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Handwerkliches Können

Ein Gespräch mit dem US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett
Handwerkliches Können

Handwerkliches Können
Viele Programmierer sehen sich als Handwerker, sie sagen, dass dem Programmieren eine Ästhetik innewohnt. Foto: Berry-van-der-Velden,-© unsplash
Wenn Richard Sennett von handwerklichem Können spricht, so meint er mehr als nur technische Praxis. Er beschreibt damit einen fundamentalen menschlichen Impuls, das Bestreben, eine Tätigkeit um Ihrerselbstwillen gut zu machen.

Das Interview wurde mit freundlicher Genehmigung des MAK auszugsweise dem Beitrag „Auch Musiker, Sportler und Programmierer sind Handwerker“ entnommen. Erschienen im Ausstellungskatalog „handWERK Tradiertes Können in der digitalen Welt“ (Herausgeber: Christoph Thun-Hohenstein, Rainald Franz, Tina Zickler, Vfmk Verlag für moderne Kunst, Wien 2016).

Was können die Menschen über sich oder ihre Kultur lernen, indem sie Dinge selbst machen?
Die meisten Dinge, die wir verwenden, machen wir nicht selbst. Eine der Herausforderungen beim Thema Handwerkliches  Können ist es, die Qualität von etwas zu verstehen, das ein anderer gemacht hat. In frühgeschichtlichen Zeiten wurden die meisten von den Menschen gebrauchten Gegenstände auch von ihnen selbst hergestellt.
Wenn wir also über Handwerk reden, dann reden wir eigentlich über die Nutzer des Handwerks sowie die Handwerker selbst. Heutzutage neigen wir zu der Annahme, dass Sachen, die einfach zu verwenden sind, am besten sind, aber das stimmt nicht immer. Manchmal sind die Sachen, die wir am besten gebrauchen können, solche, die von uns ein Verständnis dessen verlangen, wie ein Teil oder ein Ganzes tatsächlich gebaut ist. Und das ist eine große Herausforderung für das Handwerk von heute – wie man den Leuten bewusster machen kann, wie etwas gemacht ist.
Sehen Sie in dem Verlangen, etwas um seiner selbst willen zu tun, eine anthropologische Konstante?
Steht der Mensch vor der Wahl, etwas schlecht oder gut zu machen, wird er sich in der Regel für das Gutgemachte entscheiden. Das Problem ist, dass man diese Wahlfreiheit oft gar nicht hat und einen die Umstände – der Arbeitgeber, der Markt – zu lausigem Arbeiten zwingen. Wenn man sich dazu gezwungen sieht, verliert man mit der Zeit die Lust. Man erledigt alles, so gut es eben geht.
Ich denke, im Grunde haben die Menschen diese Wahlfreiheit. Sie wollen etwas lieber besser als schlechter machen. Das Problem für uns ist, dass diese Wahlfreiheit so eingeschränkt ist durch die herrschenden Verhältnisse – die Märkte und den Kapitalismus –, dass Mittelmäßiges entsteht. Ich würde nicht sagen, dass das am Arbeiter liegt, es liegt am System, wenn man schlechte Qualität bekommt.
Es fällt auf, wie viele Leute heutzutage die arbeitsfreie Zeit mit manuellen Arbeiten verbringen – es gibt eine gigantische „Do-it-yourself”-Bewegung. Warum?
Man kann das weiterdenken – man kann zwar nicht gut seinen eigenen Computer zusammenbasteln, aber man kann Software selbst programmieren. Hätte man beispielsweise ein Linux-Programm, könnte man die Programme, die man verwendet, selbst erstellen. Die meisten von uns tun das aber nicht. Wenn wir über Do-it-yourself reden, dann geht es um ganz einfache Sachen. Ich habe eine Menge Möbel gebaut, was ich sehr genossen habe, obwohl ich ganz schlecht darin bin. Ich mache es einfach, weil es mir Spaß macht.
Sie lehren in den USA und in Großbritannien. Wie erleben Sie die Beziehung zum Handwerk in Europa und den USA?
Ich denke, in Europa ist das ganz anders, denn die Handwerksausbildung ist auf einem viel höheren Niveau als in den Staaten. Das Ansehen des Handwerks in Amerika ist viel geringer. Es gibt wohl ein paar Ausnahmen – organische Landwirtschaft und dergleichen. Wer in den Vereinigten Staaten Handwerker wird, gilt als jemand, der es nicht an die Universität geschafft hat. Die USA werden stets als egalitäre Gesellschaft angesehen, aber ich glaube, das stimmt nicht. Wenn ein junger Mensch in Amerika Küchenchef wird, dann betrachtet man das als Trost dafür, dass er nicht an eine höhere Schule, an die Universität gehen konnte. Was mir Sorgen macht, ist die Tatsache, dass die Fachausbildung die wir den Handwerkern hier angedeihen lassen, von diesem neoliberalen Snobismus – so meine Meinung dazu – an die Wand gefahren werden könnte. Darin liegt eine Gefahr.
Das ist ein komplexes Thema, denn in der modernen Gesellschaft scheint die Idee der Erfindungsgabe, des etwas Erfindens, sehr zu verblassen. Da gibt es ein Genie, das etwas erfindet, und der Rest der Menschheit verwendet es. Das ist das immer gleiche Anti-Handwerk-Vorurteil. Es impliziert, dass gesellschaftliche Dynamik von oben kommt, und das ist schlicht falsch. Viele Erfindungen, die wir nutzen, kommen aus trivialen Tätigkeiten. Deshalb sollten wir es unterstützen, dass junge Menschen in handwerklichen Techniken ausgebildet werden. Am Ende ist das für eine Gesellschaft produktiver.
Lassen Sie mich dazu noch eines anmerken: Wir haben zu viele junge Menschen, die an die Universität gehen, und zu wenige, die ins Gewerbe gehen, und an der Universität gibt es keine Arbeit für die Leute, aber es gibt Arbeit für Leute, die handwerklich geschickt sind. Das Prestige folgt dem amerikanischen Modell: Kluge Menschen sollen an die Universität gehen und die Dummen werden Handwerker – das ist schrecklich.
Was ist Ihnen seit dem Erscheinen Ihres Buches ‚The Craftsman‘ im Jahr 2008 aufgefallen? Welche Entwicklungen zeigen sich seither?
Was mich seit dem Erscheinen meines Buches am meisten überrascht hat, ist, wie viele Menschen aus der digitalen Welt darauf reagiert haben. Programmierer, Leute, die Hardware bauen usw. sagen: „Wir sind auch Handwerker” und fügen an, dass sie starkem Druck von außen ausgesetzt sind, Mittelmäßiges zu leisten, alles bedienerfreundlich zu machen, ihre Produkte zu früh auf den Markt bringen müssen. Sie sagen auch, dass sie qualitativ viel hochwertigere Produkte machen könnten, wären die Voraussetzungen anders. Viele Programmierer sehen sich selbst als Handwerker, sie sagen sogar, dass dem Programmieren so etwas wie eine Ästhetik innewohnt – das kann ich nicht beurteilen.
Es gibt vielfältigste Bewegungen in der Hightech-Community. So ist zum Beispiel „Crafting Code” eine starke Bewegung in den Vereinigten Staaten unter Programmierern, die Besseres leisten wollen, als das, was sie bei diesen Digitalriesen tun können. Das hat mich am meisten überrascht. Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich an dem Buch The Craftsman schrieb, und die Reaktion aus der digitalen Community hat mich wirklich überrascht. Deswegen liegt hier ein wichtiger Denkansatz zum Verhältnis zwischen Hightech und Handwerk. Sie stellen keine Antithese dar, sind einander nicht entgegengesetzt. Auch wenn wir im digitalen Bereich arbeiten, gelten Standards für gute Arbeit – etwa langsam vorgehen, dem Rhythmus des unwillkürlichen Verhaltens folgen. Das gehört in die digitale Welt und die Hightech-Welt genauso wie zu jeder anderen Art von Tätigkeit. Hier geht es nicht um traditionelles Handwerk versus Hightech, Kontinuität ist gefragt. Hier, denke ich, liegt die Zukunft des Handwerks – im Verstehen, worum es in dieser Kontinuität geht. ←
Interview Rainald Franz, Tina Zickler
Das Interview zum Thema Handwerkliches Können wurde mit freundlicher Genehmigung des MAK auszugsweise dem Beitrag „Auch Musiker, Sportler und Programmierer sind Handwerker“ entnommen. Erschienen im Ausstellungskatalog „handWERK Tradiertes Können in der digitalen Welt“ (Herausgeber: Christoph Thun-Hohenstein, Rainald Franz, Tina Zickler, Vfmk Verlag für moderne Kunst, Wien 2016).
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