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Im Portrait: Matthias Wagner K, MAK, Frankfurt am Main. md-mag.com

Museum Angewandte Kunst, MAK, Frankfurt am Main
Matthias Wagner K

In den letzten Jahren wurde ein Generationswechsel in den großen Ausstellungshäusern vollzogen. Wer sind die neuen Macher? Was sind ihre Ansätze, um die Institution Designmuseum ins digitale Zeitalter zu überführen? md-Autor Oliver Herwig blickt hinter die Kulissen. Eine Recherche im Museum Angewandte Kunst.

Stefan Sagmeister ist nicht zu bremsen. Selbst auf der Toilette hat man keine Ruhe vor dem ewigen Glückssucher, der sich alle sieben Jahre 365 Tage Auszeit nimmt. Hier gibt es keine. Der Grafik-Guru hat eine Gebrauchsanweisung über dem Urinal angebracht, Philosophen auf die Herren-Toilette gezeichnet und Figuren vor den Aufzug, die in ihrer kargen Strichführung an Julian Opie erinnern. Die kurzen Anweisungen und schlauen Sentenzen sorgen für angenehme Desorientierung, etwas, das eine Ausstellung des in New York lebenden Vorarlbergers so eben mit sich bringt. Zehn Jahre hat sich der inzwischen 54-Jährige mit dem Thema beschäftigt, hat meditiert, Drogen genommen und Menschen getroffen. Nun hat er das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main gewissermaßen überschrieben, sich einverleibt.
Auch wenn das Ganze wissenschaftlich auftritt, mit vielen Daten, Statistiken und Infografiken, ist es doch eine ganz persönliche Schau, und genau das macht den Reiz aus. Es fühlt sich an, als wollte uns Sagmeister an die Hand nehmen, um gemeinsam über seinen Spielplatz zu ziehen. Und dieser ist Typo und die Kunst, die einstigen Bleilettern zum Tanzen zu bringen. ‘The Happy Show’ ist nach den USA, Paris und Wien in Frankfurt am Main angekommen. Die Schau ist laut bis aufdringlich und oft auch augenzwinkernd wie jene Glücksskala, die Befindlichkeiten der Besucher auf einer Skala von eins bis zehn in Form eines transparenten Kaugummiautomaten misst. Zehn Plexiglasröhren mit Süßkram stehen an der Wand. Glücksstufe wählen, Kaugummi rausholen und das Ergebnis am Füllstand ablesen. Wie zu erwarten, sind die hohen Zahlen gefragt.
Wer gibt schon zu, dass sie oder er depressiv durch eine Glücksausstellung schlurft? So meldet das Museum: “Am 10. Juni 2016 war die Nummer Acht als Erste leer und alle Zahlen wurden wieder aufgefüllt.” Acht von zehn – trotz Krisen und alternativlosen Entscheidungen – auch das ist eine wunderbar deutsche Seelenbespiegelung.“Diese Ausstellung wird Sie nicht glücklicher machen”, warnte Sagmeister bereits im Wiener MAKK und wer den Absatz zu Ende las, erhielt gleich noch eine Lebensweisheit mit auf den Weg: “Ich erwähne das, um Ihre Erwartungen zu dämpfen, denn niedrige Erwartungen sind eine ausgezeichnete Strategie.” Matthias Wagner K führt persönlich durch die Ausstellung. Der Direktor des Frankfurter Museums (für) Angewandte Kunst hat sich aufs Rad geschwungen und tritt gleichmäßig in die Pedale.
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Vor uns flammt eine Neon-Wand auf, die Stefan Sagmeister so anlegte, dass direkte Mitwirkung unerlässlich ist. Wer nicht strampelt, sieht nur eine schwarze Wand, tote Buchstaben. So aber leuchtet Sagmeisters Credo in Rot auf: “Seek Discomfort.” Wo aber genau liegt das Unbehagen, die Unbequemlichkeit, die es zu suchen gilt? “Ja”, sagt Matthias Wagner K, eine kritische Stimme habe es gegeben. Eine Dame hatte sich über ein Paar Nackte empört, die am Fahrstuhlschacht recht freizügigen Umgang pflegten – in Form einer Skizze von Sagmeister. Ein Brief kam. Darauf folgte eine persönliche Antwort des Direktors. So etwas gehöre sich einfach, meint der 1961 in Jena geborene Kulturmanager der es sich nicht nehmen lässt, auch bei subtropischen Temperaturen mit schmaler Krawatte und Jackett einen Journalisten zu empfangen. Ausstellen heißt in Frankfurt eben auch Ausreden, Aufregen und Ausbrechen aus den Schablonen etablierter Museumsdidaktik. 97 Veranstaltungen führte das Haus letztes Jahr durch. Das ginge nicht ohne “gute Mitarbeiter”, sagt Wagner K. “2015 hatten wir zusammen mit dem Ikonen-Museum 136 000 Besucher zu vermelden, der Altersschnitt liegt bei 37 Jahren. Damit hat sich die Zahl der Besucher seit meinem Amtsantritt mehr als verdoppelt.” Dabei gäbe es noch viel “Luft nach oben”. Der Ausstellungsetat liegt bei etwas über einer Million Euro. Davon waren in 2015 etwa 750 000 Euro Drittmittel, also Gelder von Sponsoren und Stiftungen.
“Ich möchte eine emotionale Bindung an das Publikum schaffen”, sagt Stefan Sagmeister, der somit ausgezeichnet in das Konzept von Wagner K passt. “Sie muss mich neugierig machen, zu einem neuen Denken auffordern“, fordert der Direktor von einer zeitgemäßen Präsentation im Museum”.Wollte ich nur Objekte zeigen in einer Vitrine, wäre es mir zu wenig.“ Dafür möchte sich Wagner K einmischen und „Plattform für Fragestellungen sein, die viele Menschen berühren.“ Es gehört zu den Vorzügen des gebürtigen Jenaers, der in der DDR den Dienst an der Waffe verweigerte und deshalb nicht studieren durfte, dass sich seine Kunst der Vermittlung nicht in der Präsentation von Artefakten erschöpft. Im Gegenteil.
Selten wurden Objekte derart konsequent vom kunsthistorischen Thron gestoßen wie in Frankfurt am Main. Eine seiner ersten Amtshandlungen 2012 bestand darin, das 1985 von Richard Meier gebaute Gebäude von allen Einbauten zu befreien, wieder in seinen Urzustand zu überführen und als Ausstellungsraum neu zu denken. In einem weiteren Schritt befreite sich Wagner K von der Macht der Sammlung. Die Bestände des Museums, rund 65 000 Objekte, Drucke, Fotografien und Gemälde landeten großenteils im Depot. Es ging darum, Prozesse sichtbar zu machen und nicht mehr Meisterstücke ins beste Licht zu rücken. “Ich glaube nicht an die Dauerausstellung, das hat sich erledigt für ein Haus mit einer solch heterogenen Sammlung und im Angesicht dessen, was eine kritische Öffentlichkeit von einem Museum dieser Art im 21. Jahrhundert erwarten kann.” Die Rumpfausstellung der Kollektion – keck Elementarteilchen genannt – fühlt sich tatsächlich an wie ein Gang durch ein Experimentallabor. Was einst die Chronologie besorgte, die Einteilung nach Epochen und Stilformen, ist nun dem freien Spiel der Materialien, Formen und Ideen überlassen. Natürlich ist es spannend, über die Idee des Fassens, des Gefäßes, nachzudenken und dabei quer durch Kontinente, Epochen und Kulturen zu wandern.
Neugierde wecken
Das fordert die Zuschauer, die gewissermaßen zu Kollaborateuren einer Verschwörung gegen Vitrinen und Vitrinenbeschriftungen werden. Vieles erschließt sich erst auf den zweiten Blick, wie ein gigantisches Suchbild, vieles bleibt in der Schwebe wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch. Was passt wie zusammen? Was sagt ein Stilmöbel vor einem Werbeplakat für Adidas? Wagner K möchte hier “Pfade legen”. Das Objekt solle über sich hinausweisen. Das könne auch dazu führen, dass Besucher das Museum verlassen (müssen), um zu einem ganz anderen Ort in Frankfurt zu gelangen. Dann führt der Pfad eben nach außen.
Diese Art der Präsentation verlangt mehr. Mehr von den Besuchern – und mehr von der Museumsdidaktik. Informationen zu den einzelnen Objekten sind einem ausliegenden Heft zu entnehmen, das eher trockene Datensätze anbietet. Ist das die wechselseitige Befruchtung der Epochen, Kulturen und Genres? Besucher sollen sich zunächst mit den Dingen selbst auseinandersetzen, nicht krampfhaft nach dem Bildtäfelchen Ausschau halten, um das Dargebotene einordnen, ja taxieren zu können. Das ist gar nicht schlecht, aber die gewählte Darstellungsform stößt an Grenzen. Objekt ansehen, Nummerdarunter merken, zu einem Heft gehen, nachschlagen. Das ist einfach zu viel, eine App ist in Arbeit, sie soll zur Drucklegung dieses Heftes fertig sein. Trotz aller Offenheit für neue Medien: “Das Erleben vor dem tatsächlichen Werk kann keine App ersetzen”, ist Matthias Wagner K überzeugt.
Anders reflektieren
Die Ausweitung der Designzone begann nicht erst 2012, als der zuvor erfolgreiche Konzeptkünstler Direktor des Museum Angewandte Kunst wurde. Bereits um die Jahrtausendwende hatte Wagner K die Seiten gewechselt und begann, Ausstellungen zu kuratieren – von Licht-Kunst über komplexe Festivals wie ‘Islandbilder – Kunst, Fotografie, Literatur, Film, Musik und Mode&Design aus Island’ bis hin zur Nordic Fashion Biennale in Reykjavik 2009. Der gesamte Raum der angewandten Kunst erschloss sich da – aus einer speziellen Perspektive als Kurator: “Dieser Moment des Reflektierens über etwas ist auch eine Form von Dramaturgie, von Aufmerksamkeits- und Blickdramaturgien, die von inhaltlichen Themen geprägt sind, was natürlich stark aus der Bildenden Kunst kommt.” Matthias Wagner K geht es um einen “sinnlichen Denk- und Erlebnisraum” – und er breitet ihn aus. Genau hier beginnt etwas Interessantes: Der ausgebildete Theater-Beleuchter und Bühnenbildner beleuchtet die Welt der Objekt-Kunst als atmosphärisches Phänomen. In einem Interview beschrieb er einmal “eine weitere Welt voll exzentrischer Bildgewalt und Fantasie”. Wagner K nimmt Fahrt auf, reiht Satz an Satz, errichtet Gedankengebäude und schlägt weite Bögen. Und manchmal droht die Frage unterzugehen im Strom der Gedanken. “Ich bin ja nicht so ein Mensch, der in Grenzen denkt”, schmunzelt Wagner K und nennt eine Legende des Frankfurter Nachtlebens: Ata Macias und dessen Club ‘Robert Johnson’, der eben viel mehr sei als ein Ort, um Musik zu hören und Menschen zu treffen. Im diesem “Mehr” setzt eine neue Bedeutungsebene an – und damit angewandte Kunst. Der Club als angewandte Kunst – und das Museum als Theaterbühne für vieles – das eine Wendung, aus der Matthias Wagner K schöpft.
Demnächst gibt es eine Ausstellung zu Lamy. Auch sie wird mehr als eine Aneinanderreihung von Schreibgeräten sein. Ein Stift ist schließlich untrennbar verbunden mit der Kulturtechnik Schreiben. Und schon sprudelt Wagner K los und nennt Neurobiologie und verwandte Felder als Inspirationsquellen. Die große Frage an das Museum lautet für Wagner K: “In welcher Gesellschaft wollen wir morgen leben und mit welchen Dingen wollen wir uns da umgeben?” Sagmeister, der neuerdings selbst Möbel entwirft, hat es da vergleichsweise einfach. Er treibt Dinge einfach mal auf die Spitze mit seinen in Warnfarben (Schwarz auf Gelb) gehaltenen Botschaften. Da erfahren Museums-Besucher, wie oft sie im Leben durchschnittlich die Sexpartner wechseln und wie stark die Verbindung zwischen Geld und Glück wirklich ist. Mehr ist nicht mehr – ein subtiler Hinweis für eine neue Art der Besteuerung. Und vielleicht auf die Schau als Ganzes. Sie ist ein begehbares Magazin mit allerhand Gimmicks, Installationen und Bewegtbildern. Da können wir uns tatsächlich auf die App freuen, die zwar nicht den Museumsbesuch ersetzt, aber Design immerhin in die Hosentasche stecken lässt.
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