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Die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten steigt – das ist gerade überall zu sehen. Da kann es nicht schaden, mit griffigen Narrativen zu arbeiten, die im Gedächtnis bleiben, vor allem bei einem eher trockenen Thema wie textile Bodenbeläge und Recycling.
Zurückgelassene Fischernetze, die zu einem nachhaltigen Nylongarn verarbeitet werden und im besten Fall einen wertvollen Beitrag zum Umweltschutz leisten, sind solch gut verständliche Erzählmuster, mit denen Teppichbodenhersteller Aufmerksamkeit generieren.
Nylongarn für Teppichfliesen
Aus einer einzigen Tonne zu Nylongarn verarbeiteter Geisternetze entstehen 900 m² Teppichfliesen.
Doch wie hoch genau ist eigentlich der Anteil recycelter Fischernetze an Nylongarnen, wollten wir wissen. Das italienische Unternehmen Aquafil produziert synthetische Fasern, darunter das Nylongarn Econyl – für die Modeindustrie und für Hersteller textiler Bodenbeläge wie Interface, Tarkett und Object Carpet.
Geisternetze aus dem Ozean
Da Econyl zu 100 % aus recycelten Nylonabfällen (Polyamid 6) besteht, verbraucht es keine zusätzlichen Ressourcen und ist ohne Qualitätsverlust außerdem selbst recycelbar. Dieser Nachhaltigkeitsaspekt wird auch kommuniziert – meist jedoch ohne den Hinweis, dass Econyl nur zu rund 10 % aus zurückgelassenen Fischernetzen besteht – und der weitaus größere Teil aus Abfällen wie Textilresten, Industriekunststoffen und gebrauchten Teppichböden.
Anteil an recycelten Fischernetzen ist gering
Trotzdem der Anteil an recycelten Fischernetzen am Econyl-Garn verhältnismäßig gering ist, entfaltet sich rund um das Fischernetz-Recycling eine ganz eigene kommunikative Welt: Geschichten von der Rettung der Meere, einer sauberen Kreislaufwirtschaft und Hilfe zur Selbsthilfe in ärmeren Regionen dieser Welt.
Initiative Healthy Seas
Object Carpet und Tarkett beispielsweise unterstützen die Initiative Healthy Seas – A Journey from Waste to Wear, die vor sieben Jahren von der Non-Profit-Organisation Ghost Diving sowie den Unternehmen Aquafil und Star Sock ins Leben gerufen wurde.
Geisternetze: Gefahr für die Tierwelt
Die Idee: Aufmerksamkeit zu gewinnen für die Verschmutzung der Meere durch Tonnen entsorgter Fischernetze, die sich auch nach Jahrhunderten nicht zersetzen und als sogenanntes Mikroplastik eine große Gefahr für die Tierwelt sind.
Die Geisternetze werden durch freiwillige Taucher der Organisation Healthy Seas in Nordsee, Mittelmeer und Adria eingesammelt – bisher immerhin knapp 500 t. Eine weitere Initiative hat der amerikanische Hersteller Interface 2012 zusammen mit Aquafil und der Geological Society of London (GSL) gestartet.
Net-Works bezeichnet sich als „integrationsförderndes Geschäftsmodell“, das Dorfgemeinden in der Küstenregion des Danajon-Riffsystems auf den Philippinen und im Ossa-See in Kamerun dabei unterstützt, Geisternetze einzusammeln und mit dem Verkauf das eigene Einkommen aufzustocken.
Ökologische und soziale Verantwortung
Weitere soziale Faktoren sind die explizite Förderung von Frauen sowie eine Sensibilisierung der einheimischen Bevölkerung für den Umweltschutz.
Dabei werden die gesammelten Fischernetze vor Ort von grobem Unrat gereinigt, mit einer mechanischen Verpackungsmaschine zu Ballen gepresst und anschließend nach Europa geschickt. 52 t Post-Consumer-Fischernetze konnte Net-Works bisher sammeln und zum Recyceln an den Garnlieferanten Aquafil liefern (Stand 2018).
„Hinter dem Projekt steht eine ökologische und soziale Verantwortung, gleichzeitig muss es aber auch wirtschaftlich profitabel sein“, sagt Anne Salditt, Marketing Director Central Europe bei Interface.
Nachhaltigkeit und Recycling
Gerade an diesem Beispiel zeigt sich die Komplexität von Nachhaltigkeit und Recycling in der Teppichbodenindustrie. So wäre es beispielsweise interessant zu erfahren, auf welchen Transportwegen die gesammelten Fischernetze zum Produktionsstandort von Aquafil kommen, was gerade bei weit entfernten Ländern wie den Philippinen oder Kamerun wichtig ist für den ökologischen Fußabdruck.
Meer auf dem (Teppich-)Boden
Auch die Kommunikation rund um den Anteil recycelter Materialien an den Bodenbelägen bleibt zuweilen im Vagen. Wohl vor allem deshalb, weil die meisten Bodenbeläge bisher nur zu einem überschaubaren Anteil aus recycelten Materialien bestehen.
Die meisten im Markt üblichen Teppichrücken beispielsweise sind mit Bitumen- und PVC-Anteilen versehen und damit alles andere als nachhaltig – wobei es mit Ecotrust von Ege Carpets und EcoBase von Tarkett Ausnahmen gibt, die aus Recycling-Materialien gefertigt sind.
Luft nach oben
Mit der zunehmenden Nachfrage nach nachhaltigen Produkten wächst auch der Anteil an recycelten Materialien bei textilen Bodenbelägen, sagt Mara Linn Becher, Regional Sustainability Manager DACH bei Interface.
Dass Initiativen wie Healthy Seas und Net-Works helfen, recycelbare Kunststoffe zu sammeln und damit zum Umweltschutz beitragen, ist unbestritten. Und bei rund 640 t Fischernetzen, die laut eines Berichts der Vereinten Nationen jedes Jahr in den Weltmeeren entsorgt werden, ist durchaus noch Luft nach oben.
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