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Neue Heimat – Bauen für Menschen

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Neue Heimat – Bauen für Menschen

Neue Heimat - Bauen für Menschen
Wir erinnern die Straße unserer Kindheit, den Hauseingang. Foto: Amandus Samsøe Sattler
Der Begriff steckt voller Gegensätze und ist architektonisch mit einem überaus traditionellen Ausdruck verbunden. Heute ‚neue Heimat’ zu entwerfen, hört sich paradox an – aber genau das ist die Aufgabe.

Über Heimat sprechen wir oft in Verbindung mit Herkunft und Kindheit. Die Herkunft prägt und verbindet. Als ArchitektInnen bauen wir ‚neue Heimat’ für Bewohner und Kinder in Wohnsiedlungen, jeden Tag.

Bei Planung und Ausformung der neuen Wohnquartiere sprechen wir aber normalerweise eher über Kontextbezogenheit, Baukultur oder nachhaltige ländliche bzw. städtische Entwicklung und argumentieren auch nach diesen Kriterien.

Die Verwendung des Begriffs Heimat in diesem Zusammenhang würde uns eine Nuance mehr Relevanz im Bewusstsein des Gegenübers geben. Der Gebrauch dieses Wortes könnte uns vielleicht Argumente für ein Mehr an Gestaltung, beispielsweise beim Massenwohnungsbau, geben.

Wir bauen ja Heimat für Menschen! Aber wie sieht diese Heimat aus? Was leistet sie für die Menschen, die sie zu denen machen, die sie sind?

Die gebaute Heimat prägt Menschen besonders in der Kindheit. Wir erinnern unsere Straße, den Hauseingang, den Schuppen am Sportplatz und die Schule.

Das sind alles Möglichkeiten und Begrenzungen zugleich. Wo durfte man teilnehmen? Wo konnte man sich der Kontrolle entziehen? Was sind die großen Bilder, die in uns sofort das ungebrochene Heimatgefühl erzeugen? Welche Rolle spielt hier die Architektur? Vielleicht die Silhouette der Stadt, der Blick über die Häuser, die Landschaft, der Horizont, die Geräusche und der Duft.

Bei diesem Blick sucht man unter den Veränderungen unwillkürlich auch nach den Details, die sich in die Erinnerung gegraben haben.

Die Architektur ist Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse und wenn wir heute Neubausiedlungen sehen mit gleichen Grundrissen, Fassaden und Fensterformaten, ohne Beziehung zum öffentlichen Raum und der Stadt, spüren wir den fehlenden Anspruch von Bauherren, Politik und Planern. Welche Erfahrung können die Bewohner dieser Häuser machen? Wahrnehmung, Lesbarkeit, Aneignung und Vertrautheit sind nur möglich zu erschaffen und damit auch die Vermittlung von Identität und Heimatgefühl. Der Begriff Heimat hilft uns, daran zu erinnern, dass es bauliche Angebote geben soll, die Gemeinschaft, Überschaubarkeit, Teilhabe, Wiedererkennbarkeit, Orientierung und Aneignung ermöglichen.

Wenn wir zurückblicken, stellen wir fest, dass Heimat in der Architektur auch Triebkraft für progressive Bewegungen ist: Seit die Globalisierung weltweit zur Vereinheitlichung der Architektur beigetragen hat, gab es als Reaktion auch wieder die gegenteiligen Tendenzen einer regionalen Architektur, die Bautypologien und Materialien aufgegriffen und mit modernen Ansprüchen gekoppelt hat.

Auch bereits am Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts formte sich eine Bewegung der architektonischen Moderne, als ‚Heimatschutzarchitektur’ bezeichnet, die zum Ziel hatte, traditionelle, regionaltypische Bauformen mit ortsüblichen Materialien unter Verzicht auf historisierende Elemente harmonisch in die Kulturlandschaft einzufügen. Die Bauten, die bis 1960 entstanden, sind lebendige Beispiele einer regionalen Architektur, die eine eigenständige Qualität und Sprachkraft entwickelte, ohne jedoch dabei die schwere der neoklassizistischen Formensprache der Machtbauten des Nationalsozialismus zu verwenden.

Heute hat man als ArchitektIn das Gefühl, dass es wenig Gehör für Baukultur, Architekturqualität und Experiment gibt. Heimat hat bei Neubauten seinen formalen Ausdruck verloren! Die Akteure, die im Planungsgeschäft arbeiten, suchen nach Argumenten, die verstanden und akzeptiert werden, um ihre Qualitätsansprüche durchzusetzen.

Das Bewusstsein für die baulichen Aspekte von Heimat hat ja schon einmal die Architekturmoderne vorangetrieben. Vielleicht ist Heimat genau so ein Begriff, der den Zeitgeist, ja den Nerv trifft.

Es gibt wohl niemanden, der keine Heimat haben will. Dabei ist noch zu verhandeln, was diese genau ist, wie sie dann aussieht und was sie leistet.

Heimat ist auch zwiespältig, wurde immer wieder missbraucht, um Stimmung zu machen gegen Menschen, die ihre geografische Heimat verlassen haben. Wir kennen es, aus dem Nationalsozialismus und auch aus heutigen Zeiten. Gleichzeitig hat der Begriff relevante Aspekte für die Architektur und stellt uns Fragen. Nicht nur zur lokalen Tradition und Kultur, er betont auch die physiologischen und sozialen Aspekte von Räumen.

Spannend beim Begriff Heimat ist auch, dass wir Veränderung oft mit ambivalenten Gefühlen betrachten. Der Erwachsene, der in seine Heimat zurückkehrt, möchte dort am liebsten keine Veränderung vorfinden. Heimat hat aber das Potenzial zur Veränderung, ja sie braucht sie sogar, um relevant zu bleiben.


Kolumnist Amandus Samsøe Sattler

Gründungspartner des Architekturbüros Allmann Sattler Wappner, München. Präsidiumsmitglied beim DGNB, Mitglied des Gestaltungsbeirats der Städte Wiesbaden und Oldenburg; Leitung internationaler Workshops, eigenes künstlerisches Werk in Fotografie.

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