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Der große Inspirator

Zukunft gestalten – Frei Ottos ideelles Erbe
Der große Inspirator

Dem ideellen Erbe von Frei Otto widmeten sich auf einem Symposium Architektinnen, Architekten, ein Ingenieur und ein Architekturtheoretiker. In einem Punkt waren sich alle einig: Man wird Frei Otto nicht gerecht, wenn man ihn zum Idol verklärt.

Autor Christian Holl

Er ist einer von zwei deutschen Pritzkerpreisträgern: Frei Otto nimmt in der Architektur der Nachkriegszeit eine Sonderrolle ein. „Wir suchen eine neue Technik, die human für Bewohner und Gesellschaft und zugleich human zur gesamten Natur ist“, hatte er auf einem Symposium 1979 geäußert. Das Denken, das dieser Haltung zugrunde liegt, ist von einer außerordentlichen Offenheit für das Experiment und einer hohen Sensibilität für das Zusammenwirken von Kräften und Einflüssen geprägt.

Dass er darin eine nach wie vor maßgebliche Vorbildfunktion einnimmt und als Inspirationsquelle einzigartig ist, hat das Architektur Symposium „Die Zukunft gestalten – Frei Ottos ideelles Erbe“ deutlich gemacht, das der Möbelhersteller Wilkhahn Ende Juni im eigenen Haus veranstaltet hatte. Anlass war ein kleines Jubiläum: Dreißig Jahre alt sind die vier Produktionspavillons, die Frei Otto für die in Bad Münder am Deister in der Nähe von Hannover ansässige Firma entworfen hat.

Am Anfang: Das Original

Mit der Besichtigung dieser Pavillons begann der Tag. Die vier 1988 fertig gestellten Produktionsräume werden über einer quadratischen Grundfläche jeweils von einer aufsteigenden Holzkonstruktion überdacht, die so in doppelter Krümmung dem Kraftverlauf folgt, dass das Material ressourcenschonend eingesetzt werden kann. Alterungsspuren und Einbauten haben der freundlichen Atmosphäre, die im Innern herrscht, bis heute keinen Abbruch getan. Nach wie vor werden sie für das genutzt, wofür sie gebaut wurden: für die Produktion.

Das Symposium eröffnete Georg Vrachliotis, der 2016 in Karlsruhe die große Frei Otto Ausstellung kuratiert hatte. Er gab mit seiner Übersicht über das Werk Ottos den Ton vor, der sich durch den Tag ziehen sollte.

Ottos deutscher Pavillon der Expo 67 gehört wohl zu einem der besten, mit denen Deutschland auf Weltausstellungen vertreten war, er vermittelte das Bild eines „Swinging Germany“, das man so bis dahin nicht gekannt hatte.

Dieser Pavillon wiederum hatte das Büro Behnisch und Partner zu dem Entwurf inspiriert, mit dem es den Wettbewerb zu den Olympiabauten in München gewonnen hatte. Sie zogen Otto als Partner und Berater hinzu – und so gab Otto als Inspirator und Beteiligter den Spielen von München ihr heiteres Gesicht.

Vrachliotis konnte zeigen, dass im Denken von Otto der Unterschied zwischen Modell und Gebäude verwischt wurde: Das Modell wurde zum Gebäude, das Gebäude zum Modell. Daraus wird ein in die Zukunft gerichtetes Projektieren möglich, das dem Entwerfen auch ein politisches Moment einschreibt – weil es die Ungewissheit über das, was kommt, als Offenheit artikuliert, wie Vrachliotis in der Diskussion später noch anmerken konnte.

Das ideelle Erbe

Daran knüpften die Architektinnen und Architekten an, die im Folgenden ihre Projekte und ihre Haltung zu Otto darstellten. Laura Fogarasi-Ludloff (Ludloff und Ludloff, Berlin) zeigte Projekte, die stark von textilen Elementen geprägt sind und dadurch eine offene Leichtigkeit und Freundlichkeit gewinnen, die Otto verpflichtet ist, ohne ihn formal nachahmen zu müssen. Überhaupt wurde übereinstimmend betont, wie wenig es darum gehen könne, das ideelle Erbe von Frei Otto, wie das Symposium betitelt war, durch formale Reminiszenzen weiterzuentwickeln.

Tobias Walliser von LAVA (Laboratory for Visionary Architecture) berief sich vor allem darauf, dass Architektur zu entwerfen bei Otto immer ein Forschen war, das auf Trennungen zwischen den verschiedenen Maßstäben verzichten konnte. Man müsse Architektur als Denkanstoß für eine zukünftige Entwicklung verstehen – ob als Stadt in der Wüste oder als Pavillon für ein Festival, wie es sein Büro LAVA für das Symposium Raumwelten in Ludwigsburg entwickelt hatte.

Ruth Berktold von YES Architecture konnte vermitteln, wie sich mit den Mitteln des Computers Form, Funktion und Kontext integriert entwerfen lässt. Die Potenziale dieser Mittel würden zu wenig ausgeschöpft: jede Zeit habe, so Berktold das Recht auf eigenen Ausdruck, doch sie machte in der Gegenwart zu viel Angst aus – „viel zu viel Angst, von der Kiste Abschied zu nehmen.“

Darin war sie sich mit Eike Roswag-Klinge von ZRS Architekten Ingenieure einig, der den meisten aktuellen Bemühungen, ökologisch verantwortlich zu handeln, wenig abgewinnen kann, weil sie den konventionellen Gebäuden lediglich Technik überstülpen, anstatt das Bauen anders zu denken. Statt ängstlich am Bestehenden festzuhalten, zeigte er, wie man stattdessen mit Naturbaustoffen Häuser ohne Lüftungsanlagen bauen, wie man Baumaterialien wiederverwenden kann.

Form als Ergebnis

Für Jan Knippers vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) in Stuttgart, dem einzigen Ingenieur des Symposiums, war Otto das Gegenbild zum genialischen Architekten: Es sei ihm um Methoden und Prozesse, nie um die Form an sich gegangen. Auch heute müsse die Form aus Regeln und Prozessen entstehen, nur dann könne das Entwerfen neue Erkenntnisse über die Potenziale von Architektur hervorbringen. Direkt an Ottos Methodik anzuknüpfen mache insofern keinen Sinn, als das Material in Bezug auf seine Minimierung, das Paradigma des Leichtbaus, heute weitestgehend ausgereizt sei und nur noch minimale Verbesserungen möglich seien – zumal diese Gewinne dann durch Vorschriften oder gestiegene Komfortansprüche wieder konterkariert werden.

Heute stellten sich andere Fragen, die in der Nutzung und der Fertigung liegen. Dass dennoch hier Natur ein Vorbild sein kann, zeigte Knippers am Beispiel der Wasserspinne. Von deren Art, sich unter Wasser eine Luftblase zu bauen, ist der Bau eines Pavillons mithilfe eines Roboters inspiriert, der an der Universität Stuttgart entstanden ist. Frei Otto hätte daran seine Freude gehabt.

Dass sich die Bekenntnisse zum Erbe Ottos nicht in Worten erschöpften, zeigte sich in einem bemerkenswerten Detail: Die Beiträge, die die Teilnehmer entrichtet hatten, gehen ebenso wie die Referentenhonorare vollständig an den Verein, der sich für die Erhaltung der Multihalle in Mannheim einsetzt.

Dieses großartige Bauwerk hat Unterstützung nötig.

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