In Saarbrücken ist ein Start-up auf dem besten Weg, die Möbelproduktion umzukrempeln. Okinlab verbindet digitale mit physischer Wertschöpfung, setzt auf dezentrale Fertigungsprozesse, Losgröße Eins und Produkte mit eingebauter Individualisierung.
Das 20-köpfige Team, zu dem nicht nur sieben Gestalter zählen, sondern auch Informatiker und Betriebswirtschaftler, hat dafür eine digitale Plattform entwickelt. Sie heißt „Form.bar“.
Einfacher Möbelkonfigurator
Hinter der gleichnamigen Website verbirgt sich ein Konfigurator, mit dessen Hilfe sich Regale, Sideboards oder Tische in ihren Abmaßen einfach und schnell den eigenen Vorstellungen oder Gegebenheiten anpassen lassen.
Zusätzlich öffnet sich das Programm für formale Variationen: per Mausklick schwingen Regale, Raumteiler oder Sideboards vertikal und horizontal ein oder aus, erhalten auskragende Elemente oder gleich eine halbrunde Gesamtform.
Spielerisches Austesten mit Online-Konfigurator
„Nur etwa 15 Prozent der Bestellungen sind klassisch orthogonal“, sagt Nikolas Feth, zusammen mit Alessandro Quaranta Gründer und Geschäftsführer von Okinlab.
Die Online-Konfiguration ermöglicht das spielerische Austesten unterschiedlicher Varianten, die Software ist intuitiv bedienbar, arbeitet fast verzögerungsfrei und präsentiert sofort die Kosten der jeweiligen Kreation. Das ist nicht nur komfortabel, sondern vor allem transparent.
Produktion vor Ort
Im Hintergrund analysiert das Programm die statischen Rahmenbedingungen, fügt – wenn notwendig – weitere Elemente ein oder blockiert instabile Wünsche. Diese Software ist so etwas wie der Kern des Unternehmens. Ohne sie würde das ganze Geschäftsmodell nicht funktionieren.
„Wir entwickelten zwei Jahre lang, bis wir eine erste webfähige Version hatten“, erläutert Feth. „Jetzt optimieren wir permanent und bauen die Möglichkeiten weiter aus.“
Damit die Anpassungen quasi in Echtzeit auf dem Monitor des potenziellen Kunden landen, nutzt Form.bar parametrische 3D-Modelle der jeweiligen Möbel. Auch die entstanden in Eigenregie.
Partner von Okinlab
Ein wichtiger Fakt: Form.bar stellt keine Möbel her, sondern verschickt Daten. Und zwar an lokale Produzenten, die aus den Konfigurator-Daten die realen Möbel fertigen. Rund 70 solcher Partner hat Okinlab derzeit auf der Liste, allesamt mittlere und kleine Schreinerbetriebe, quer über Deutschland verteilt.
Schreiner partizipiert am Online-Markt
„Wir nutzen sowieso vorhandene Maschinenkapazitäten und verbessern die Auslastung der teuren CNC-Fräsen bei den Handwerkern“, betont der Okinlab-Chef.
Das habe seinen besonderen Reiz. „Der Schreiner partizipiert am Online-Markt, ohne selbst einen Shop unterhalten zu müssen.“ Somit produziert er im Auftrag und auf Rechnung von Okinlab – zu den von der Plattform vorgegebenen Preisen. Dafür winkt dem Handwerker neben besserer Maschinenauslastung der direkte Kontakt zum Besteller – schließlich liefert er die Ware selbstständig aus.
Datenübergabe
Das eröffnet dann interessante Folgeaufträge oder Weiterempfehlungen. Wichtig für Okinlab: Der Produktionspartner muss jeweils über eine moderne CNC-Maschinenausstattung verfügen, zuverlässig innerhalb von drei Wochen nach Datenübergabe liefern und gute Arbeit leisten.
Werkstoffe on Demand
Womit sich die Frage der Qualitätssicherung bei dezentraler Fertigung stellt. „Am Anfang hatten wir Sorgen in dieser Richtung und erstellten daher detaillierte Fertigungsrichtlinien“, gesteht Feth, „aber die Problematik hat sich als viel einfacher erwiesen“. Weil die Partner persönlich eingebunden sind, sei deren Qualitätsbewusstsein hoch, die Reklamationsquote minimal.
Anwendung des Steckprinzips
Finnische Multiplex-Platten mit unterschiedlichen Beschichtungen oder Furnieren dienen als bevorzugtes Material. Es sei, betont der Okinlab-Chef, mit nahezu allen CNC-Frästechniken kompatibel und ermögliche die Anwendung des Steckprinzips auf alle Möbelteile.
Um die Verfügbarkeit der Plattenware zu gewährleisten, beziehen die Produktionspartner das Material bedarfsweise über einen angedockten Händler. Das erspart umfangreiche Lagerhaltungen.
Form.bar nutzt MDF und Kunststoffe
„Wir können natürlich auch andere Plattenwerkstoffe einbeziehen“, sagt der Okinlab-Chef. Er verweist zum Beispiel auf MDF oder Kunststoffe. Mit einem filzähnlichen Vlies aus recyceltem PET lassen sich die Möbel obendrein noch akustisch wirksam ausrüsten – eine nicht nur für Büroanwendungen interessante Option.
Wie spannend das Konzept für Handwerker ist, zeigt sich vor dem Hintergrund, dass die meisten Betriebe aus eigenem Interesse Kontakt mit Okinlab aufnahmen. Vor allem nach der Nominierung zum Deutschen Gründerpreis 2016 gab es einen starken Anfrageschub.
Plattform-Ökonomie
Okinlab startete 2013, das Gründerstipendium des Exist-Programmes floss in den Konfigurator-Prototypen und den Businessplan. 2014 stieg der erste Investor ein, 2018 der zweite. Kapital ist wichtig – für die Technikentwicklung, aber auch für das Marketing, um im Web wahrgenommen zu werden.
Was ebenfalls Kosten verursacht ist Wachstum. Denn in der Plattform-Ökomomie entscheiden Größe, Reichweite und Bekanntheit über Erfolg und Relevanz.
Form.bar blieb lange unter dem Radar
Aktuell sind die Saarbrückener in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv, andere europäische Länder sollen bald dazukommen: „Wir analysieren derzeit die Märkte und mögliche Geschäftsmodelle“, berichtet Feth. Noch befindet sich das Unternehmen mit seinem digitalen Prozessmodell unter dem Radar großer Unternehmen, dürfte aber bereits unter aufmerksamer Beobachtung stehen.
3D-Modelling-Kompetenzen
Auch wenn sich Form.bar primär an Endkunden wendet, bleibt der B2B-Markt nicht ganz außen vor. Okinlab bietet derzeit einen ebenfalls online nutzbaren Profi-Konfigurator mit erweiterten Gestaltungsoptionen. Anders als beim Endkundenmodell erstellt das Unternehmen hier jedoch nur den Datensatz des projektierten Möbels, schickt diesen an den Planer, der dann zum Produzenten geht.
3D-Modelling-Kompetenzen
Okinlab bleibt also in der Rolle des klassischen Dienstleisters mit 3D-Modelling-Kompetenzen und rechnet mit dem Partner ab. Der Rest bleibt Sache zwischen Planer und Produzent.
Während die Endkundenschiene einen hochintegrierten digitalen Prozess abbildet, entspricht die Profischiene dem klassischen Ablauf. Das allerdings könnte sich vor dem Hintergrund der Expansion des Unternehmens schnell ändern – die Strukturen sind ja vorhanden.
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