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Home Stories

Was bleibt nach Corona? Wie wohnen, das ist die Frage
Home Stories im Vitra Design Museum

Anhand von 20 Interieurs – realen, temporären und fiktiven – thematisiert das Vitra Design Museum, wie sich die Vorstellung vom Wohnen in den letzten hundert Jahren verändert hat. Coronabedingt musste die Ausstellung schliessen. Doch die Fragen stellen sich weiterhin – oder sogar mit anderer Nachdrücklichkeit

Wie wohnen? Mit dieser Frage warb ein Plakat 1927 für die Werkbundausstellung. Wie zeitgenössisches Wohnen aussehen könnte oder sollte, das zeigten die Initiatoren an den verschiedenen Standorten in Stuttgart. Wie nicht, das veranschaulichte das Plakat: Ein dickes rotes X beförderte ein muffiges bürgerliches Interieur, vollgestopft mit Stilmöbeln und Teppichen, ins funktionale und ästhetische Jenseits.

Deutsches Durchschnittswohnzimmer

Anlässlich der Eröffnung von Home Stories, der jüngsten Ausstellung des Vitra Design Museum, zeigte Arno Brandlhuber im Februar in Weil am Rhein Fotos eines deutschen Durchschnittswohnzimmers, das die Agentur Jung von Matt seit 2004 streng nach statistischen Angaben in ihren Hamburger Räumen aufbaut und inzwischen mehrfach aktualisiert hat.

Zwar bleiben technische Entwicklungen nicht ohne Folgen auf die Möblierung, in geschmacklicher Hinsicht aber zeigen sich die Ensembles relativ wandlungsresistent. Gute Kandidaten also für ein heutiges rotes X.

Statt Verdichtung Social Distancing

Wenige Tage nach der Eröffnung wurde die Ausstellung geschlossen, und ironischerweise beginnt nach dem Postulat der Verdichtung das des Social Distancing den Diskurs zu bestimmen. Seither trennen wir privat und öffentlich deutlich früher als zuvor, auch wenn Videokonferenzen zumindest visuell die privaten Wohnumgebungen deutlicher als je zuvor in die Öffentlichkeit holen.

All diese Fragen liessen sich auch in der Ausstellung thematisieren – offiziell liefe sie noch bis zum 23. August. Und wie alle Vitra-Ausstellungen wird sie auch an anderen Orten der Welt zu sehen sein. So wir denn in naher Zukunft diese erreichen können. Zurück zu Brandlhuber.

Anti-Villa von Brandlhuber

Dass Brandlhuber sein wohl bekanntestes Projekt Anti-Villa genannt hat, beweist, dass er nicht viel von dem hält, wie heute im Allgemeinen gewohnt wird. Die Anti-Villa in Krampnitz bei Potsdam ist das Gebäude einer aus DDR stammenden Trikotagefabrik. Keine Schönheit, aber eine Raumhülle, die zu bewahren sich aus mehreren Gründen lohnte.

Home Stories, Vitra Design Museum
Brandlhuber+ Emde, Burlon, die Antivilla, Krampnitz, Deutschland, 2010–15 Courtesy of Brandlhuber+ Emde, Burlon. Foto: Erica Overmeer / VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Weil sich bei einem Neubau die erlaubte Nutzfläche von 400 auf 100 Quadratmeter reduziert hätte. Weil Abriss bedeutet hätte, graue Energie zu verschwenden und mehr investieren zu müssen. Und weil der Erhalt mehr Platz für ein informelles Wohnen bedeutete. Gewissermassen wird in der Anti-Villa wie auf einer Plattform gewohnt, die je nach Jahreszeit und Anwesenden unterschiedlich bespielt wird.

20 Interieurs aus 100 Jahren

Als zeitgenössisches Beispiel dafür, wie Konventionen des Wohnens in Frage gestellt werden können, passt die Anti-Villa perfekt an das Ende der Ausstellung Home Stories, die anhand von 20 Interieurs veranschaulichen will, wie sich das Wohnen in den vergangenen 100 Jahren verändert hat.

Home Stories, Vitra Design Museum, Villa Tugendhat
Ludwig Mies van der Rohe, Villa Tugendhat, Brno, Czech Republic, 1930 © Archive Štenc Praha/ VG Bild-Kunst Bonn, 2020

Jasper Morrison und Jopeph Grima im Boot

Denkt man zurück an die Villen der klassischen Moderne, von denen Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn (1928–30), Adolf Loos Haus Müller in Prag (1928–30) und Josef Franks Villa Beer in Wien (1929–31) in der Ausstellung vorgestellt werden, so ist der These von Kurator Jochen Eisenbrand zuzustimmen, dass Architekten heute kaum noch mit der Gestaltung von privaten Innenräumen betraut werden.

Home Stories, Vitra Design Museum
Josef Frank, Villa Beer, Vienna, Austria, 1929–31 © MAK

Er hat sich zwecks Austausch und Beratung bei zwei Personen Hilfe geholt: bei Jasper Morrison und bei Joseph Grima, der auch mit seinem in Genua beheimateten Büro Space Caviar für die Gestaltung der Ausstellung verantwortlich ist.

Reales, Temporäres und Fiktives

100 Jahre Interieurgestaltung anhand von 20 ausgewählten Beispielen zu präsentieren, ist eine Herausforderung. Objektiv richtig: unmöglich. Subjektiv: denkbar, aber angreifbar. Insgesamt ist die Wahl, die Eisenbrand und sein Team gewählt haben, zumindest das, was eigentlich das beste ist: inspirierend. Und dass, weil Reales, Temporäres und Fiktives hier zusammengebracht werden.

Home Stories, Vitra Design Museum
Alison and Peter Smithson, House of the Future, 1956 © Daily Mail

Also zum Beispiel das House oft he Future von Alison & Peter Smithson, 1956 in London auf der Daily Mail Ideal Home Exhibition präsentierte, mit der Villa Arpel aus Jacques Tatis Film Mon Oncle (1958), eine Parodie auf Purismus und technische Automation der Moderne.

Stereotyp im Marketing von Immobilienentwicklern

Nicht einmal zehn Jahre später richtete Andy Warhol an der East 47th Street in Manhattan seine Silver Factory ein, die zum Inbegriff eines tatsächlichen Loftwohnens wurde, das heute zum Stereotyp im Marketing von Immobilienentwicklern geronnen ist.

Home Stories, Warhol, Vitra
Nat Finkelstein, Factory Panorama mit Andy Warhol, New York City, USA c. 1965 © Nat Finkelstein Estate / All rights reserved

Der Vorteil der Ausstellung Home Stories: Auch wenn man seine eigenen Favoriten nennen könnte, überrascht sie immer wieder – beispielsweise mit dem extravaganten und expquisiten Interieur, das sich der Modefotograf, Kostümbildner und Interior Designer Cecil Beaton zwischen 1930 und 1945 in seinem Landhaus Ashcombe in der englischen Grafschaft Wiltshire einrichtete.

Home Stories, Vitra Design Museum
Finn Juhl, Lageplan seines Hauses in Ordrup (mit geplanter Erweiterung), Denmark, 1968 © Designmuseum Danmark, Foto: Pernille Klemp

Ingvar Kamprad gründet sein Möbelhaus 1943

Zeitgleich schuf der Designer Finn Juhl im dänischen Ordrup (1941) sein eigenes Wohnhaus mit einer Möblierung, die er bis zu seinem Tod immer wieder veränderte. Ein Beispiel für skandinavisches Verständnis vom Leben, welches das 1943 von Ingvar Kamprad gegründete Möbelhaus inzwischen popularisiert und zum weltweiten Erfolg geführt hat, auch wenn die Gegenstände inzwischen vorwiegen in Billiglohnländern produziert werden.

Home Stories, Vitra Design Museum
IKEA, Katalog Cover, 1974 © Inter IKEA Systems B.V.

Objekthaftes Verständnis von Möbeldesign

Arno Brandlhuber kritisiert angesichts der Ausstellung ein zu objekthaftes Verständnis des Möbeldesigns – was aber auch mit dem Vitra Design Museum als Ausstellungsort zu tun habe. Ohne Zweifel: Design wurde, und das betrifft nicht allein Vitra, vornehmlich als Objekt verstanden. Und viele der ausgestellten oder dokumentierten Interieurs zeigen sich gestaltungslastig.

Home Stories, Vitra Design Museum
Karl Lagerfeld’s Monte Carlo Apartment (mit Design von Memphis), Monaco, 1982 © Jacques Schumacher

Home Stories: Das Private rückt in den Vordergrund

Es sind vielfach solche, bei denen Designer, Architektinnen oder Bewohner Massstäbe setzend agierten. Wenn Jasper Morrison eine Bildauswahl zusammenstellt, die für ihn gelungene Wohnumfelder zeigt, so treten die Gestalterinnen und Gestalter in den Hintergrund. Vielleicht ist er damit näher, wie heute das Private in den Vordergrund rückt: in den unzähligen Bildern, die in Kanälen wie Instagram weltweit gepostet werden.

Home Stories, Vitra Design Museum
Noritaka Minami, A504 I (Nakagin Capsule Tower, Tokyo, Japan), 2012 © Noritaka Minami

Ein wichtiges zeitgenössisches Thema, so Brandlhuber, fehle völlig in der Ausstellung, das der Verdichtung und er zeitgenössischen Mini-Wohnung (wobei zumindest der zugegeben historische Nagakin Capsule Tower von Kisho Kurokawa durchaus ein Thema ist).

Fazit

Das von Jasper Morrison und Joseph Grima beratene Team des Vitra Design Museum hat 20 verschiedene Wohninterieurs für die Home Stories ausgewählt, welche die Veränderungen des Verständnisses, wie wir wohnen wollen, erkennbar werden lassen.

Home Stories, Vitra Design Museum
Verner Panton, Fantasielandschaft bei der Ausstellung ‚Visiona 2‘, Köln, Deutschland, 1970 © Verner Panton Design AG, Basel

Zur Vermittlung werden unterschiedliche Medien eingesetzt: Videos, Objekte, Zeichnungen, Fotos oder Pläne. Begehbar sind zwei Interieurs: das originale Ferienhaus Hexacube (1968–75) aus glasfaserverstärktem Polyester von Georges Candilis und Anja Blomstedt vor dem Museum – und die rekonstruierte, vom Chemiekonzern Bayer lancierte Phantasy Landscape Visona 2 (1970) des dänischen Designers Panton im Feuerwehrhaus von Zaha Hadid.

Arno Brandlhuber, mit seiner Anti-Villa selbst Teilnehmer der Ausstellung, kritisiert die zu stark objektfokussierte Ausrichtung der Ausstellung. Er fordert mehr Mikro-Interieurs, mehr Verdichtung. Doch was bleibt davon nach Corona?

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