Das ist doch mal eine Ansage. Lässig, sehr lässig, verkündet der erste Typ-Möbelkatalog die „sensationelle Startkollektion“ von Erich Dieckmanns Bauhaus-Stühlen. Und irgendwie hat er recht. Die Konstruktionen ‚D1‘, ‚D2‘ und ‚D3‘ stehen da, als hätten sich luftige Skizzen mal eben materialisiert. Doch Moment.
Der Basis-Stuhl ‚D1‘ etwa ist nicht ein langweiliger Bauhaus-Kubus, eher eine raffinierte Verbindung des Bauhaus-Gedankens mit traditioneller Schreinerkunst, wie es die geschwungene Rückenlehne, die ganz leicht nach hinten gekippte Sitzfläche sowie sorgfältig gerundete Hölzer mal eben vorführen. Keine Frage: Das Modell ist ein federleichtes Möbel, so minimalistisch, dass es schwer fällt, den Entwurf eindeutig einer Zeit zuzuordnen. Eine wirkliche Trouvaille, ans Licht gebracht durch die Kunsthistorikerin Helen Thonet und den 1977 geborenen Designer Florian Lambl.
Von Dieckmann bis Sagmeister
Dieckmann ist typisch für eine Kollektion, die sich zu Minimalismus bekennt und ebenso Newcomer wie Klemens Schilling oder Blue Chips wie Jasper Morrison, Cini Boeri und auch Clemens Sagmeister umfasst. Als Auftakt also das Bauhaus in zeitgemäßer Dreiheit aus Esche, Eiche oder Robinie. Der am 5. November 1896 im westpreußischen Kauernik geborene Erich Dieckmann war als Möbelentwerfer nicht unbekannt, aber als zweiter Mann hinter Marcel Breuer am Bauhaus in der Öffentlichkeit doch in Vergessenheit geraten.
Seine ausgefeilte Formsprache faszinierte die Fachwelt. So auch Helen Thonet und Florian Lambl, als sie sich im Herbst 2021 daran machten, mit einer neuen Möbelmarke zu Unrecht vergessene Entwürfe der Moderne wieder aufzulegen. Eine Re-Edition ist aber eine durchaus komplizierte Sache, musste das Duo feststellen.
„Wir dachten, dass wir die Entwürfe vergrößern müssen“, sagt Lambl, der gerade in München weilt, bevor es wieder nach Berlin geht. „Die Leute damals waren kleiner, also müssen wir das Ding größer machen.“ Helen Thonet, aus Wien zugeschaltet, schmunzelt vielsagend. Nun hört sich alles selbstverständlich und klar an. Doch der Weg zum neuen Stuhl war eine dauernde Herausforderung.
Schritt für Schritt
Florian Lambl, selbst versierter Gestalter, analysiert geduldig die ersten Versuche, Dieckmanns Klassiker zu aktualisieren. Plötzlich tauchte da die Vorstellung eines fülligen Amerikaners in dem filigranen Stuhl auf. „Und dann haben wir gesagt, okay, wir vergrößern das mal um 3 %.“
Als der Prototyp kam, herrschte blankes Entsetzen: „Es war die absolute Katastrophe“, erinnern sich die beiden. Doch sie gaben nicht auf, im Gegenteil, schnell war klar, dass das nur der erste Schritt war. Sie tasteten sich wieder an das Original heran, Schritt für Schritt. Als sie dann den finalen Entwurf neben das Muster stellten, wirkte alles frisch. „Wie ein kraftvoller Entwurf aus dem Jetzt“, erinnert er sich. Die Proportionen hätten sich kaum verändert. Nun ja, 5 mm vielleicht, wenn man es genau nimmt.
Alles aus Europa
Gefertigt wird in Europa, genauer: in Norditalien und der Slowakei, wo der Polsterer sitzt. Das ist kein Zufall, sondern Programm: „Wir haben eine Verantwortung dem Produkt gegenüber“, sagt Lambl. „Wir wollen im Grunde nichts in Asien produzieren lassen. Wir möchten Lieferwege, die überschaubar sind.“ Selbst die Hölzer kommen aus maximal 500 km entfernten Wäldern.
Doch ausgerechnet der Neuentwurf von Klemens Schillinger, der kokett die aus Bussen bekannten Klammern für die Haltegriffe als Verbinder des Alustuhls ‚S1‘ übernimmt, fällt aus dem Rahmen und stammt doch aus Fernost. Aus Kostengründen. Bei Typ fällt auf, dass die Preise sehr gut kalkuliert sind. Das Händlernetz ist klein, die Margen reduziert, man setzt auf den Direktverkauf.
„Wachsen ist cool“, sagt Lambl, aber das dürfe nicht das einzige Prinzip sein. „Es geht eher darum, Freude an der Kollektion zu haben.“ Daher haben die beiden fast alles noch selbst in der Hand: „Wir sind jetzt so weit gekommen, jetzt wachsen wir langsam.“ Große organisatorische Strukturen aufzubauen, ist jedenfalls nicht ihr Ziel.
Typ setzt auf herausragende Entwürfe, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen. Manches ergibt sich dabei wie von selbst. Auch wenn sie sich nie als grünes Label vorstellen würden, versuchen sie doch, so nachhaltig wie möglich zu sein. „Unser ökologischer Fußabdruck ist so gut wie möglich.“
Typ setzt auf die erste Garde
Wer taugt für die Kollektion, ist vielleicht eine der wichtigsten Fragen. Und wer hält die Rechte, wenn es um klassische Entwürfe geht? So bringt Helen Thonet ihr ganzes historisches Wissen und den Zugang zum Thonet-Archiv ein, Florian Lambl seine Expertise als Gestalter, der zehn Jahre lang als Artdirektor die italienische Marke Mattiazzi mit aufbaute. So war es vergleichsweise leicht, ein Schwergewicht wie Jasper Morrison mit ins Boot zu holen.
Als genialer Schachzug erweist sich, Cini Boeri, die Grande Dame des italienischen Designs, aufgesucht zu haben. „Wir finden es einfach genauso modern, zu gucken, was könnte man machen, was es schon mal gab“, erläutert er. „Ich meine, wir sind da hingefahren und wussten nicht, was passiert. Und dann macht sie ihre Bücher auf und sagt: Ja, die paar Sachen sind alle in Produktion. Aber aus dem Rest könnt ihr auswählen, was ihr wollt.“
So fand ‚B1‘ den Weg zu Typ, ein mächtiges, geradliniges Sofa, das sich schnell zum Star eines Wohnraums entwickeln dürfte, neben dem Lounge Chair ‚A1‘ von Josef Albers, der als eines von wenigen Stücken sehr zeitgebunden wirkt.
Für Lambl haben die Klassiker sogar noch einen anderen, unerwarteten Charme: Sie seien nachhaltig, weil keine Kreation verschwendet werde und niemand permanent auf Sachen gebrieft werde, die aber dann doch nicht gemacht würden, die man halb entwickelt und halb auch nicht. Auch in dieser Hinsicht ist Typ sehr konsequent. Genommen wird nur von der ersten Garde (oder von solchen, die schon bald dazugehören könnten). Auch das ist eine Ansage.
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