Autorin: Corinna Rösner
Bis heute ist es eine Sensation, daß der Freistaat Bayern 2002 in München – wie zwei Jahre zuvor in Nürnberg – ein Museum der Moderne eröffnete, in dem Design Seite an Seite mit Architektur und Kunst zu sehen ist. Die Durchsetzung der Konzeption ist in erheblichem Maße dem Kunsthistoriker und Museumsmann Professor Dr. Florian Hufnagl zu verdanken, der am 31. Dezember 2019 nach langer Krankheit in München verstarb.
Mit seinen Ideen und Vorstellungen, seinen Erwerbungen und Ausstellungen hatte er maßgeblichen Anteil am weiteren Ausbau des Museums und brachte diesem internationales Renommee. Zugleich spiegelte sich darin sein Verständnis von Design wider, das für ihn gleichberechtigt und gleichwertig neben der bildenden Kunst auszustellen sei. Mit Florian Hufnagl verliert nicht nur das Design einen seiner passioniertesten Verfechter, sondern auch die Museumslandschaft eine prägende Persönlichkeit.
Wer war Florian Hufnagl?
Hufnagl war – ganz klar! – ein 68er … aber kein Linker. Kein Berühmter außerhalb der Fachwelt, kein Starkurator – das schon gar nicht, denn Florian Hufnagl hatte sein Tun von 1980 bis 2014 fest an die Institution Museum gebunden – und keiner, der im Vordergrund stand, auch wenn seine Präsenz bisweilen nicht zu übersehen war. Aber ein Beweger.
Als Sohn eines Architekten hatte der in der ehemaligen Münchner Vorstadt Au aufgewachsene spätere Museumsdirektor gute Voraussetzungen, um das Thema Design und Gestaltung in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen. Hufnagls Bestreben, aus dem engen, bürgerlich-konservativen München seiner Herkunft auszubrechen, ließ ihn an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Klassische Archäologie, Neuere Geschichte und Kunstgeschichte studieren – das wollte er schon, seit er 16 war.
Als Student unterstützte er aktiv und durchaus riskant die Autonomiebewegung in Südtirol. Vielleicht war Rebellentum der tiefere Kern seines Wesens.
1976 wurde er als Schüler von Norbert Lieb mit seiner Arbeit über den Münchner Architekten Gottfried von Neureuther (1811-1887) promoviert. Nach dem Abschluss seines Volontariats beim Landesamt für Denkmalpflege arbeitete Hufnagl zunächst als freier Kunsthistoriker, bevor er 1980 die Museumslaufbahn einschlug und als Kurator unter Hans Wichmann an Die Neue Sammlung ging – damals noch als Staatliches Museum für angewandte Kunst bezeichnet. 1990 übernahm er die Leitung des Museums, die er bis Januar 2014 innehatte.
Kampf für Design
Als einer der ersten in Deutschland kämpfte Florian Hufnagl darum, Design als wissenschaftlichen Gegenstand in der Kunstgeschichte zu etablieren. Dies tat er ganz praxisnah jahrelang als Dozent am Kunsthistorischen Seminar der Ludwig Maximilians Universität München, wo er unter seinen Studenten auch stets „frisches Blut“ für die Museumsarbeit an der Neuen Sammlung rekrutierte und für Designforschungsthemen gewann.
Als Honorarprofessor an der Münchner Kunstakademie ging es ihm in ähnlicher Weise darum, dem Design und den angewandten Künsten das gleiche Gewicht zu verschaffen wie der sogenannten „Freien“ Kunst.
Neubau der Pinakothek der Moderne
Mit dem anstehenden Neubau der Pinakothek der Moderne in München und dem Neuen Museum für Kunst und Design in Nürnberg kamen große Herausforderung auf ihn zu. Heute gehört die 1925 offiziell gegründete Neue Sammlung nicht nur zu den ältesten, sondern auch zu den bedeutendsten Designmuseen der Welt. Hufnagl erkannte die einzigartige Chance, mit diesem Haus sein Ideal zu verwirklichen: etwas zu bewegen, etwas Bleibendes in der Gesellschaft zu bewirken.
Mit seinen Ideen und Vorstellungen, seinen Erwerbungen und Ausstellungen hatte er maßgeblichen Anteil am weiteren Ausbau des Museums und brachte diesem internationales Renommee. Zugleich spiegelte sich darin sein Verständnis von Design wider, das für ihn gleichberechtigt und gleichwertig neben der bildenden Kunst auszustellen sei.
Seine Verantwortung, aber auch seine Macht als Museumsdirektor waren ihm mehr als bewusst. Die Sicherheit, die ihm der Beamtenstatus verlieh, hielt Hufnagl für ein Privileg. Sie gab ihm die nötige Unabhängigkeit gegenüber Kooperationspartnern, wie sie für Designausstellungen unverzichtbar sind – seien sie Industrieunternehmen, Hersteller oder Stiftungen, seien sie Sammler, externe Kuratoren oder die Gestalter selbst.
Setzkasten – Wahrzeichen der Pinakothek
Ihn interessierten die Dinge, wie er immer betonte. Die Objekte in ihrem Eigenwert waren für ihn der Ausgangspunkt für seine Ausstellungskonzepte, Erwerbungspolitik und Katalogtexte, nicht etwa eine Theorie, zu deren Illustration Objekte als Requisiten herangezogen würden. Tief nachdenklich, unkonventionell, phantasievoll, begabt mit dem absoluten Auge, wie andere mit dem absoluten Gehör, und einem ungewöhnlich intensivem Raumvorstellungsvermögen setzte er die Dinge zueinander in Beziehung.
Eine der Kernaufgaben des Museums war für ihn, das Publikum zum Hinschauen und Nachdenken zu verführen. Dazu entwickelte er unvergessliche Raum-Bilder, wie etwa die Installation „Design Vision“, das wandgroße Blow-up eines Setzkastens, das zum Wahrzeichen der Pinakothek der Moderne wurde: bestückt mit verschiedenen Objekten der Designgeschichte.
Weitere Tätigkeiten
In den Jahren 1998 bis 2013 war Florian Hufnagl Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Staatlichen Museen und Sammlungen in Bayern. Auch die Entwicklung des Kunstareals war ihm ein wichtiges Anliegen. Zudem lehrte er am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der Akademie der Bildenden Künste München. Außerdem war er als Berater unter anderem für das 2019 eröffnete Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg tätig.
Auszeichnungen
Sein Engagement und Wirken wurden durch die Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland, des Designpreises der Stadt München und des Bayerischen Verdienstordens gewürdigt. Florian Hufnagl wurde zum Commendatore dell´Ordine della Stella della Solidarietà Italiana ernannt.
Für Außenstehende unerwartet radikal, gab er mit seinem Dienstende 2014 auch alle anderen Funktionen und Ehrenämter auf, auch fast alle Jury-Mitgliedschaften. Seine Expertise blieb jedoch weiterhin weltweit gefragt. Jegliches Tun seit 2013 trotzte Hufnagl seiner schweren Krankheit ab, die er mit erstaunlicher Zuversicht hinnahm. Am 31. Dezember 2019 ist Florian Hufnagl in München verstorben.
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Autorin
Die Kunsthistorikerin Dr. Corinna Rösner war seit 1990 Florian Hufnagls Stellvertreterin in der Neuen Sammlung; seit 2018 ist die Landeskonservatorin im Ruhestand.