Am Tag des Interviews ist ein Kind krank. Ingo Haerlin bleibt im Homeoffice. Das Homeoffice ist auch in seinem Fachbeitrag ‚Arbeits[t]räume – ein Blick in das Büro der Zukunft‘ im bdia-Jahresbuch 2019/2020 Thema.
Der Innenarchitekt, der vor zehn Jahren mit Stephanie Still und seiner Frau Bianca Lautenschläger-Haerlin, beide Architektinnen, das Kreativbüro ‚Design in Architektur‘ gründete, hat bereits einige Arbeitsräume realisiert. Wir wollen wissen, wie sich die Digitalisierung auf Arbeitsräume auswirkt.
„Fast ausschließlich positiv. Wir können Räume offener gestalten, da viele Aktenschränke wegfallen. Arbeitsplätze sind flexibler geworden, das Homeoffice gewinnt an Bedeutung.
Das offene Büro macht unterschiedliche Raumangebote notwendig, die man wohnlicher gestalten kann. Firmen sehen die Digitalisierung oft als Chance. Für uns Innenarchitekten bringt diese Situation mehr Aufträge, denn: Moderne Büros als Visitenkarte des Unternehmens gewinnen an Bedeutung für das Recruiting neuer Mitarbeiter.“
Das weiß Ingo Haerlin aus eigener Erfahrung. Als Dozent an der Hochschule Darmstadt hat er zwar einen direkten Draht zu den Absolventen, aber gute Mitarbeiter zu bekommen ist momentan nicht einfach.
„Es herrscht ein arbeitnehmerfreundlicher Markt. Junge Menschen können wählen und vergleichen, wie die Arbeitsräume aussehen, welche Projekte laufen und wie der Umgang unter den Mitarbeitern ist – ein inspirierendes Arbeitsumfeld kann hierbei das Zünglein an der Waage sein.“
Ob Büros deswegen gleich die neuen Kaffeehäuser sind, wagt der gelernte Schreiner zu bezweifeln. „Wir schauen uns die Anforderungen an den einzelnen Arbeitsplatz genau an und denken uns in die Arbeitsprozesse hinein.“
So wie bei einem aktuellen Projekt. Hier bleiben die Einzel- und Doppelbüros erhalten, ergänzt um verschiedene Besprechungssituationen. „Das ist auch Typsache und abhängig von der Branche. Nicht jeder Mitarbeiter hat Lust, sich jeden Morgen einen anderen Arbeitsplatz zu suchen.“
Wie verändert die Digitalisierung Ihre Arbeit als Innenarchitekt?
„Ich habe immer digital gearbeitet, allerdings brauchen wir keine großen Plotter mehr, sondern lassen Pläne extern drucken!“ und ergänzt „Wir nutzen das Netz zur Recherche. Aber ich blättere immer noch gern in Büchern und Zeitschriften. Dann fühle ich mich fast wie ein Fossil, weil das bei uns im Büro keiner mehr macht.
Pinterest und Co. sind in Ordnung für eine erste Ideenfindung, aber auch gefährlich. Kunden kommen mit hunderten Ideen und wollen es genau so haben, wie sie es auf den Bildern sehen. Dann müssen wir gut argumentieren, was möglich ist und was so nicht passt.“
Aber er sieht auch Grenzen der Digitalisierung: „Bemusterungen und Moodboards lassen sich nicht digitalisieren. Es geht nicht nur um Farben, sondern auch um Oberflächen, um Haptik. Ich muss das Material anfassen, bestenfalls auch riechen können.“
Holz spiele für den Innenausbau eine wichtige Rolle, bestätigt Ingo Haerlin, der sich selbst als „Holzwurm“ bezeichnet und von seiner Erfahrung als Handwerker profitiert. Dafür tauchen andere Materialien in den Projekten des Darmstädter Büros gar nicht auf. „Ich glaube, wir haben noch nie ein Projekt mit Tapeten umgesetzt.“
Die Qualität des Entwurfs und der Ausführung, die am Ende für sich steht, sorgte in den vergangenen Jahren für ein Wachstum auf ein 14-köpfiges Team. Es findet sich immer einer, der die Kinder im Blick hat. Denn manchmal ist sein Nachwuchs (3 und 6 Jahre) auch im Büro, sitzt auf den Knien einer Mitarbeiterin und malt, während diese telefoniert. Kann das funktionieren?
„Das ist natürlich eine Ausnahme, wir müssen wirtschaftlich denken. Aber es ist schön für uns, auf diese Weise Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Die Arbeitszeiten haben sich jedoch durch die Kinder verschoben, Wochenendarbeit ist nichts Ungewöhnliches.
Auf der anderen Seite nehmen wir die Kinder manchmal zu Terminen mit. Manche Kunden erwarten mittlerweile, dass wir als ganze Familie erscheinen. Das funktioniert ziemlich gut“, zeigt sich der 42-Jährige zufrieden.
Familienunternehmen sind auch in der Innenarchitektur möglich.
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Nach seiner Lehre und Gesellentätigkeit als Möbelschreiner (1997–2002) schloss Ingo Haerlin (Jg. 1977) das Studium der Innenarchitektur an der Hochschule Darmstadt ab. 2009 folgte die Gründung des Büros ‚Design in Architektur‘ mit den Architektinnen Stephanie Still und Bianca Lautenschläger-Haerlin. Bisherige Projekte entstanden in den Bereichen Office, Gastraum, Kindergarten und Bildungseinrichtung.