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Interview über Wettbewerbsanforderungen und -umsetzungen

Interview über Wettbewerbsanforderungen und ihre architektonische Nicht-Entsprechung
Riehle+Assozierte

Im Interview berichten Hannes Riehle und Maximilian Köth von Riehle+Assoziierte, dass sie entgegen der Wettbewerbsaufgabe das GARP-Bildungszentrum als komplett eingeschossigen Pavillon organisierten. Für die Architekten lag es nahe, das Zentrum für Aus- und Weiterbildung von metallverarbeitenden Berufen mit Stahl und Aluminium als dominierende Materialien für Tragwerk, Decke und Fassade zu planen.

Interview Thomas Geuder

Worin bestand die Herausforderung beim GARP-Bildungszentrum?

Hannes Riehle/Maximilian Köth: Am Anfang eines jeden Projekts steht für uns zunächst das Erarbeiten des Kerns der Aufgabenstellung, das Suchen und Finden der wesentlichen Fragestellungen. Wir hatten uns im Wettbewerb für das GARP-Bildungszentrum im Wesentlichen zwei Fragen gestellt: Wie integriert sich ein substantieller Neubau respektvoll und angemessen in diese landschaftlich exponierte Lage, in ein Stück bislang unberührter Natur? Und welchen architektonischen Ausdruck besitzt ein Bildungszentrum für metallverarbeitende Berufe? Eine Schule für Theorie und Praxis?

Um den Eingriff in die bislang unbebaute Landschaft so gering wie möglich zu halten, hatte die Wettbewerbsauslobung einen mehrgeschossigen Baukörper vorgesehen. Wir von Riehle+Assoziierte experimentierten im Sinne der Auslobung während der Entwurfsphase sehr lange mit mehrgeschossigen Baukörpern, allerdings fühlte sich keine Version richtig an.

Die Baukörper saßen nicht gut im Landschaftsraum. Erst der Versuch, das Bildungszentrum komplett erdgeschossig zu organisieren und als eingeschossigen Pavillon zu formulieren, lieferte den entscheidenden Entwurfsansatz. Interessanterweise konnten wir mit diesem Konzept den Wettbewerb als einziges eingeschossiges Projekt unter 20 mehrgeschossigen Wettbewerbsbeiträgen gewinnen.

Die Idee für die architektonische Sprache des Hauses kam wiederum sehr früh und lag gewissermaßen auf der Hand. Als Schule beziehungsweise Bildungszentrum für die Aus- und Weiterbildung von metallverarbeitenden Berufen war es für uns bei Riehle+Assoziierte naheliegend, Stahl und Aluminium als dominierende Materialien für Tragwerk, Decke und Fassade zu verwenden. Damit wollten wir außen und innen durchgängig über den thematischen Hintergrund des Bildungszentrums informieren. Der konsequente, durchgängige Transfer des Werkstatt-Charakters der Praxisräume auf die Theorieräume und Kommunikationszonen stellte wiederum die Schwierigkeit für die konstruktive Umsetzung im Detail dar. Eine Werkstatt ist eine Werkstatt, eine Schule ist eine Schule.

Die Performance dieser beiden Typologien respektive die konstruktiv-bauphysikalischen Anforderungen an Akustik oder Schallschutz beispielsweise sind grundverschieden, weil unterschiedlich hoch. Obwohl es im Ergebnis einfach aussieht, war die Integration vor allem der Tragwerksebene und Deckenuntersicht mit Durchdringungen und Trassenführungen unter Wahrung der schulischen Normungsanforderungen äußerst komplex.

Der Aufwand hat sich jedoch gelohnt, weil gerade der robuste Grundcharakter des gesamten Gebäudes die Besonderheit und das spezifische Alleinstellungsmerkmal des Projekts ausmacht. Interessanterweise wäre eine mehrgeschossige Bauweise in Stahl, unter Berücksichtigung der F90-Anforderung im Vergleich zu einer eingeschossigen Bauweise, für die F30 ausreicht, brandschutztechnisch fast nicht machbar beziehungsweise sinnvoll gewesen.

Beide Ebenen – die städtebauliche Idee eines liegenden Pavillons im Grünen – und die architektonische Idee eines industriell anmutenden Hauses aus Stahl und Aluminium waren wechselseitig von großer Bedeutung für die Qualitäten und den Charakter des Projekts. Bei ersterer bestand die Herausforderung in der Findung der Idee, bei zweiterer in der Umsetzung der Idee. Dadurch steht das Projekt symbolisch für einen ganzheitlichen Anspruch – von der konzeptionellen Idee bis zum gebauten Detail.

Gab es bei der Realisierung positive oder negative Überraschungen?

Äußerst positiv war, dass der Bauherr sich von Tag 1 an sehr aufgeschlossen und vertrauensvoll dem Gebäudekonzept gegenüber gezeigt und den Weg auch gemeinsam mit uns von Riehle+Assoziierte bis zum Ende mitgetragen hat. Und alles, obwohl es eine durchaus mutige Entscheidung der Jury war, ein Gebäude auszuwählen, das erstmal nicht der Annahme der Auslobung entsprach und außen wie innen ein eher ungewöhnliches Schulgebäude ohne direktes Vorbild oder vergleichbare Referenz darstellte.

Allem Neu- oder Andersartigem liegt ja immer ein gewisses Risiko inne. Der Bauherr war glücklicherweise bereit, dieses mit zu tragen, was wirklich nicht selbstverständlich ist. Schade war, dass das Gebäude durch die Corona-Pandemie nie wirklich den „einen“ Moment der Fertigstellung, der feierlichen Eröffnung und Inbetriebnahme erfahren hat. In den verschiedenen Lockdown-Phasen wurden Eröffnungsfeiern/Einweihungen (bis heute) mehrfach verschoben. Es kam immer wieder zu einem „Start-Stopp-Unterricht“.

Ebenso schade war es, dass das im Ideenteil des Wettbewerbs abgefragte Freiraumkonzept am Übergang zum Hölderlin-Gymnasium am Ende nicht zur Umsetzung kam. Der Campusgedanke in der Verbindung beider Bildungseinrichtungen hätte so noch stärker spürbar und erlebbar gemacht werden können.

Aus Sicht des des Bauherren: Was sollte das Projekt können?

Das Bestandsgebäude des GARP-Bildungszentrums am Standort Nürtingen war in die Jahre gekommen und weder sanierungs- noch erweiterungsfähig. Daher sollte in Ergänzung zu den weiteren Standorten der GARP in Plochingen, Ostfildern-Ruit und Göppingen ein Neubau in Nürtingen entstehen.

Die Prüfung verschiedener Grundstücksoptionen hatte ergeben, dass das im südlichen Stadtgebiet, am Hößlensbühl/Steigbrönnle gelegene Grundstück mit einer Größe von etwa 4 000 m² am besten geeignet war. Dieses Grundstück in Stadtrandlage liegt sowohl in direktem Bezug zu angrenzenden, landschaftlich reizvollen Streuobstwiesen als auch in unmittelbarer Umgebung zu den benachbarten Bildungseinrichtungen Rudolf-Steiner-Schule und Hölderlin-Gymnasium.

Das eröffnete Synergieeffekte mit den bestehenden Einrichtungen, etwa der Mensa, und die Integration von GARP in ein passendes Umfeld. Bei dem Vorhaben handelte es sich um eine von Bund und Land geförderte Zuwendungsmaßnahme. Die beste Lösung sollte in einem Architekturwettbewerb gefunden werden. Städtebaulich und freiraumplanerisch sollte eine Antwort für die Form und Setzung des Neubaus in landschaftlich privilegierter Lage gefunden werden.

Organisatorisch und atmosphärisch ging es um eine hohe Funktionalität bei gleichzeitigem Anspruch an einen lebendigen Lehr- und Lernort für Lehrende und Auszubildende. Bei gleichzeitig hoher Wirtschaftlichkeit, versteht sich von selbst. Wie so oft also eine „eierlegende Wollmilchsau“… Wir von Riehle+Assoziierte glauben aber, dass sich in Teilen auch gegensätzliche Anforderungen in einem guten, stabilen Entwurf wechselseitig versöhnen und vereinbaren lassen:

  • Markant selbstbewusst und dennoch zurückhaltend in der städtebaulich-freiraumplanerischen Haltung
  • Hochfunktional und wirtschaftlich, dennoch räumlich spannend durch den horizontalen, unmittelbaren Bezug zur angrenzenden Landschaft.
  • Alle klassischen Anforderungen an Lern- und Lehrräume erfüllend, dennoch überraschend unkonventionell durch den spezifischen Ausdruck als robustes, industriell anmutendes Schulgebäude.

Wie würden Sie Ihre generelle Gestaltungsphilosophie beschreiben?

In der Architektur sind Aufgabe, Typologie, Ort, Programm und Bauherr von Projekt zu Projekt grundsätzlich verschieden. Keine Aufgabenstellung gleicht der anderen, jede neue Aufgabe hat unterschiedliche Potentiale und Herausforderungen. Daher suchen wir von Riehle+Assoziierte in jedem Projekt nach einem spezifischen Ansatz, nach einem Fundament tragfähiger und sinnstiftender Ideen, die dem Projekt zu eigen sind, es zu einem unverwechselbaren Einzelstück machen.

Während das Ergebnis individuell verschieden ausfällt, tendiert der Entwurfsprozess eher dazu, standardisiert abzulaufen. Eine übergeordnete Entwurfsmethodik oder projektübergreifende Entwurfshaltung stellt einen roten Faden sicher, der alle Einzelstücke des architektonischen Handelns miteinander verbindet.

Ungeachtet dessen, dass Entwerfen grundsätzlich schwer erklärbar oder greifbar ist, empfinden wir den Prozess als eine kontinuierliche Abwägung von vernunftgesteuerten, logischen Herleitungen mit gefühlsgesteuerten, intuitiven Weichenstellungen. Die analytischen Entscheidungen stellen die Verbindlichkeit und innere Logik des Entwurfs sicher, die intuitiven Entscheidungen bestimmen über den Geist und den Charakter des Projekts.

Grundsätzlich suchen wir von Riehle+Assoziierte im Prozess nach überzeugenden, angemessenen Lösungen, die ‚einfache‘ Antworten auf komplexe Fragestellungen geben und einen ganzheitlichen Anspruch von der architektonischen Idee bis zum gebauten Detail formulieren. Die Wahl der Mittel und Themen ist dabei eher von einem Prozess des Reduzierens und des Verzichtens auf Überflüssiges geprägt, bis sich ein auf das Wesentliche reduziertes Gebäude verfestigt. Vermeintlich einfach, verbindet die Häuser so eine unangestrengte Ruhe und zeitlose Gelassenheit. Gering in der Lautstärke, kraftvoll reduziert und selbstbewusst zurückhaltend setzen die Gebäude nicht auf schnelle Effekte, sondern langlebige Präsenz.

Wie finden Sie Ihre Inspirationen?

Inspiration klingt nach einer plötzlichen Eingebung, einem genialen Geistesblitz eines Einzelnen. Wir glauben vielmehr, dass sich jedes Projekt diskursorientiert in der Dialektik zwischen rationalen und intuitiven Entscheidungen entwickelt. Mal mehr, mal weniger erklärbar beziehungsweise „inspiriert“.

Die Intuition basiert dabei auf eigenen Erfahrungen im Leben und in früheren Büros, auf der persönlichen und professionellen Prägung jedes Einzelnen. Gutes Beurteilungsvermögen und das Verhandeln von Widersprüchen tragen dabei mehr auf dem Weg zu einem guten Gebäude bei als rein kreative Inspiration. Die Geburtsstunde eines Projekts ist somit häufig eher Ergebnis innerlichen Gärens und unterbewusster Auseinandersetzung mit einer Aufgabe als genialer Einfall und plötzliche Inspiration.

Porträtbild von Maximilian Köth (links) und Hannes Riehle
Maximilian Köth (links) und Hannes Riehle, Geschäftsführer von Riehle+Assoziierte. Porträt: René Müller

Zu den Personen

Hannes Riehle, Dipl.-Ing. Freier Architekt BDA, MBA, und Maximilian Köth, Dipl.-Ing. Freier Architekt BDA, sind Geschäftsführer des Büros Riehle+Assoziierte in Reutlingen und Stuttgart

Zur Website von Riehle+Assoziierte

Zur Homepage von GARP

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