Die Erwartungen an den Supersalone waren trotz des gewagten Namens der Veranstaltung nicht sehr hoch. Sie wurden erfüllt – nicht mehr und nicht weniger. Handelte es sich um einen Patienten, würde man sagen: Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Die Umstände: eine seit 18 Monaten andauernde Pandemie und die wichtigste Möbelmesse der Welt, die zwei Mal hintereinander ausgefallen ist. Insofern war es ein positives Zeichen, dass überhaupt 425 Hersteller und Brands den Weg nach Rho gefunden hatten – auf eine Messe der etwas anderen Art, kuratiert vom italienischen Architekten Stefano Boeri.
Dass das Super vor dem Salone allerdings etwas überzogen wirkte, zeigte sich schon daran, dass nur vier Hallen von insgesamt 24 bespielt und teils durch unmotiviert wirkende Sitzinseln, Sonderpräsentationen wie Take your Seat – Solitude and Coviviality of the Chair und vier Food Courts ausgefüllt wurden. Außerdem war die Veranstaltung weitgehend ein Schaulaufen der italienischen Hersteller, die fast sämtlich in der Region ansässig sind und für die der Salone del Mobile traditionell ein Heimspiel ist. Nur wenige Unternehmen aus dem Ausland hatten sich auf die Messe gewagt, darunter Gloster, Nanimarquina und Util.
Fuorisalone: die bessere Messe
Dass manch einer froh gewesen sein dürfte, sich für eine Präsentation in der Stadt entschieden zu haben, zeigt sich am Beispiel von Classicon. Das deutsche Unternehmen, sonst regelmäßig auf der Messe zu Gast, hatte lange überlegt nach Rho zu kommen, dann aber kurzerhand einen temporären Showroom in Brera gemietet. Viele Kunden hätten noch vor zwei Monaten nicht gewusst, ob sie überhaupt nach Mailand kommen würden, erzählt Larissa Sarjeant. Wir treffen die neue CEO von Classicon am ersten Fuorisalone-Abend im Showroom, wo Christian Haas seine neue Travertin-Tischkollektion Matéria präsentiert. „Wir haben das Konzept des Supersalone von Beginn an kritisch gesehen“, erzählt sie. Was sie damit meint: Im Unterschied zu den vorangegangenen Ausgaben des Salone del Mobile gab es in diesem Jahr keine individuellen Präsentationen, sondern eine von der Messe vorgegebene Gestaltung, die vor allem die Vertikale in den Fokus rückte. Für Classicon ergab sich damit das Problem, dass es nicht möglich gewesen wäre, schwere Stücke wie den großen Bell Table von Sebastian Herkner an die Wand zu bringen, so Sarjeant.
Mit angezogener Handbremse
Doch statische Probleme wären noch das geringere Problem für Classicon gewesen, wie sich beim Besuch der Messe herausstellte. Gerade für Luxuslabels war das gleichförmige Ausstellungsformat nicht geeignet. Es wirkte wie aus dem Baumarkt mit seinen einfachen Metallrahmen und Sperrholzplatten – buchstäblich wie zusammengezimmert, was dem Designanspruch der Messe geradezu zuwider lief. Auch schien es so, dass einige Aussteller kurzfristig abgesagt hatten, betrachtete man die vielen Leerstände, die nur schwer mit Hockern und Grünpflanzen kaschiert werden konnten. Zwar gab es Corona-bedingt viel Platz in den Gängen und deshalb einen besseren Überblick als normalerweise, doch die Individualität der einzelnen Hersteller ging komplett verloren, stattdessen machte sich Langeweile breit. Die meisten Präsentationen wirkten wohl nicht nur des starren Rahmens wegen wie mit angezogener Handbremse ausgeführt.
Instagram-taugliche Installation
Nur wenigen Herstellern gelang es, ins Auge zu fallen, darunter Molteni. Die Italiener hatten eine Instagram-taugliche Installation mit einem ikonischen Produkt geschaffen, das auf das (Wieder-)Reisen und damit indirekt auf die Pandemie referenzierte: Gio Pontis Sessel D.154.5 waren so aufgereiht, dass sie wie (luxuriöse) Flugzeugsitze wirkten. Das einprägsame Reise-Motiv wurde vervollständigt durch auf die Wand applizierte Flugzeugfenster und Messehostessen, die wie Stewardessen gekleidet waren. Dass das von der Messe vorgegebene Standkonzept nur bei größeren Präsentationen halbwegs funktionierte, zeigte auch Jan Kath. Der deutsche Teppichhersteller hatte einen Webstuhl installiert und brachte seine Präsentation von der Vertikale in die Horizontale und damit Bewegung in den Stand.
Leise Entdeckungen
Zwischen den Messeständen waren vereinzelt kleine Präsentationen eingestreut und unter dem Thema The Makers Show zusammengefasst: 39 an der Zahl, Handwerk und Kleinserien im Fokus. Auch wenn das unscheinbare Format keinen Raum für interessante Präsentationen ließ, konnte man gerade hier auf Entdeckungsreise gehen. Das tschechische Designstudio Dechem präsentierte das hängende Universe Glass Object, das mit unterschiedlichen Herstellungstechniken und Oberflächenbehandlungen spielte und kombiniert wurde mit Glasvasen von Milena Kling, die ebenfalls in Tschechien mundgeblasen wurden.
The Makers Show
Auffällig oft vertreten in The Makers Show war das Material Holz, wie man beim japanischen Label Ishinomaki Laboratory sehen konnte, das DIY-Kleinmöbel entwirft. Im Jahr 2011 gegründet, stellte es ursprünglich Tsunami-Opfern Materialien und Werkzeuge bereit, um zerstörte Möbel zu reparieren oder neu herzustellen. Inzwischen hat sich daraus ein Label entwickelt, das mit lokalen Produzenten in aller Welt und mit Designern wie Torafu Architects zusammenarbeitet. Das Material Holz steht auch bei den Entwürfen des Labels Fogo Island Workshops im Fokus, die Möbel und Accessoires von Designern wie Anthony Guex, Adrien Rovero und Wataru Kumano präsentierten. Und natürlich bei Zanat, einem bosnischen Hersteller von geschnitzten Designobjekten, der künstlerische Objekte von Michele De Lucchi und eine Sitzbank von Patrick Norguet im Gepäck hatte – im Übrigen eine der wenigen aufregenden Neuheiten des Supersalone. Zanat hatte sich übrigens erst in letzter Minute entschlossen, an der Messe teilzunehmen. „Ich wollte der Veranstaltung eine Chance geben“, sagt CEO Orhan Niksic und ergänzt, dass er keine großen Erwartungen hatte, aber mit dem Ergebnis zufrieden sei.
Dolce Vita als Bonuspaket
„Es ist eine Überraschung, dass wir überhaupt hier sind“, sagte Maria Porro, die neue Präsidentin des Salone del Mobile, als sie zur Pressekonferenz die Bühne betrat. Denn dass der Supersalone überhaupt stattfand, gilt es bei aller Kritik zu würdigen. In nur drei Monaten wurde die Messe aus dem Boden gestampft, gegen den Widerstand vieler italienischer Hersteller. Porro sieht die Veranstaltung nicht nur als Business, sondern als Treffpunkt einer weltweiten Design Community, als Vorreiter auch, beispielsweise wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Ob das allerdings ausreichen wird, um die Hersteller für die nächste reguläre Ausgabe der Messe im April 2022 zu begeistern und den 60. Geburtstag des Salone del Mobile standesgemäß zu feiern, bleibt abzuwarten. Es ist nämlich durchaus möglich, dass viele Unternehmen durch die Pandemie erkannt haben, dass Hausmessen und Pop-up-Events ebenso gut funktionieren wie weitaus kostspieligere Messeauftritte. Man darf gespannt sein, wie sich die Kölner Möbelmesse imm cologne im Januar nächsten Jahres schlagen wird. Und zwar ohne das Bonuspaket von Fuorisalone, Palazzi und Dolce Vita.