Modebewusste Chinesen stehen zwar nicht auf Hut und Mütze. Dafür fahren sie auf die Sonnenbrille ab — und das zu jeder Gelegenheit.
Sie schützen vor UV-Strahlen. Das schätzen ihre Träger. Auch, dass die Gläser locker ein Veilchen kaschieren oder mitunter die eigene Identität. Die Sonnenbrille ist cool — weltweit, wobei sie in China ein ganz besonderes Luxussymbol darstellt. Je größer das Logo, desto höher der soziale Status, das ist hier die Devise. Die enorme öffentliche Präsenz macht sie zu einem der wichtigsten Modeaccessoires. Keiner geht ohne. Es muss nur die richtige sein.
Wie buchstäblich blind wir dabei mitunter dem Diktat der Mode folgen, zeigt ein Bericht des us-amerikanischen Walter Reed Army Medical Centers auf. Die Studie geht der Frage nach, wieso im Golfkrieg die Zahl der gefallenen us-amerikanischen Soldaten mit 20 Prozent doppelt so hoch war wie bei heutigen Kriegseinsätzen. Sie kommt zu einer überraschenden Schlussfolgerung. Weder Fortschritte in der Medizin noch eine bessere medizinische Versorgung seien heute für die niedrigere Mortalität verantwortlich. Im Gegenteil. Fachpersonal wurde seither reduziert.
Interessant ist hingegen die Analyse der wöchentlichen Berichte über die Art der Verletzungen. Die Augen spielen dabei eine wichtige Rolle. Offensichtlich haben im Golfkrieg viele Soldaten nur ungern Schutzbrillen getragen. Sie waren ihnen einfach zu hässlich. Als dies bekannt wurde, ließ das Militär schickere Brillen — mit einer hübschen ballistischen Kurve — entwerfen. Die Folge: Nun begeisterten sich die Soldaten für das neue Accessoire, und die Augenverletzungen gingen erheblich zurück. Ähnliches geschieht jetzt in China. Zunächst ging es lediglich darum, die Augen zu schützen.
Jetzt aber muss die Brille stylish sein. Vor kurzem hat der Verbraucherverband in Hongkong davor gewarnt, die eigentliche Funktion der Sonnenbrille nicht zu vergessen und auf UV-geschützte Gläser zu achten. Aufklärung tut also Not, sonst nehmen Augenverletzungen und Linsentrübung kollektiv zu. Laut Weltgesundheitsorganisation sind etwa 12 bis 15 Millionen Menschen wegen Grauen Stars erblindet. Rund 20 Prozent davon wegen mangelhaften UV-Schutzes. Das ist nicht weiter erstaunlich. Auf dem Markt gibt es viele schwarze Schafe. So sind unlängst bei einem Test in China 14 Brillenmodelle durchgefallen, weil die eingefärbten Gläser Fehlfarben produzierten: Autofahrer hatten die Farben der Verkehrsampeln nicht korrekt erkannt.
UV-Schutz und Farbtreue sind also wichtig. Woran aber soll der Kunde sich sonst noch orientieren? Und wie können die Designer und Hersteller in China den potenziell weltweit größten Brillenmarkt beeinflussen? Meiner Meinung nach müssen wir verbindliche Qualitätsstandards entwickeln, die unabhängig von modischen Trends einzuhalten sind. Auf der diesjährigen 100% Design in Shanghai wurde ein zum Patent angemeldetes integriertes System vorgestellt: die ‚Dual Color Sunglasses‘, der chinesischen Designschmiede y-town.
Neuartig ist, dass diese Sonnenbrille um 180 Grad gedreht werden kann. Es gibt oben und unten identische Y-förmige Nasenstege. Die Gläser sind in zwei Farben beschichtet, um unterschiedlichen Wetterbedingungen gerecht zu werden. Das heißt, die braune Glashälfte ermöglicht eine gute Sicht beim Autofahren – angesichts des Shanghaier Verkehrs ein vernünftiges Feature. Während die silberfarbene verspiegelte Glashälfte UV-Strahlung absorbiert und für Outdoor-Aktivitäten gedacht ist: Surfen, Skifahren oder Angeln.
Je nach Wetter entscheidet man sich für die eine oder andere Glashälfte und dreht die Sehhilfe bei Bedarf einfach um. Neben der bequemen Anwendung bestechen die hohe Designqualität und reduzierter Materialeinsatz: Zwei Brillen mit nur einer Fassung und einem Etui.
md-Korrespondent Jamy Yang berichtet aus Shanghai
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