Die Fünfziger: Wirtschaftswundernd wittern sie auch im Design Morgenluft, schnuppern an der Zukunft – und bleiben doch zögerlich. Noch brauchen die Dinge eine Moral, also hält man sich an die Gute Form, möchte – nicht nur in Ulm – durch funktionell-sachliche Gestaltung Geschmack lehren.
Gute Form: Mid-Century-Design
Parallel tanzen noch viele Dinge nierenförmig, doch kommen schon neue Aromen ins Spiel, wie sie noch heute am Mid-Century-Design geschätzt werden.
Widersprüche bleiben, auch wenn sich an der Schwelle zu den Sechzigern schon Erstaunliches getan hat: Schon 1955 war Citroëns legendäre ‚DS‘ herausgekommen, ein Jahr später hatten die Eames ihren ‚Lounge Chair‘ und George Nelson sein ‚Marshmallow‘ Sofa präsentiert. Und seit Gio Pontis ‚Superleggera‘ sind selbst Stühle leicht gebaut.
Mittel und Ressourcen sind knapp
Filigran und sachlich überlagern sich auch die Trinkgläser der Gral Glaswerke in Göppingen-Durnau auf dem von Heinz Renz gestalteten Cover der md 4/1959. Schon ab der ersten Ausgabe des Jahrgangs hat Renz der md ein ansprechenderes Format verpasst und den md-typischen grafischen Auftritt gestaltet.
Der stets eigens entworfene Titel stellt, Mittel und Ressourcen sind knapp, eine besondere kreative Herausforderung dar. Vierfarbdruck ist nicht möglich oder zu teuer, also druckt man Schwarzweiß mit einer Sonderfarbe.
Die meisten Produktfotografien kommen von den Herstellern, werden aber, meisterhaft verfremdet, originell in Szene gesetzt. Da die Artikel deutsch, englisch und französisch gedruckt werden, ist man in Sachen Internationalisierung zugleich weit voraus.
Ist das vollkommen Zweckmäßige schön?
Dass nicht alle vom funktionalen Design überzeugt waren, zeigt sich in der Rubrik „md critic“, wo Auszüge aus einer Rede des Dichters und Kritikers Stephen Spender abgedruckt sind, die dieser 1958 aus Anlass der Verleihung der Design-Medaille der englischen Society of Industrial Arts gehalten hatte: „Ist das vollkommen Zweckmäßige schön?“
Gibt es, wie Spencer glaubt, tatsächlich zu viel Formgebung, „bei der man in Begriffen der Zweckmäßigkeit gedacht hat“? Für ihn ist es jedenfalls höchste Zeit, „dass Entwerfer, beglückt, die Küchen der Welt erobert zu haben, ihre Aufmerksamkeit nun den nicht funktionsbedingten Wohnräumen zuwenden.“
Ist es da noch Zufall, wenn ein Porträt des noch jungen Poul Kjaerholm zeigt, wie sehr man ausgesucht schönes Material schätzt, Möbel aber kein Luxus, sondern zweckmäßig sein sollen?
Autor Thomas Wagner
war Feuilletonredakteur der FAZ, hat für Stylepark ein Onlinemagazin aufgebaut, lehrt als Honorarprofessor und ist Autor zahlreicher Texte über Kunst, Design und Architektur.