Was schön ist, glauben viele, sei auch gut. Aber ist es deshalb auch praktisch? Okay, jede Zeit prägt ihre Schönheitsideale – ob Körper von der Natur, in der Muckibude oder vom Messer geformt sind.
Wie aber verhält es sich bei Dingen? Und weshalb existieren eigentlich keine Ideale des Hässlichen, Ungestalten und Missratenen? Sind es nicht die krassen Abweichungen von der Norm, die unsere Aufmerksamkeit derart fesseln, dass unser Blick nicht von ihnen lassen kann?
Design macht den Menschen glücklich
Für Raymond Loewy, einem der Wunderknaben des Industriedesigns, war die Sache klar. Nicht zufällig betitelte er seine Autobiografie „Hässlichkeit verkauft sich schlecht“ – und gab Designern den Rat, nur so fortschrittlich zu gestalten, dass es die Kunden gerade noch akzeptieren könnten.
Die Schwelle, die dabei nicht überschritten werden solle, nannte er MAYA – Most Advanced Yet Acceptable. „Industrial Design“, zitiert ihn Inge Krupp in ihrem Bericht von der Loewy-Retrospektive im Berliner IDZ, „macht den Menschen glücklich, den Produzenten wohlhabend und hält den Designer beschäftigt.“
Philippe Starck und die Saftpresse
Womit wir bei Philippe Starck wären, dessen „Juicy Salif“ das von Dieter Engelmann gestaltete Cover der md 05/1990 mehr als nur ziert. Die Fotomontage lässt die metallisch glänzende Saftpresse wie ein Raumschiff durchs All fliegen, samt – Ironie, Ironie – einer Orangenhälfte, die ihr wie ein letzter Gruß des Funktionalismus auf die Spitze gesetzt wurde. Unter der Rakete nichts als die grau-staubige Mondoberfläche.
Angeblich, so hat es Alberto Alessi erzählt, habe Starck ihm eine Serviette geschickt, wie sie in weniger teuren Pizzerien zu finden ist, auf der sich Skizzen von Tintenfischen befanden, die sich mehr und mehr als das erkennen ließen, was die umstrittenste und erfolgreichste Zitronenpresse des langsam zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts werden sollte. Se non è vero, è ben trovato.
Kunstwerk und ‚conversation piece‘
Die Wahrheit ist: Was Alessi 1990 herausbrachte, war weder eindeutig ein mutierter Tintenfisch noch eine Rakete – und schon gar keine praktische Saftpresse. Keiner aber mochte den Blick von ihr wenden. Weshalb der Semiotiker Umberto Eco vermutete, Alessi habe gar keine echte Zitronenpresse haben wollen, „sondern ein Kunstwerk und ‚conversation piece‘, das die Käufer als eine abstrakte Skulptur begehren würden“.
Die Wahrheit ist also auch: Weil die Tintenfischrakete mehr war als eine funktionierende Saftpresse, machte sie aus einer Küchenhilfe ein Lifestyle-Accessoire und Philippe Starck zum Star.
Autor Thomas Wagner
war Feuilletonredakteur der FAZ, hat für Stylepark ein Onlinemagazin aufgebaut, lehrt als Honorarprofessor und ist Autor zahlreicher Texte über Kunst, Design und Architektur.