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Helmut Angerer

Lichtplaner im exklusiven md-Interview
Helmut Angerer

“Wir sind Wahrnehmungsplaner”, so das Credo des Chefs von Conceptlicht, Helmut Angerer. Ein Portrait von md Redakteur Alexander Kuckuk.

Text: Alexander Kuckuk

Was haben der kulturbeflissene Besucher der Berliner Museumsinsel und der Fußballfan in Kiew gemeinsam? Beide profitieren von der Phantasie und dem Einfühlungsvermögen eines Mannes, dessen Aufgabe es ist, Dinge gekonnt ins rechte Licht zu setzen. Die Rede ist von Helmut Angerer. Die Liste seiner Referenzprojekte ist lang und prominent, und doch kennen viele den gebürtigen Tiroler, der sich mit Leidenschaft dem Thema Licht verschrieben hat, nicht. Das mag an seiner Person liegen, denn Helmut Angerer scheut das Rampenlicht, lässt lieber Taten als Worte sprechen. Da passt es gut ins Bild, dass er mit seinem Büro Conceptlicht nicht in einer pulsierenden Metropole residiert, sondern lieber im beschaulichen Traunreut lebt und arbeitet.
Licht ist Baustoff der Architektur
Auf die Frage nach seiner Methodik antwortet Helmut Angerer: “Wir wollen mit Licht Stille und Ruhe erzeugen. Die Architektur hat doch so viel zu bieten, da muss man sie nicht mit “Zuckerguss” überziehen.” Angerer geht von einer komplexen Erfassung der gestellten Beleuchtungsaufgabe aus, muss alle Faktoren eines Baus und seiner Umgebung begreifen. Licht ist für ihn der wichtigste Baustoff der Architektur und nur in sehr früher und unmittelbarer Zusammenarbeit mit dem Architekten kann ein optimales Ergebnis erzielt werden. Mit einem interdisziplinär zusammengestellten Team aus acht Mitarbeitern werden derzeit rund 30 Projekte zeitgleich bearbeitet. Angerers Spektrum reicht von der Apotheke bis zum Sterne-Restaurant, vom Modemuseum bis zur Pfarrkirche, vom Verwaltungsbau bis zur Sportarena. Und das weltweit. Ihm ist es wichtig, eine breite Palette zu halten, nicht zum Spezialisten gemacht zu werden. Auch wenn viele seiner Arbeiten Staunen hervorrufen, bei seinen Lichtlösungen geht es weniger um spektakuläre Einfälle, es geht vielmehr um den Mehrwert guter Beleuchtung.
Seinen Beruf hat Helmut Angerer von der Pike auf gelernt. Nach dem Besuch der Höheren Technischen Lehranstalt in Innsbruck konnte der junge Elektroingenieur 12 Jahre lang im Lichtlabor Bartenbach das grundlegende Know-how erwerben. “Ich glaubte damals tatsächlich, ich beherrsche das Licht”, lacht Angerer. “Doch aus heutiger Sicht, sage ich, dies ist eine gefährliche Annahme, da sie einem im Grunde die Augen für vieles verschließt. Ich hatte aber das Glück, 1989 ein Projekt in Lugano zu betreuen, eine temporäre Ausstellung mit Meistern aus der Eremitage, die Baron Thyssen-Bornemisza ermöglichte. Lehrbuchmäßig beleuchtete ich die Bilder gleichmäßig mit Strahlern von oben. Bei einem Bild, ‚Dame im Garten‘ von Monet, der das Zusammenspiel von Licht und Schatten akribisch studiert hat, beschlich mich das Gefühl, etwas stimme ganz und gar nicht.” Helmut Angerer begann daher mit unterschiedlichen Lichteinfallswinkeln zu experimentieren, und als er schließlich den im Bild dargestellten Lichteinfall der nicht sichtbaren Sonne verstärkte, bekam das Bild eine garadezu magische Ausdruckskraft.
“Je mehr ich beeindruckt war, umso kleiner und bescheidener wurde ich und schließlich war mir klar, dass ich im Grunde gar keine Ahnung hatte”. Ihm wurde klar, dass Lichtplanung wesentlich mehr ist, als Helligkeit mit ästhetisch gestalteten Leuchten zu erzielen. Vor allem aber wurde ihm die Bedeutung und Wichtigkeit des Schattens bewusst. Seine “Schattentheorie” jedoch fand bei seinem Arbeitgeber nicht die erhoffte Resonanz und so endeten die “Lehrjahre” in Innsbruck. Er hatte damals aber noch nicht den Mut, sich selbständig zu machen und nahm statt dessen ein Angebot aus der Leuchtenindustrie an und zog nach Traunreut. Rasch wurde dem Freidenker, der sein Herz gern auf der Zunge trägt, aber klar, dass die Leuchteinindustrie nie seine Heimat werden würde. Als logische Konsequenz daraus wurde Helmut Angerer Einzelkämpfer und sein eigener Herr. Von da ging es Schlag auf Schlag.
Ein erster Meilenstein
Auf die Frage, welches Projekt ein wichtiger Schritt in seiner Karriere gewesen sei, muss er nicht lange nachdenken: “Eindeutig das Bahnsteigdach-Projekt von gmp.” Aus einem Wettbewerb der Bahn zum Bahnhof der Zukunft 1994 gingen drei Architekturbüros als gleichberechtigte Sieger hervor und es sollten 1:1 Prototypen der neuen Bahnsteigdächer gebaut werden. Ein Projektleiter der Bahn, mit dem Helmut Angerer damals in anderer Sache zusammenarbeitete, schlug ihn bei gmp vor, da diese als einziges der beauftragten Büros keinen Lichtplaner als Kooperationspartner hatte. In konstruktiver Auseinandersetzung mit den Architekten fand Helmut Angerer eine überzeugende Lösung: An die Bahnsteinkante werfen asymme-trisch abstrahlende Downlights gerichtetes, fast schon unangenehm helles Licht, da sich dort aus Gründen der Sicherheit keine Personen aufhalten sollen. Zur Mitte hin nimmt die Intensität ab, in Kopfhöhe gibt es kein direktes Licht.
Die ungleichmäßige Ausleuchtung eines Bahnsteiges war damals eine echte Neuerung, die von Seiten der Bahn zunächst als planerische Fehlleistung, ja als Provokation empfunden wurde. Der Konflikt dauerte mehr als ein Jahr, bis Angerer schließlich eine Ausnahmegenehmigung erwirken konnte. Ein kleines Projekt mit einer großen Wirkung also. Zum einen fanden sich mit Conceptlicht und gmp kongeniale Partner für viele zukünftige Projekte, zum anderen konkretisierte sich bei Angerer die Überzeugung, dass oft die Sonderleuchten das non plus Ultra sind und last not least konnte er sein Beobachterprinzip einem Realitätstest unterziehen.
Licht und Schatten
Eine elementare Wirkung für Helmut Angerer ist also die von Licht und Schatten. Denn schattenlose, diffus beleuchtete Räume ergeben eine dumpfe, spannungslose Stimmung, weil das Lichtgefüge dem des bedeckten Himmels ähnlich ist. Die räumliche Wirkung ist aber nur mit Schatten vollständig. Gerichtetes Licht erzeugt Schatten und wirkt frisch und heiter. Bei richtiger Anwendung entsteht ein Lichtgefüge, das dem sonnigen Himmel entspricht. Aber wenn der Schattenwurf dem Zufall überlassen wird, ergeben sich trotz aller Helligkeit und Freundlichkeit unbefriedigende, ja belastende Lichtverhältnisse. “Im Regelfall streben wir die Deckungsgleichheit zwischen Real- und Lichtraum an, d.h. die Schattenlinien fallen mit den Raumkanten zusammen. Dadurch entsteht eine Natürlichkeit des Ausdruckes.” Aus dieser Schattentheorie hat Helmut Angerer das Beobachterprinzip abgeleitet, welches besagt, dass der Mensch weder Direktanteilen noch Reflektorstrahlung ausgesetzt wird, also sinngemäß aus dem Schatten ins Helle schaut. Dies komme dem Wesen des Menschen entgegen, sich als Beobachter fühlen zu können und nicht als bestrahltes Objekt. Die Lichtführung sei so zu konzipieren, dass der Mensch möglichst keinem direkt wirkenden Licht ausgesetzt ist.
Licht und Leuchten
Im Unterschied zu passiven Gegenständen wie Möbeln, die außer durch ihre Präsenz das Raumbild nicht verändern, bestimmen und verändern Leuchten als aktive, dynamische Elemente durch ihre Strahlungseigenschaften den Raumeindruck in hohem Maße. Eine Leuchte sei deshalb viel mehr als nur ein schönes Accessoire. “Natürlich gibt es Leuchten wie Sand am Meer. Die Auswahl beschränkt sich in Wahrheit aber auf nur wenige Grundmuster: direkt, indirekt oder direkt-indirekt strahlende Systeme, diese jedoch in unzähligen Designvarianten. Ich muss leider sagen, dass viele von Designern entworfene Leuchten zwar schön, im Grunde aber völlig unbrauchbar sind.” Helmut Angerer pflegt auch eine gewisse Zurückhaltung, wenn es darum geht, LED-Leuchten einzusetzen, wenngleich er zubilligt, dass sich in puncto Lichtausbeute und Farbechtheit in letzter Zeit viel getan hat. “Bei der LED-Technologie sehe ich ein großes Problem”, erläutert Angerer. “Ich bezeichne es als gerne als “Verpixelung”, als visuellen Ballast. Die Möglichkeiten des Leuchtmittels werden zum Großteil nicht richtig genutzt. Die Lichtquellen werden so angeordnet, dass sie unter flachem Winkel sichtbar sind. Früher war es nur eine Lichtquelle, heute sind es viele. Man muss nur an die Beispiele von Fassadenbeleuchtung denken, wo es anscheinend Glücksgefühle hervorrufen soll, wenn man die Lichtpunkte zählen kann.” Was ihm auch ein Dorn im Auge ist, ist die oftmals ablehnende Haltung nicht weniger Leuchtenhersteller, wenn es darum geht, Sonderleuchten zu entwerfen. Bei große Projekten würde die Leuchtenindustrie aus Bequemlichkeit am liebsten ihre “Brot-und-Butter”-Leuchten zum Einsatz bringen. Solche Leuchten haben allerdings bei weitem nicht die Qualitäten, die Helmut Angerer schätzt und braucht, um seine Planungen zu realisieren. Nicht selten sehen er und sein Team sich daher gezwungen, Sonderleuchten zu entwickeln, nicht aus formalen Gründen, sondern wegen der Strahlungsgeometrie, der Licht-Verteilungs-Kurve, wie er nicht müde wird zu betonen. Die von Conceptlicht entwickelten Leuchten werden in spezialisierten Betrieben, mit denen Conceptlicht seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeitet, gebaut. Im Grunde gehe es aber gar nicht um Leuchten, sondern nur um Licht.
Wie wirkt Licht?
“Dem Licht wird durch den Einfluss der Industrie ein physikalisch-technischer Charakter zugeordnet, der aber nicht wesensbestimmend ist, denn Licht ist etwas sinnliches, etwas poetisches”, sagt Angerer. Licht an sich ist unsichtbar, d.h. Licht ist für den Menschen nur im Wechselspiel mit Materie erkennbar. Daher sei es für seine Profession zwar wichtig, sich mit Normen, mit Lux und Lumen auszukennen, betont Angerer, von mindestens ebenso großer Bedeutung seien jedoch Kenntnisse über Materialien und ihre Eigenschaften. Angerer nennt das die informative Betrachtung. “Was wir sehen, ist das von Gegenständen, also vom Raum reflektierte Licht. Die von uns als Helligkeitseindruck wahrgenommene Lichtenergie ist die Leuchtdichte, also die vom Material abgestrahlte Lichtstärke. Rein mathematisch berechnet sich die Leuchtdichte aus Reflexionsgrad mal Beleuchtungsstärke. Schon daraus ist zu erkennen, dass der Faktor Reflexionsgrad, der für die raumbildenden Flächen steht, der Beleuchtungsstärke ebenbürtig ist.” Das von einer Lichtquelle ausgestrahlte Licht hat noch einen geringen Informationsgehalt, nämlich den über die Art der Lichtquelle mit eher unangenehmen Folgen (Blendung durch die Lampenleuchtdichte). Das Licht trifft auf ein Objekt und wird von diesem in modulierter Form abgestrahlt. Zum besseren Verständnis bemüht Angerer ein Bild: Bälle treffen auf eine Fläche, prallen von dieser aber nicht ab, sondern werden verschluckt und in veränderter Farbe, Größe und Anzahl wieder ins Spiel geworfen. Das Licht vor dem Ereignis nennt er Leuchtlicht, das Licht danach Material- oder Raumlicht. Seine Handlungsmaxime lautet: “Leuchtlicht vermeiden, Materiallicht stärken.”
Dienende Funktion
Bei Angerers Konzeptfindung üben viele Faktoren einen Einfluss aus. Nicht die erzeugte Lichtmenge, sondern die räumliche Wirkung ist das Planungsziel. Die Ergebnisse seiner kritischen Überlegungen tauscht der Lichtplaner mit Architekten und Bauherren aus und versucht so der idealen Lösung Stück für Stück näher zu kommen, was oft mühsam und zeitaufwändig ist. Der bequeme Weg ist der, alles nach DIN zu entwerfen, aber dies ist nicht Angerers Weg. Ein Highlight in der bisherigen Zusammenarbeit mit gmp, da sind sich alle Beteiligten einig, ist das Berliner Olympiastadion. Das erste Stadionprojekt übrigens, bei dem Conceptlicht für die Lichtplanung verantwortlich war. Dass die Weltmarktführer in Sachen Stadionbeleuchtung, die bis dato auch Prestigeprojekte dieser Größenordnung ausschließlich mit ihren eigenen Teams realisierten, von der neuen Situation nicht angetan waren, liegt auf der Hand. “Von den ersten Überlegungen bis zur endgültigen Fertigstellung waren extrem viele Widerstände zu überwinden”, blickt Angerer zurück. Die gängige Praxis der Stadionbeleuchtung lehnt er ab. “Wir haben statt dessen den ‚Ring of Fire‘ kreiert.” Angerer charakterisiert damit die Integration der Spielfeldbeleuchtung im inneren Dachrand. Da dadurch störende Einzelanlagen wie Flutlichtmasten vermieden werden konnten, wirken das beleuchtete Dach und das Stadion optisch wie aus einem Guss. Zum Einsatz kamen rechteckige 2000 Watt-Scheinwerfer, die in Reihe addiert wurden. Um die extremen Licht-Schatten-Kontraste an den Rändern zu mildern, wurden sie in ein Passepartout aus hinterleuchtetem Opalglas eingebettet. “Im Ergebnis ein ruhiger, doch kraftvoller Ausdruck, der wie selbstverständlich wirkt”, freut sich Angerer. Das Erfolgsprojekt Olympiastadion Berlin zog etliche weitere Aufträge für Sportstadien weltweit nach sich. Angerer, der immer wieder in Projekte des Architekturbüros gmp (von Gerkan, Marg + Partner) einbezogen wird, arbeitet natürlich auch mit anderen Größen der Zunft vertrauensvoll zusammen.
Ruhe und Kraft
Ein weiteres weltweit renommiertes Projekt ist die Berliner Museumsinsel, bei dem unter anderen die Büros David Chipperfield, Levin Monsigny, Petersen und Heinz Tesar involviert waren. Conceptlicht hat die Außenbeleuchtung für die gesamte Museumsinsel entworfen. In Teilprojekten schreiten die Einzelprojekte der Vollendung entgegen. Für die Beleuchtung der Kolonnaden wollten die Architekten ursprünglich Pendelleuchten einsetzen, doch eine Bemusterung verdeutlichte die Vorzüge der von Angerer entwickelten linearen Schienenleuchte. Die Mittelachse, in der die Besucher flanieren, konnte so von Einbauten frei gehalten werden. Zudem kommt so Angerers Lichtphilosophie (Beobachterprinzip) optimal zum Tragen, d.h. der Mensch wird weder Direktanteilen noch Reflektorstrahlung ausgesetzt. Wenn man sich nachts dort aufhält, weiß man gar nicht, woher das Licht eigentlich kommt. Ebenso wichtig ist, dass die Säulen weder am oberen noch am unteren Ende angeschnitten sind und dadurch vom Betrachter als ein Bauteil wahrgenommen werden. Die Säulen werden nur durch den Widerschein der Decke und des Bodens aufgehellt. “Es ist gerade diese Wahrnehmung, die den Kolonnadenhof auszeichnet. Eine ungeheure Präsenz, die sich durch Ruhe und Kraft auszeichnet. Die Beleuchtung ordnet sich völlig unter. Man sieht, wir planen Licht, wir planen Schatten, im Grunde aber planen wir Wahrnehmung.”
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