Autor Jörg Zimmermann
Himmel und Hölle liegen selten so nah beieinander wie zur Zeit des Salone del Mobile in Mailand. Auf der einen Seite Verlockung und Erlösung für Design-Addicts aus aller Welt, die gerne dem unüberhörbaren Trommeln der Marketingabteilungen in der Hoffnung folgen, durch willenlos ergebene Anwesenheit Teil einer immer größer werdenden Lifestyle-Community zu sein. Hierbei ist Partizipation alles, die Inhalte sind scheinbar reichlich egal. Dem gegenüber stehen die Erwartungen und Anforderungen der Fachbesucher – Architekten, Interior-Designer, Händler, Medien –, die in Mailand die Neuheiten und Trends des Jahres aufspüren, einordnen, verstehen und auswerten möchten.
Widerstrebende Interessen
Es stehen Masse und Radau gegen professionelles Informationsbedürfnis und fachlichen Austausch. Zu vereinbaren sind die widerstrebenden Interessen kaum. Mit gutem Recht jubelt die Messegesellschaft über die gestiegenen Besucherzahlen auf dem Messegelände in Rho. Rund 435 000 Besucher wurden an sechs Tagen gezählt, ein Anstieg von 17 Prozent zum direkt vergleichbaren Messejahr 2016 (Küchen, Bad), ein Plus von 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit hat der Salone del Mobile seine Position als internationale Leitmesse für den Einrichtungssektor erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Potentielle Kunden werden zu Daten
Des einen Freud, des anderen Leid. Durch die Messehallen schoben sich Ströme von Besuchern, bis diese endlich einen Platz in einer Warteschlange gefunden hatten. Erst warten am Info-Counter, verbindliche Registrierung, dann warten für den Standzutritt. Bei manchen Brands schien das Datensammeln – wofür eigentlich?– Priorität vor dem Kundengespräch zu genießen. Business Card? Thank you. Next! Interessierte, also potentielle Kunden werden zu Daten und QR-Codes in einer Branche, die doch von der Begeisterung für das Analoge und Begreifbare lebt.
Abgeschottete Flächen statt willkommene Offenheit
In den Vorjahren war noch die willkommene Offenheit bei der Standgestaltung zu beobachten, nun scheinen die „Closed Shops“ auf der Rückkehr. Preise lassen sich mit solch abgeschotteten Flächen und kaum ausgewiesenen Zugängen hoffentlich nicht gewinnen. Bei der Vielzahl der vergebenen (und verkauften) Auszeichnungen ist ein solcher Rückschritt aber auch nicht auszuschließen.
Positive Entdeckungen bei Produkten
Positiv immerhin: Setzt man die Quantität der beobachteten Besucher in Relation zum Geschäft, sollte es der Branche gut, sehr gut gehen. Was vielerorts mit verschwiegenem Lächeln und zufriedenem Nicken bestätigt wird. Und auch bei den vorgestellten Produkten ließen sich immerhin einige positive Entdeckungen machen. Mehr zu den Neuheiten lesen Sie hier.
Design als Spektakel missverstanden
Doch zunächst noch ein Blick in die Stadt: Der Fuori Salone ist im Ideal die passende Ergänzung zur Messe, hatte aber in diesem Jahr mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Allerorten herrschte ungebremster Besucherandrang, der sich nicht allein mit dem prächtigen Mailänder Frühlingswetter erklären lässt. Design wird weiterhin als Spektakel missverstanden, immer mehr Marken aus den Bereichen Lifestyle, Fashion und Unterhaltungselektronik hoffen auf eine positive Wechselwirkung mit den Erfolgen der Einrichtungsbranche. Da passt es prima ins Vermarktungskonzept, wenn die Besucher vor und mit den ausgestellten Produkten für Selfies posieren. Schwupps, die Fotos bei Instagram oder Pinterest hochgeladen und man/frau erhält Selbstbestätigungs-Likes und wird Teil der Community. Lovely.
Herz des Off-Programms in der Innenstadt
So geriet der Weg durch den Fuori Salone zum Slalom um die Selbstfotografierer, aber auch erfreulich kompakt. Mehr noch als in den Vorjahren schlug das Herz des Off-Programms wieder konzentriert in der Innenstadt, in der Brera, in Via Durini, Corso Monforte, Corso Venezia. Glücklich schätzen können sich die Unternehmen und Marken, die in diesen Bereichen bereits über einen veritablen Showroom verfügen. Andere wichen auf einen der herrlichen Palazzi aus, die neben Einzelpräsentationen (Hay, Gubi) auch vorzüglich für Gemeinschaftsauftritte (Masterly, Litta Variations) geeignet sind.
Intensivpatient Zona Tortona
Die legendäre Zona Tortona blieb trotz einiger Bemühungen ein Intensivpatient in puncto Programmqualität. Bewährte Anker (e15, Mooii) und wenige temporäre Highlights (Nendo, MINI Living) reichten nicht aus, um die frühere Strahlkraft wieder zu erwecken. Und auch die Verlegung des Projektes Ventura von Lambrate in die unmittelbare Umgebung des Hauptbahnhofes zeigt im 2. Jahr noch Entwicklungspotential.
Salone del Mobile: Himmel kann Hölle sein
Im Palazzo Isimbardi hatte der Künstler Paul K. Smith III für das Fashionlabel COS eine Spiegelinstallation geschaffen, „um den Himmel auf den Boden zu holen“. Manch Salone-Besucher hat es erfahren: Manchmal kann zuviel Himmel auch Hölle sein.
Den Salone-Review Teil II finden Sie hier
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