Offene Strukturen, natürliche Materialien, fließende Stoffe und Pflanzen. Willkommen in einer neuen Arbeitswelt, die radikal mit den starren Bedingungen der Vergangenheit bricht. En Vogue ist das Open Space. So auch bei der AOK Baden-Württemberg, für die Blocher Partners in einer Ludwigsburger Lagerhalle in einem „Workspace-Prototyp“ Raumszenarien konzipierten, die nichts mehr gemeinsam haben mit zellenartigen Einzelbüros oder lärmigen Großraumsituationen der Vergangenheit.
„Unser innenarchitektonisches Konzept sieht ein Wechselspiel von Kommunikation, Austausch und Privatsphäre vor“, sagt Jürgen Gaiser, Partner Innenarchitektur bei Blocher Partners. „Als Testfläche für neue Arbeitswelten soll sich das Projekthaus kontinuierlich weiterentwickeln, um daraus ein tragfähiges Konzept für das Arbeitsumfeld von morgen abzuleiten.“

Agile Organisation
Endgültige Lösungen erscheinen obsolet, Ausprobieren und Anpassen das Gebot der Stunde. Die veränderten Ansprüche der Beschäftigten und die vielfältigen Anforderungen der digitalisierten Arbeitsprozesse bewirken ein Umdenken bei der Planung und Einrichtung von Büroräumen. In Rahmen einer im Mai 2019 veröffentlichten Studie unter dem Titel „New Work“ untersuchte das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) 18 betriebliche Ansätze für agile Arbeitsweisen.
Dabei identifizierten die Forscher vier Felder, die aktuelle Denkrichtungen und damit verknüpfte Motive für künftige Arbeitsansätze charakterisieren. Individuelle Sinnstiftung für die Mitarbeiter, eine Abkehr von hierarchischen Führungsmodellen hin zu partizipativen Entscheidungsstrukturen sowie agile Organisationsformen stehen neben der Flexibilisierung der konkreten Arbeitssituation.
Unterschiedliche Arbeitsmodi
Unter dem Leitgedanken „Arbeite wo und wann du willst“ finden Umsetzungsformen Anwendung, die eine örtliche und zeitliche Flexibilisierung ermöglichen. Die Wahl der Umgebung entscheidet sich danach, welche Aufgabe zu erledigen ist.
Einer Untersuchung des Gensler Research Institute vom März dieses Jahres zum Arbeitsverhalten in deutschen Büros zufolge agieren die Beschäftigten in unterschiedlichen Arbeitsmodi: 44 Prozent der Zeit werden alleine gearbeitet, 27 Prozent der Zeit sind der persönlichen Zusammenarbeit vorbehalten, 16 Prozent der virtuellen Zusammenarbeit. Kontaktpflege mit 7 und Lernen mit 6 Prozent nehmen im Tagesverlauf deutlich geringere Zeitkontingente in Anspruch.

Kein leichtes Unterfangen für die Planer, die unterschiedlichen Arbeitsformen in räumliche Szenarien zu übersetzen. „Agile Arbeitsweisen und -organisationen benötigen flexible Raumsysteme“, erläutert Timo Brehme, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens CSMM. Schritte in Richtung Open Space kommen dem Wunsch nach räumlicher Flexibilität entgegen. Doch allein der Rückbau von Einzelbüros zugunsten offener Flächen reicht nicht aus. „Gerade im Open Space braucht es ausreichend Platz für jeden Mitarbeiter, Rückzugsorte ebenso wie Gemeinschaftsflächen, mobile IT-Technik und flexible Raumsysteme“, so der CSMM-Chef.
Begrenzte Flächenreduktion
Hinzu kommen wirtschaftliche Überlegungen der Firmen. Lässt sich wegen digitalisierter Prozesse und agiler Arbeitsformen die Zahl fest zugewiesener Arbeitsplätze reduzieren, etwa im Vertrieb? Wieviel Fläche sollte man dann pro Mitarbeiter im Unternehmen vorhalten?

War vor einigen Jahren ein Flächenkennwert von 30m² pro Beschäftigtem üblich, hat sich mit der Digitalisierung der Wert aktuell auf 20 m² reduziert. Damit sei eine kritische Grenze erreicht, betont CSMM-Consultant Timo Brehme. „Eine offene Bürolandschaft erfordert zusätzliche Mehrwert- und Kollaborationsflächen. Nur somit lassen sich Arbeitsabläufe optimieren und die Kommunikation beschleunigen.“
Zu Veränderungen fähig
Open Space für Kollaboration und Teamkommunikation im Wechsel mit Rückzugsorten für konzentriertes Arbeiten – dieser Multispace-Ansatz könnte zukünftig zum selbstverständlichen Ausgangspunkt für individuelle Planungen werden, die innovative Arbeitsformen zulassen und fördern. Somit helfen sie dabei, die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Beschäftigten zu stärken.
Dabei verbindet sich die räumliche Situation stärker mit Faktoren wie Gesundheit, Wohlbefinden und Sinnstiftung. Flache Führungsstrukturen und eigenverantwortliches Arbeiten implizieren eine das Individuum unterstützende Ausstattung. Beim Raum und bei der Möblierung rückt die Funktion als determinierende Organisationsstruktur in den Hintergrund. Das Büro gerät fast zum Lebensraum.

Die IAO-Studie stellt heraus, dass „New Work kein Zielzustand, sondern ein Prozess der Umgestaltung und Reflexion“ ist und sein wird. Veränderungsfähigkeit des Unternehmens und des Einzelnen gerät zum Maßstab. Die Auseinandersetzung mit innovativen Organisationsformen und der dazu passenden Arbeitsumgebung bleibt ein Dauerthema.
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