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Maison Fibre: Architekturbiennale Venedig 2021

Maison Fibre auf der Architekturbiennale in Venedig 2021
Materialkultur

Die Maison Fibre untersucht einen alternativen Ansatz zum Entwerfen und Konstruieren von Gebäuden für das Wohnen und Arbeiten in der Zukunft. Eine mögliche Antwort auf die zentrale Frage der Ausstellung „How will we live together?“ der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig.

Die Maison Fibre ist eine vollmaßstäbliche, begehbare Installation, die ausschließlich aus robotisch gefertigten Bauelementen aus Fasern besteht – die erste mehrgeschossige Struktur dieser Art. Als zentrales Exponat der dazugehörigen Ausstellung zum Thema „Materialkultur“ bietet Maison Fibre den Besuchern die räumliche Erfahrung und den konstruktiven Eindruck einer zukunftsweisenden, entmaterialisierten Architektur, deren Bauelemente vor Ort aus nur wenigen Kilogramm Werkstoff hergestellt werden können.

Im Vergleich zu Le Corbusiers Maison Dom-Ino, einem prägenden Vorbild für die Architektur des 20. Jahrhunderts, ist das Gewicht von Maison Fibre um das Fünfzigfache reduziert und verweist somit auf eine neue Materialkultur, sowohl für die Architektur, als auch die damit verbundenen ökologischen (Material und Energie), ökonomischen (Wertschöpfungsketten und Wissensproduktion), technischen (digitale Technologien und Robotik) und soziokulturellen Fragen.

Neue Denkansätze für den Bau von Lebensräumen

Wir verbringen 87 Prozent unseres Lebens in Gebäuden. Diese bilden den baulichen Rahmen und das materielle Substrat für unser Zusammenleben. Genau diese Materialität und Materialisierung von Gebäuden stellt eine der wesentlichen ökologischen und sozialen Herausforderungen an unsere Gesellschaft dar. Die Frage nach unserem zukünftigen Zusammenleben ist somit intrinsisch mit der Frage nach dem zukünftigen Bauen verbunden.

Pro-Kopf-Verbrauch von Baustoffen

Das derzeitige Bauen ist eine der ressourcenintensivsten und emissionsstärksten menschlichen Aktivitäten überhaupt. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Baustoffen für die tragende Gebäudestruktur, die mehr als die Hälfte des Materialeinsatzes bei Gebäuden ausmacht, hat sich im Verlauf des letzten Jahrhunderts vervielfacht. Das Bauschaffen in seiner heutigen Ausprägung, das eine einfache Bauausführung mit einem erheblichen Mehrbedarf an Material erkauft, erscheint nicht länger zukunftsfähig. Es bedarf daher dringend neuer Denkansätze. Diese präsentieren mit der Maison Fibre das Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) des Exzellenzclusters IntCDC an der Universität Stuttgart.

Weniger Material, mehr Form

„Die Erforschung der Natur löst ein Umdenken in der Architektur aus. Die Biologie verfügt über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Prinzipien von Form, Struktur und Prozess. Diese stellen oft festgefahrene Ansätze in der Architektur in Frage und eröffnen grundlegend andersartige Möglichkeiten der Gestaltung. Maison Fibre verdeutlicht dies auf besonders eindrucksvolle Weise“, erklärt Achim Menges. Der daraus resultierende hohe Grad an morphologischer Differenzierung, Funktionalität und die damit verbundene Ressourceneffizienz sind kennzeichnend für Strukturen in der Natur. Dieses biomimetische Prinzip von „weniger Material“ durch „mehr Form“ wird von dem Projektteam der Universität Stuttgart seit vielen Jahren erforscht.

Maison Fibre: eine Materialkultur der Entmaterialisierung

Der Beitrag von ICD und ITKE zur Architekturbiennale Venedig 2021 ist die architektonische Untersuchung einer alternativen „Materialkultur“, eine Begrifflichkeit, die eher in den Sozial-, Geschichts-, Technik- und Kunstwissenschaften verwendet wird. Maison Fibre thematisiert die Abkehr vom prädigitalen, materialintensiven Bauen unter Verwendung zumeist isotroper und schwerer Baustoffe wie Beton, Stein und Stahl – diese werden häufig in großer Entfernung produziert, zu Bauelementen verarbeitet und dann über weite Strecken transportiert –, hin zu originär digitalen Bauweisen mit lokal ausdifferenzierten und vor Ort gefertigten Konstruktionen aus hochgradig anisotropen Werkstoffen: einer Architektur aus Fasern.

Robotisch gefertigten Faserverbundstrukturen

Maison Fibre ist das Ergebnis eines Jahrzehnts der Forschung an robotisch gefertigten Faserverbundstrukturen und wendet diese erstmalig auf begehbare Decken- und Wandelemente für das mehrgeschossige Bauen in der Architektur an. Die gesamte Struktur besteht aus sogenannten Rovings, Bündeln aus endlosen, unidirektionalen Fasern. Um den Modellcharakter des Projekts zu unterstreichen, wurde ein Bausystem aus Wand- und Deckenelementen mit dem für den Wohnungsbau typischen Rastermaß von 2,5 m entwickelt.

Interaktion mit dem baulichen Bestand

Der modellhafte Charakter des Projekts erschließt sich aus dem Bezug zu einem prägenden Vorbild der Architekturgeschichte, der Maison Dom-Ino von Le Corbusier. Die Geschossfläche der Installation entspricht der historischen Referenz, ebenso wie die Gliederung über drei Geschossplatten und das vielseitig erweiterbar gedachte System. Die im Vergleich zu einer Tektonik des Massiven radikale Andersartigkeit des Faserhaften, des Ausdifferenzierten und des Entmaterialisierten wird durch die Inszenierung der tragenden Faserstruktur für die Besucher räumlich und haptisch erfahrbar. Ein weiterer Unterschied besteht in der möglichen Anpassbarkeit und somit auch der Interaktion mit dem baulichen Bestand, wie es für ein zukünftiges urbanes Bauen maßgeblich sein wird. Durch die Integration der bestehenden Säulen des Ausstellungsgebäudes in die Installation wird dies bewusst betont.

Faserarchitektur: Anpassungsfähige Materialisierung

Die tragenden Wand- und Deckenelemente wurden durch das von den beiden Instituten entwickelte kernlose, robotische Wickelverfahren gefertigt, welches die lokal lastangepasste Auslegung und Ausrichtung der Carbon- und Glasfasern erlaubt und so eine außergewöhnliche Leichtbauweise ermöglicht. So beträgt das resultierende Flächengewicht der tragenden Faserkonstruktion der Bodenelemente im Obergeschoss gerade einmal 9,9 kg/m². Die Wandelemente fallen noch deutlich leichter aus.

Leicht bauen mit Leichtbau

Variable Materialität

Für die Fertigung eines tragenden Bodenelements wurden weniger als zwei Prozent des Bauteilvolumens als Materialvolumen benötigt. Professor Jan Knippers: „Der Prozess ermöglicht die Fertigung vor Ort, ohne dass dabei Lärm oder Abfall in nennenswertem Umfang entstehen. Darüber hinaus ist das Gewicht der Faserstruktur um ein Vielfaches geringer als das Gewicht vergleichbarer Betonkonstruktionen. Dies wiederum erleichtert die Montage erheblich, da keine schweren Transportmittel, Gerüste oder Hebevorrichtungen notwendig sind.“

Faserverbundbauweise für mehrgeschossiges Bauen

Die in diesem Projekt untersuchte Faserverbundbauweise für mehrgeschossiges Bauen ist materialübergreifend einsetzbar. Maison Fibre nutzt noch die derzeit maßgeblich verfügbaren Faser- und Harzsysteme, aber es zeichnet sich bereits jetzt eine erhebliche Erweiterung des Materialspektrums in naher Zukunft ab. Dieses reicht von mineralischen Fasersystemen, die extremen Temperaturbeanspruchungen standhalten können, bis hin zu natürlichen Fasersystemen, die innerhalb eines Jahreszyklus nachwachsen. Diese sich von unserer etablierten Vorstellung des Bauens signifikant unterscheidenden Ansätze zur Materialisierung und Materialität von Architektur wird den Besucherinnen und Besuchern in den Ausstellungsteilen „Materialisation Perspective“ und „Materiality Perspective“ erläutert, die im Obergeschoss der Maison Fibre untergebracht sind.

Professor Achim Menges: „Maison Fibre stellt die materielle Auseinandersetzung mit dem zentralen Ausstellungsthema How will we live together? der Biennale dar. Unser Beitrag hinterfragt den vorherrschenden Ansatz materialintensiver Bauweisen, die eine Hauptursache für die vielfältigen ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer gebauten Umwelt sind, und ersetzt diese durch eine Architektur aus Fasern, die nur einen Bruchteil an Materialien verbraucht und vollkommen neue Möglichkeiten der Materialisierung bietet.“

Fakten

Projektpartner

IntCDC / ICD Universität Stuttgart, Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung

Prof. Achim Menges mit Niccolo Dambrosio, Katja Rinderspacher, Christoph Zechmeister, Rebeca Duque Estrada, Fabian Kannenberg, Christoph Schlopschnat

IntCDC / ITKE Universität Stuttgart, Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen

Prof. Jan Knippers mit Nikolas Früh, Marta Gil Pérez, Riccardo La Magna

Mit Unterstützung von: Werkstatt: Aleksa Arsic, Sergej Klassen, Kai Stiefenhofer; Studierende: TzuYing Chen, Vanessa Costalonga Martins, Sacha Cutajar, Christo van der Hoven, Pei-Yi Huang, Madie Rasanani, Parisa Shafiee, Anand Nirbhaybhai Shah, Max Benjamin Zorn

In Zusammenarbeit mit: FibR GmbH, Stuttgart

Moritz Dörstelmann, Ondrej Kyjanek, Philipp Essers, Philipp Gülke und mit Unterstützung von: Erik Zanetti, Elpiza Kolo, Prateek Bajpai, Jamiel Abubaker, Konstantinos Doumanis, Julian Fial, Sergio Maggiulli

Projektunterstützung

  • Universität Stuttgart
  • Exzellenzcluster IntCDC, EXC 2120
  • Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
  • GETTYLAB, Teijin Carbon Europe GmbH, Elisabetta Cane mit Bipaled s.r.l. – Annalisa Pastore, Trimble Solutions Germany GmbH

Projekdaten

Bausystem: Zweigeschossige, robotisch gefertigte, tragende Glas- und Carbonfaserverbundstruktur aus 23km Glasfasern und 20km Carbonfasern

Abmessungen: Länge/Breite/Höhe: 10,00 m / 11,78 m / 5,76 m

Grundfläche: 125 m² gesamt, 62,5 m² pro Geschoss

Gewicht der tragenden Faserverbundkonstruktion: 9,9 kg/m² für das begehbare erste Geschoss

Gewicht der tragenden Faserverbundkonstruktion einschließlich der 27 mm Bodenplatten aus Holz: 23,7 kg/m² für das begehbare erste Geschoss

Gewicht im Vergleich zu einer konventionellen 200 mm starken Betonplatte: Tragende Faserverbundkonstruktion: 50x leichter

Tragende Faserverbundkonstruktion inklusive der Bodenplatten aus Holz: 21x leichter

Material-Volumen-Vergleich: 1,9% Materialvolumen pro Deckenvolumen

Welche Leichtbaumaterialien kommen für den Innenausbau infrage?

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