Darf es ein Diamant sein aus der Asche Ihrer Liebsten, oder die DNA Ihres Nachbarn aus dem Automaten an der Straßenecke? Eine Wunderkammer des 21. Jahrhunderts hat andere Projektionen, Sehnsüchte und Wünsche zu bedienen als zu Zeiten August des Starken. Während die Fürsten der Neuen Welt einander mit erlesenen Preziosen aus kostbaren Materialen beeindruckten, hat sich die heutige Vorstellung davon, was Luxus ist, gewandelt.
Und wird sich weiter wandeln. Nur eines bleibt mit Sicherheit konstant: Begehrenswert wird immer sein, was selten ist und außergewöhnlich.
Was ist Luxus?
“Was ist Luxus?” Mit dieser Frage hat das Londoner V&A in Kooperation mit dem britischen Crafts Council einmal mehr der Zeit den Puls gemessen. Nach der Beschäftigung mit dem Alltäglichen und der Kraft des Handwerklichen, war die Frage nach dem überdurchschnittlichen, nicht lebensnotwendigen Aufwand, kurzum, dem Luxuriösen, in einer weiteren Ausstellung (25. 5. bis 27. 9. 2015) nurmehr folgerichtig.
Entschleunigung als Luxus
Die Vermessung der Begrifflichkeiten wie Expertise, Perfektion und Handwerkskunst, wie Opulenz, Authentizität und Exklusivität knüpfte mit Exzellenzen aus Design und Kunsthandwerk an das vertraute Bild von Luxus an. Gleich zu Beginn der Ausstellung tauchte der Besucher ein in eine edle Blackbox.
Magisch angezogen von einem perfekt ausgeleuchteten Riesen-Spirografen, den Philippe Malouin für Lobmeyr installierte, und der, indem er feine Muster mit Sand auf den Boden zeichnete, zugleich den zeitintensiven Prozess thematisierte, der für die Herstellung von Kristallglas erforderlich ist. Da musste man schon genau hinschauen. So also funktioniert die Entschleunigung des urbanen Museumsgängers. Auch das ein Luxus in heutiger Zeit.
Szenografischer Kniff
Das raumgreifende Centerpiece gab fortan den Takt der persönlichen Wahrnehmung vor – ein kluger szenografischer Kniff. Denn damit stellten sich die drumherum gruppierten Exponate in ihren Wunderkammer-Vitrinen umso mehr zur Schau: exquisite Luxusobjekte wie die ‘Space Travellers’ Watch’, ein handgefertigter Zeitmesser des britischen Uhrenneuerfinders George Daniels, das ‘Voltage Dress’, ein lasergeschnittener “Federpelz” von Iris van Herpen oder ein fragiler Beton-Kronleuchter von Studio Drift sowie ein ‘Talaris‘-Sattel von Hermès, bei dem traditionelle Lederverarbeitung mit Karbon und Titan einhergeht.
Raum und Zeit
Auch das Kollier ‘Bubble Bath’, das Nora Fok aus mehr als 1000 handgestrickten Mini-Nylonblasen zusammenfügte, zelebrierte das für seine Fertigung erforderliche hohe Zeitinvest, profunde Materialkenntnis, präzise Fertigung und absolute Detailgenauigkeit.
Die auf den ersten Blick disparaten Objekte deklinierten auf beinahe selbst erklärende Weise die Terminologie des Luxuriösen und seine Vielzahl möglicher Interpretationen. Welche Augenweide!
Uhr ohne Zeiger
Unter dem vermeintlichen Zwang der permanenten Selbstoptimierung werden auch Raum und Zeit zu einem fundamentalen Luxusgut. Arbeiten wie ‘Time for Yourself’ mit einer Uhr ohne Zeiger und einem Kompass, der nur Zufallskooradinaten anpeilt, luden den Besucher dazu ein, sich zu vergessen und zugleich mit dem Phänomen der eigenen, vielleicht “verlorenen” Zeit auseinanderzusetzen.
Ein Tabubruch?
Und auch der thematisierte Zusammenhang von Luxus und Wert, Moral und Material ist von großer gesellschaftlicher Bedeutung: Mit knappen Luxusrohstoffen wie Schildpatt, Horn oder exotischen Hölzern spielte ‘Hair Highway’ von Studio Swine: Die Designer stellen hochdekorative Möbel und Accessoires aus in Harz eingegossenem Menschenhaar her. Dieser Rohstoff scheint absolut unerschöpflich und ressourcenschonend. Ein Tabubruch? Auch Echthaarperücken sind ein Luxusgut.
Andere Projekte hinterfragten unser Verhältnis zu Gold oder Seltenen Erden. Unknown Fields Division beispielsweise zeigte Gefässe aus giftigem Schlamm – gefertigt aus Minenabraum, den eine Expedition vor Kurzem aus der inneren Mongolei mitbrachte.
Frage nach dem Eigentumsrecht
Von tabuisierten Produktionsbedingungen zur Befriedigung materieller Luxusbedürfnisse bis zu rein fiktionalen Szenarien war es dann nur noch ein kleiner Schritt in London: Privatsphäre, Ressourcen und der Zugang dazu, das könnten in Zeiten von Google-Alphabet und NSA die exklusiven Luxus-“Güter” der Zukunft sein.
So hielt die ‘DNA-Vending Machine’ des amerikanischen Künstlers Gabriel Barcia-Colombo virtuelle DNA-Packungen vor und konfrontierte die Besucher mit den Auswüchsen der Biotechnologie und der Frage nach dem Eigentumsrecht an der eigenen DNA.
Luxus ist etwas ganz Persönliches
Co-Kuratorin Jana Scholze vom V&A brachte es auf den Punkt: “Bereits im Titel der Ausstellung zeigt sich die ganze Bandbreite von Luxus heute. Sie zielt auf das allgemeine Verständnis von Luxus, lädt ein zur genaueren Betrachtung seiner Herstellung und unterbreitet Vorschläge, was Luxus darüber hinaus bedeuten kann. Im Grunde ist die Vorstellung von Luxus etwas ganz Persönliches”.
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