Autor Jörg Zimmermann
Denn welche Produkte haben eigentlich die Bezeichnung Neuheit verdient? Routiniert präsentieren die Hersteller zum Jahresbeginn in Köln, was aktuell verkaufsträchtig erscheint, und hängen mit ungebremster Vorliebe reihum das Label „Neuheit“ an. Doch können wir bereits von einer Neuheit sprechen, wenn Farbe oder Material eines Objektes variiert werden? Wünschen wir uns hier nicht eine kleine Prise Überraschung mehr? Verbunden auch mit der Frage, ob das allgegenwärtige Lechzen nach Neuheit dem mehr als notwendigen Streben nach Nachhaltigkeit nicht entgegensteht?
Verbundenheit zur Natur
Besonders verbreitet scheinen „Neuheiten“, die den simplen Farbwechsel zelebrieren. Orientierungspunkt ist regelmäßig die ausgerufene Trendfarbe des Jahres. Deshalb setzen für 2019 viele Hersteller vor allem bei Stoffen, Polsterbezügen und Kissen auf „Living Coral“. Doch beim Streifzug durch die Kölner Messehallen waren auch andere Farbrichtungen zu entdecken.
Erd-, Braun- und Grüntöne in unterschiedlichsten Schattierungen thematisieren eine Verbundenheit zur Natur und knüpfen an den von einigen Designern und Experten als schwächer werdend eingestuften Trend zur skandinavischen Gemütlichkeit von „Hygge“ und „Lagom“ an. In der Tat scheint die nordische Ästhetik ihren Platz gefunden zu haben, und der ist heute und morgen nicht mehr zwingend an vorderster Front.
Farbe scheint grundsätzlich an Bedeutung zu gewinnen
Auch das Bauhaus mit dem diesjährigen Jubiläum ist Anlass zum Farbenmix. Kräftig-bunte Töne – Rot, Blau, Gelb – sowie Grau, Weiß und Schwarz finden sich bei Entwürfen aus der Bauhaus-Ära und solchen, die Anlehnung an den Mythos suchen. Ob es nun „Strahlend grau“ wird wie bei Richard Lampert mit neu aufgelegten Entwürfen von Herbert Hirche oder eine edle schwarze Verchromung der limitierten Sonderedition des Barcelona Chair bei Knoll einen zeitgemäßen Akzent verleiht – Farbe scheint grundsätzlich an Bedeutung zu gewinnen. Bei Tecta erhält der Direktorensessel F51 ein buntes Stoffkleid (Design: Katrin Greiling) und Thonet verordnet zum 200-jährigen Bestehen gar dem Stuhl-Klassiker 214 eine modische Zweifarbigkeit (Design: Studio Besau Marguerre).
Kampf zwischen minimalistischer Zurückhaltung und opulentem Schwelgen
Der verstärkte Einsatz von Farbe, der sich schon einige Zeit bei der Raumgestaltung an den Wänden abspielt, wird nun bis ins Detail bei den Möbeln probiert. Steht uns also ein umfassender Kampf zwischen minimalistischer Zurückhaltung und opulentem Schwelgen bevor? Ein Hinweis darauf könnte auch die Erweiterung der Stoffpalette liefern. Neben robusten Wollstoffen sind samtig-glänzende Oberflächen ebenso dabei wie vereinzelt Interpretationen des Cords und plüschig-weiche Teddy-Strukturen.
Allgegenwärtige Retrospektiven eine Hommage an die Nachhaltigkeit?
Ein tragfähiges Statement für die Zukunft wird mit solcherlei Experimenten aber nicht erreicht. Die Zeit der Rückschau und der unermüdlichen Archivrecherche scheint noch immer nicht überwunden. Vielleicht müssen erst das Bauhaus und die unausweichlichen Jubiläumsaktivitäten als historischer Resonanzraum abgeschlossen werden, bevor der Blick unverstellt in eine neue Richtung gehen kann. Oder sollte man die allgegenwärtigen Retrospektiven, die gerne mit allen möglichen Jubiläen kombiniert werden, als Hommage an die Nachhaltigkeit verstehen? Kann jedoch die fortlaufende (Wieder-) Belebung alter, wohlmöglich bisher zu Recht nicht beachteter Entwürfe als verantwortungsvolles Gegenszenario zu neuen Gestaltungsversuchen gelingen?
Im Takt des Zeitgeists schwingen
Ohne Zweifel bleiben solche Rückwege nicht. Schon bei der Ankündigung der Neuauflage des Eames Side Chair DSR mit Fiberglasschale mußte Vitra sich einige Fragen zur Umweltverträglichkeit des Materials gefallen lassen, die bis heute im wesentlichen mit den Kräften des Marktes beantwortet wurden. Hoffnung kommt jedoch auf, wenn verbrauchte Mechanismen durchbrochen werden und radikaleren Erneuerungen Platz machen. Beispiel Burgbad: RGB nennt der traditionelle Hersteller von Badmöbel das von Stephan Diez entwickelte Programm, das frisch, farbig, unverbraucht daherkommt und neue Potentiale für das Unternehmen mehr als erahnen lässt.
Interessant wird es auch, wenn traditionsreiche Hersteller ihre Ausrichtung neu justieren, in der Kommunikation und auch im Portfolio ganz im Takt des Zeitgeists schwingen, ohne modisch zu sein. Solche eine Metamorphose ist Fritz Hansen beim ersten Auftritt im neuen Gewand gelungen. Bei anderen Traditionsunternehmen wünscht man sich eine ähnliche schlüssige Fortschreibung der Unternehmensidentität schon länger mehr als dringend herbei.
Fazit
Ganz im Zeichen allerlei Jubiläen startet die Möbelbranche mit der imm cologne ins Jahr 2019. Dominierend gibt das Bauhaus bei vielen Aktivitäten und Portfolios den Takt vor. Nur vereinzelt sind neue Wege in Design und Markenauftritt zu entdecken, die nicht zwingend durch das Unternehmensarchiv führen sondern neue Gestaltungsmöglichkeiten probieren.
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