Baukultur und langlebige Nachhaltigkeit stehen aufgrund des Baubooms in Deutschland nicht im Fokus der Entwicklung von Architektur. Auf der Architekturbiennale in Venedig zeigt der dänische Pavillon, wie Architektur eine Baukunst für alle sein kann.
Alles schnell, günstig und flexibel
Wenn man in diesen Tagen durch die Straßen unserer Metropolen geht, sieht man überall Baustellen. Alte Häuser werden abgerissen und neu gebaut, saniert, umgebaut, oder angebaut. Ganze Viertel mit Wohnungs- oder Gewerbebauten werden aus dem Boden gestampft. Architektonische Baukultur entsteht dabei meistens nicht, da der Qualitätsbegriff der Beteiligten von sehr unterschiedlichen Interessen geprägt ist. Unsere Städte wachsen vielerorts rasant. Wohnungen müssen gebaut werden, Kindergärten, Schulen und Arbeitsplätze. Alles schnell, günstig und flexibel.
Die rauschhafte Nervosität der politischen Nachrichten beeinflusst auch den Bausektor. Dabei beklagen wir den Mangel an Zeit, die Konzepte durchdacht zu entwickeln, den Mangel an Freiräumen, andere Lösungsansätze zu diskutieren und den Mangel an Material-, Detailqualität und Ästhetik, obwohl dies für Strategien der Nachhaltigkeit entscheidend ist.
Gesichtslose Bauten seit Jahrzehnten
Es ist eine große Diskrepanz zwischen den Erkenntnissen, wie lebhafte urbane Städte sein sollen, und der Umsetzung mit immer der gleichen Bauträgerarchitektur. Eine wärmegedämmte Wand mit dreifachverglasten Fenstern. Gesichtslose Bauten seit Jahrzehnten. Mehr ist es meistens nicht, was selbst in Wettbewerben mit namhaften Architekten und Jurymitgliedern, mit bekannten Bauträgern und engagierten Politikern herauskommt. Man spürt die Absicht, nur sieht man es dem Gebauten nicht an und die Wirkung für die Gesellschaft ist eher negativ. Es fehlt an Experiment, sowohl bei den Nutzungsmöglichkeiten, aber auch bei der architektonischen Gestalt.
Architekten sollen Freiheit zum Experiment erhalten
Eben dieses hat der Bundespräsident als Auftrag an seine Bauministerin eingefordert. In seiner Ansprache bei seiner Matinée zu Ehren der Architektur im letzten Jahr wünschte er sich “dass unsere Architekten nicht nur vorschriftsmäßig bauen, sondern auch die Freiheit zum Experiment erhalten. Gerade der öffentliche Bauherr könnte mit gutem Beispiel vorangehen, könnte neue Wege ausprobieren, kreative Lösungen ermutigen, Ungewohntem eine Chance geben.”
Fassadengestaltung zeigt den Bürgern den Arsch
Schaut man sich aber die Bundesbauten in Berlin an, muss man das Gegenteil feststellen. Die mit schmalen Schlitzen durchgerasterten Fassaden, nennt der Journalist Till Brigleb “Coin-Slot-Fassaden”. In seiner Kolumne für das Kunstmagazin Art ‘Sofort wieder Abreißen’ schreibt er, “dass mit dieser Fassadengestaltung der Staat den Bürgern den Arsch zeigt, ähnlich der Arschschlitze, die bei tief hängenden Hosen herausschauen …”
Aber Joachim Gauck hat noch etwas Wichtiges gesagt: beispielhafte Architektur, “wie beim Münchener Olympiadach von Frei Otto, (die) das ideale Selbstgefühl eines ganzen Landes zum Ausdruck bringen. So wie dieses Dach würden wir unseren Staat und unser Land gerne sehen: souverän und schwungvoll, behütend und transparent, sicher gegründet und voller Leichtigkeit.”
Was Architektur vor über 40 Jahren für Deutschland geleistet hat, vermisst man heute landauf und landab.
Dänemarks Architektur verbessert das Leben der Menschen
Schauen wir uns aber auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig die Ausstellung im dänischen Pavillon an, sieht man, wie Dänemark traditionell auf das fokussiert ist, was Architektur für den Menschen leisten kann. Hier erlebt man wie Kindergärten, Krebszentren und Kraftwerke, aber auch Städte in einer Art und Weise geplant werden, dass es hochwertigen öffentlichen Raum und Platz für alle gibt und die gebaute Umwelt das Leben des Menschen verbessert.
Architektur pragmatisch, spielerisch und poetisch
Die Architektur ist pragmatisch, spielerisch und manchmal auch poetisch. In Dänemark wurde ein demokratischer Wohlfahrtsstaat im wörtlichen Sinne gebaut und gezielt mithilfe von Architektur entwickelt. Bevölkerung, Behörden, private Bauherren und Politiker haben generell Verständnis dafür, dass gebaute Umwelt unser Leben und unsere Möglichkeiten beeinflusst – und somit auch die Wirtschaft, die Wettbewerbsfähigkeit und das Bruttosozialprodukt.
Der Katalog, mit 130 Projekten, könnte auch als Inspiration für die nächste Architekturreise nach Norden dienen, wie man mit Architektur die Lebensqualität einer Gesellschaft fördern kann. Nicht nur für Architekten, sondern auch für deutsche Politiker, Entscheidungsträger und Behörden, die alle Deutschland bauen.
Autor Amandus Samsøe Sattler
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