 Daten ermittelt“ worden, das Ergebnis aber, so stellt er fest, „scheint doch nicht mehr zu sein, als die Anhäufung von Gefühlsentscheidungen Einzelner!“ Zu den Einzelnen gehören unter anderem François Burkhardt und Dieter Rams, die man immerhin beim Probesitzen in LKWs bestaunen kann.
Ganz ohne Hochstapelei
Im Nachwuchswettbewerb sind es gerade einmal elf Einreichungen, die bewertet werden, darunter ein „Zustelldienst-Transporter“ von Detlef Kamprad, der „fast der Amtsschimmelei zum Opfer fiel, weil man ihn nicht sofort einordnen konnte“. Am Ende wurde er prämiert. Von Einzelnen – und ganz ohne Hochstapelei.
Autor Thomas Wagner
war Feuilletonredakteur der FAZ, hat für Stylepark ein Onlinemagazin aufgebaut, lehrt als Honorarprofessor und ist Autor zahlreicher Texte über Kunst, Design und Architektur.