Immer häufiger tauchen Touristen mit Rollkoffern und spezifischen Erwartungen in reinen Wohngegenden auf − Vorboten jener Sharing-Ökonomie, die zerstörend nicht nur auf Teile der Hotellerie, sondern stärker noch auf Mietverhältnisse wirkt.
Digitale Plattformen machen das (Unter)vermieten von und für jedermann zur Angelegenheit von ein paar Klicks. Es begann als Wohnen zu Gast bei Privatleuten, die vorübergehend oder dauerhaft dem Markt ungenutzten Raum zur Verfügung stellten, den sie selbst nicht brauchen.
Viele Städtereisende von heute – und keineswegs nur die der Generation Y oder Z – möchten nicht im Privathotel oder gar der Hotelkette unterkommen. Das Versprechen, überall auf der Welt vergleichbare Standards vorzufinden, ist für sie der blanke Horror.
Sie möchten übernachten, wo der Normalbürger wohnt und sind auf der Suche nach der Exotik des Alltäglichen. Das Dilemma ist, dass dabei genau das, was sie vermeintlich lieben, kaputtzugehen droht: Abwechslungsreiche Wohnviertel, die nicht auf touristische Bedürfnisse abgestimmt sind, sondern auf den Alltag der Bewohner. „Travel like a human“, war einer der ersten Werbeslogans von Airbnb.
Widerstand regt sich
Attraktive Städte wie Amsterdam, Barcelona, Berlin, Paris oder San Francisco, die zudem unter einem eklatanten Mangel an preiswerten Wohnungen leiden, setzen sich daher mit wechselndem Erfolg gegen Sharing-Plattformen wie Airbnb zur Wehr. Der Konzern organisiert seine Nutzer in Communities, die vor Ort Lobbyarbeit machen.
Neben dem juristischen Instanzenweg, gibt es daher einige Kooperationsverträge auf lokaler Ebene, die dem digitalen Reisegiganten ein paar Zugeständnisse abtrotzen.
Wenigstens Steuern und Kulturabgaben sollen die neuen Akteure auf dem Immobilienmarkt zahlen und die Mietobjekte wie Reisende entsprechend den Gesetzen registrieren. Immer wieder verloren „Gastgeber“ – so nennt Airbnb die Vermieter – ihre Wohnungen, da sie sich über Verbotsklauseln ihrer eigenen Mietverträge hinwegsetzten. Wo der Druck auf den Immobilienmarkt besonders groß ist, scheinen die wilden Zeiten der Sharing-Plattformen gezählt.
Die haben längst nichts mehr mit idealistischen Projekten wie dem seit 1949 bestehenden Netzwerk „Servas“ zu tun. Studenten riefen es damals in Dänemark als Reaktion auf die Kriegskatastrophe ins Leben, bis heute fördert es Völkerverständigung auf Basis privater internationaler Reisekontakte. Es gibt keinen pekuniären Profit, alle Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich.
Andere Zeiten, andere Regeln: Gerade mal neun Jahre ist es her, dass die Plattform Airbnb entstand. Die Industriedesigner Brian Chesky und Joe Gebbia (mit zusätzlichem Abschluss in Grafikdesign) riefen sie aus akutem Geldmangel ins Leben. Die beiden Berufsanfänger hatten an der Rhode Island School of Design studiert und wollten es Steve Jobs oder Yves Béhar gleichtun und als unternehmerisch denkende Gestalter die Welt verändern. Als sie sich ihr Apartment in San Francisco nicht mehr leisten konnten und der Zahltag immer näher rückte, vermieteten sie während eines nationalen Designerkongresses Schlafplätze auf Luftmatratzen (daher der ursprüngliche Name „AirBed & Breakfast“).
Airbnb, ein veritables Erfolgsmodell
Vergleichbare Plattformen gab es bereits. Neu waren der gestalterische Anspruch der Website und die Möglichkeit Ferienwohnungen oder -häuser nicht mehr nur auf dem Land oder an klassischen Urlaubsorten, sondern inmitten der Städte und Wohnquartiere anzubieten und zu buchen. Inzwischen wurde daraus der weltweit größte Akteur des Wohn-Sharings. Das Problem: Immer mehr werden ganze Wohnungen vermietet, ein erheblicher Teil der „Gastgeber“ sind kommerzielle Vermieter mit mehreren Wohnungen, was selbst den Regeln von Airbnb widerspricht, vor allem aber den Zweckentfremdungsverboten für Wohnraum.
Stand Mai 2017 vermittelt Airbnb in 191 Ländern und 165 000 Städten weltweit. Bislang buchten rund 150 Millionen Gäste. Geschätzt 3 Millionen Wohnofferten gibt es inzwischen. Tendenz: rasant steigend. Seit dem zweiten Quartal 2016 schreibt Airbnb schwarze Zahlen.
Zur Sharing-Economy gehört extreme Geheimniskrämerei, was exakte Zahlen angeht. Das nach Uber größte Start-up ist derzeit 31 Mrd. US-Dollar wert und erhielt bislang Kredite von rund 3 Milliarden, um seine Expansion voranzutreiben. Im Februar übernahm Airbnb „Luxury Retreats“ einen Vermittler edler Ferienwohnungen für geschätzt 300 Millionen Dollar. Die Hotel- und Reisebranche zittert, inwieweit es Airbnb gelingen wird, andere Bereiche der Reisekette zu kapern. In London beispielsweise wird die Angebotsdauer für die Vermietung ganzer Wohnungen auf 90 Tage pro Jahr limitiert. Zugleich können dort „Ereignisse“ gebucht werden, Führungen zur Street-Art oder den angesagten Shops der Reichen und Schönen, Gin-Verkostung im Park sowie das Zusammenbauen exzentrischer Hüte unter Anleitung, So erschließt sich ein digitaler Konzern neue Einnahmequellen, indem er jenes Stöbern und Entdecken kommerzialisiert, mit dem sich Individualität einst entwickelte – und nicht durch ein paar Klicks zusammenkaufen ließ. Vielleicht sollten wir besser Roboter auf Reisen schicken.