Ein lauer Sommerabend auf einer Dachterrasse. Ein Glas kühler Weißwein in der Hand. Es wird über dies und das geplaudert und dann kommt das Gespräch auf die Hochwasserkatastrophen und Waldbrände. Einer der Anwesenden glaubt, dass ein Umdenken eingesetzt hat: Selbst Freunde mit mehreren Autos hätten einige verkauft und würden jetzt nur zwei oder drei besitzen. Gut, sie wohnen weiterhin auf 500 m² zu zweit, aber es tut sich was. Ganz sicher. Der Wandel fängt im „Kleinen“ an.
Aus den Fugen geraten
Tatsächlich zeigt das Gespräch, dass auf unserer Erde mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird. Aber es stellen immer mehr Menschen fest, dass etwas nicht mehr stimmt, aus den Fugen geraten ist. Es wird immer schwieriger, die Klimakrise mit all ihren Konsequenzen zu leugnen. Doch sie anzuerkennen bedeutet, sich selbst zu hinterfragen und lieb gewonnene Gewohnheiten und Privilegien über Bord zu werfen. Das gilt auch und besonders für unsere Berufssparte.
Ist die Klimakrise jetzt wirklich angekommen?
Durch die schleichenden Entwicklungen, die Themenvielfalt und die Komplexität des Klimawandels verharren wir immer noch in Lethargie. „Das bringt doch alles nichts. Was soll ich alleine schon ausrichten? Die anderen verbrauchen doch noch mehr.“
Die „Institution of Structural Engineers“ hat 2020 die Möglichkeiten der CO2-Reduktion eines Bauingenieurs im Vergleich zu einer Privatperson ermittelt. Vermeiden wir zu fliegen, werden Vegetarier oder Veganer und verzichten auf unsere Autos hat das einen Einfluss auf unseren individuellen Fußabdruck. Das birgt Chancen, weil sich der private Konsum direkt auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik auswirken kann. Reduziert allerdings ein Bauingenieur 20 % der Emissionen, die seine Konstruktionen verursachen, kann er durchschnittlich hundertmal so viel Kohlenstoffdioxid einsparen.
Nachhaltiges Bauen kann CO2-Emissionen einsparen
Es ist wichtig zu wissen, welchen enormen Einfluss unsere Profession auf das Klima hat. Der Bau und Betrieb von Gebäuden ist weltweit für circa 40 % der energiebedingten CO2-Emissionen verantwortlich. Eine Analyse kürzlich errichteter Bauwerke hat gezeigt, dass eine Materialineffizienz von rund 50 % üblich ist. Auch die Überplanung von Gebäuden und Infrastruktur muss angegangen werden, um den Materialbedarf zu reduzieren und zu helfen, Umweltziele zu erfüllen.
Ohne Fortbildung besser planen
Innenarchitekten und Architekten stehen in der Verantwortung. Wir sollten nicht auf Leuchtturmprojekte anderer hoffen, sondern selbst die Rückbaubarkeit in unsere Planungsprozesse integrieren. Es bedarf keine weiteren Fortbildungen, um einfach zu bauen. Wir wissen, dass der Bestand dem Neubau zu bevorzugen ist, dass wir Bodenversiegelung vermeiden, nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz bringen und überhaupt in Kreisläufen denken sollten.
Es gibt viele Absichtserklärungen
Das Thema der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig ist „Wie wollen wir zusammen leben?“. Und genau diese Frage sollten wir uns alle stellen, denn die Natur zeigt: „Weiter so“ funktioniert nicht. Es gibt zum Thema nachhaltiges Bauen viele Absichtserklärungen, Studien und Initiativen wie den EU Green Deal, die Phase Nachhaltigkeit und das neu gegründete „Bauhaus der Erde“ sowie Petitionen wie „Bauwende Jetzt!“ von Architects for Future, um nur ein paar zu nennen. Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich zu informieren und engagieren.
Doch all diese Bemühungen werden ins Leere laufen, wenn nicht wir Planer jetzt anfangen, dieses Wissen anzuzapfen und für nachhaltiges Bauen umzusetzen. Dafür müssen wir bisherige Arbeitsweisen hinterfragen und uns ehrlich eingestehen, dass es Verbesserungspotenziale gibt. Tiefgreifende Veränderungen in Design und Bau sowie in der Nutzung und Wiederverwertung von Gebäuden und Infrastrukturen sind erforderlich, um eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft zu haben.
Druck aufbauen
14 000 Wissenschaftler haben zum diesjährigen Erdüberlastungstag am 29. Juli 2021 erneut den weltweiten Klima-Notfall erklärt und sofortige Veränderungen gefordert. Auch wir sollten Druck aufbauen – auf Politik und Akteure der Bauwirtschaft. Indem wir Dinge hinterfragen, Forderungen stellen. Als Belohnung werden wir uns nicht mehr über gutes oder schlechtes Gewissen unterhalten, sondern über zukunftsfähige Lösungen.
Aber können wir uns Nachhaltigkeit leisten? Die Antwort ist eindeutig: Wir können uns alles andere nicht mehr leisten. Es liegt an uns, die Transformation in Gang zu setzen und damit zukünftigen Generationen eine lebenswerte Welt zu übergeben.
Die Kolumnistin Tina Kammer leitet gemeinsam mit Andrea Herold die Plattform interiorpark.com, auf der sie ausgewählte Produkte
für gesundes und nachhaltiges Bauen präsentiert. Zudem realisiert sie eigene Architekturprojekte mit ihrem Studio.
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