Ein gut gemachtes Healing Environment mindert den Stress des Patienten und beeinflusst den Heilungserfolg nachweislich positiv. Um der medizinischen Leistung gerecht zu werden, muss eine zeitgemäße Gestaltung jedoch zugleich der nötigen Funktionalität Rechnung tragen wie Hygiene, Sicherheit, Prozessoptimierung und Flächeneffizienz. Denn ein Krankenhaus ist ein Krankenhaus und kein Hotel. Und es muss für alle bezahlbar sein.
Wahl- versus Kassenleistung?
Seit Einführung der DRGs (Diagnosis Related Groups/Fallpauschale) wird auf die Gestaltung der Privatpatientenbereiche der Wahlleistung (WL) großer Wert gelegt. Die damit verbundene Aufenthaltsqualität wird jedoch nur von den Privat-(PKV) und nicht von den gesetzlichen Kassen (GKV) honoriert, was die Regelleistung (RL) und damit den Großteil der Patienten deutlich benachteiligt.
Aufenthaltsqualität im Krankenhaus
Innenarchitektonische Entwürfe drehen sich daher meist um den Komfort der Privatpatienten, obwohl diese nur rund 10 % der Bevölkerung darstellen und die wenigsten Betten belegen. denn die übrigen 90 % sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Berechtigte Bedürfnisse an die Aufenthaltsqualität in einem Krankenhaus haben aber alle Patienten gleichermaßen.
Diesem Bedürfnis steht das duale System von Wahl- und Regelleistung in gewisser Weise entgegen. Absurd ist das System aber deshalb, weil es Gestaltungsqualität nicht honoriert, sondern im Gegenteil bestraft.
Gestaltungsqualität für alle
Je größer die Differenz der räumlichen Qualität zwischen RL und WL hinsichtlich Komfort und Atmosphäre zur Wahlleistung ausfällt, desto besser für die Abrechnung der Wahlleistung aus Krankenhausperspektive.
Es braucht daher dringend eine Weiterentwicklung der Strukturen hin zu einem sozialverträglichen Krankenversicherungs- und Abrechnungssystem, das Gestaltungsqualität für alle belohnt.
In der aktuellen Krise sind wir glücklich, über viele Betten und auch die Ein-Bett-Zimmer der Privatpatienten zu verfügen, statt radikalen Abbauempfehlungen gefolgt zu sein. Die Innenarchitektur profitiert dann auch von Stiftungen, die hilfreich Defizite in der Finanzierung füllen.
Komplexe Einflussfaktoren
Innenarchitektur steht immer im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit, Funktionalität und Aufenthaltsqualität. Es handelt sich um eine untrennbare Einheit, die die Prozessqualität des Gesundheitswesens beeinflusst. Zudem sind vielerlei Facetten relevant – von der Abrechnung über die Hygiene bis hin zur Verweildauer, wie in meinem Buch „Das Patientenzimmer der Zukunft“ (Birkhäuser) ausführlich geschildert.
Arbeit der Innenarchitekten
Über die Jahre gerieten ganz unterschiedliche Themen in den Fokus. Sie betreffen auch die Arbeit der Innenarchitekten: Mit Einführung der DRGs waren es die Privatpatientenzimmer, es folgten die demografische Entwicklung, Reha, Psychiatrie, Pädiatrie oder auch die Hygiene.
Dazu kommen Themen wie Universal Design und Barrierefreiheit, die Bedürfnisse des Personals im Kontext Fachkräftemangel oder auch multikulturelle Bedürfnisse, die sich jedoch nur langsam durchsetzen.
Material, Farbe, Form und Licht
Dabei besteht ein Raum aus den Komponenten Material, Farbe, Form und Licht und besitzt damit das Potenzial, subjektives Wohlfühlen, Geborgenheit, Vertrauen und Sicherheit zu schaffen. Auch innovative Materialien gibt es hier und da bereits, wobei Studien zugrunde liegen, die oftmals leider nicht frei von Interessenkonflikten sein können.
Patientenzimmer 4.0
Die Digitalisierung erweitert die Möglichkeiten, auch in der Innenarchitektur. Sie verspricht Wachstum im Gesundheitswesen und erhält durch die Covid-19-Krise einen lang erhofften Schub. Es ist sogar vorstellbar, dass die Technologiekonzerne etablierten Krankenhäusern Konkurrenz machen könnten, wenn sie es strategisch angehen.
Je mehr Geld in die IT des Gesundheitswesens fließt, desto mehr erscheint sie auch als einzige „Lösung“ und entfaltet damit Breitenwirkung. Eine Lösung vom Patientenzimmer der Zukunft hin zum Patientenzimmer 4.0 mit integrierter IT, KI und AI wäre in Zukunft denkbar, als Digitalisierung at its best.
Healing Environment für alle
Innenarchitektur im Krankenhaus, das ist eine komplexe Planungsaufgabe. Erst durch die ausgewogene Balance aus Funktionalität und Atmosphäre schafft sie ein bedarfsgerechtes, wahres Healing Environment.
„Woher kommen die Kranken?“ Antworten auf diese Frage sind wichtig, um den präventiven Ansatz zu verstehen. Denn Mangelerscheinung und Krankheiten werden provoziert durch eingeatmete Abgase, Rauchen, ungesunde Ernährung oder psychischen Stress.
Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit. Damit ist das Krankenhaus ein Abbild der Gesellschaft, Krankenhäuser die Kathedralen unserer Zeit.
Evidence Based Design
Um zu heilen, brauchen wir Räume, die kompromisslos funktional sind und gleichzeitig fundamentalen emotionalen Bedürfnissen gerecht werden. Die Räume sollten den Menschen ganzheitlich erfassen, statt folgenreich krank zu machen – körperlich durch im Krankenhaus erworbene Infektionen oder seelisch durch mangelnde emotionale Geborgenheit.
Menschliche Zuwendung ist kein romantisches Märchen, sondern etwas, das im Gesundheitswesen zunehmend fehlt und den entsprechenden Raum benötigt.
Gute Gestaltung hilft heilen
Evidence Based Design (EBD) unterstreicht den Effekt guter Gestaltung auf den Heilungsprozess. Da Technokraten dafür kaum Blick haben, braucht es auch in Zukunft Innenarchitekten, die beide Aspekte bei der Gestaltung berücksichtigen und gemeinsam mit den Entscheidern fortschrittliche Räume schaffen.
Zukunftsweisend kann es daher nur um ein humanzentriertes und stressfreies Healing Environment gehen, das alle Menschen – WL, RL, Angehörige und Personal – integriert, sämtliche Bedürfnisse bedient und bezahlbar ist.
Eine Umgebung, die durch ihre fortschrittliche Aufenthaltsqualität in der Innenarchitektur maßgeblich zur umfassenden Heilung bei möglichst kurzer Verweildauer beiträgt.
Ein spannendes Projekt ist das Patientenhotel in Eisenberg/Thüringen