Im historischen Zentrum Amsterdams direkt an der Keizersgracht liegt Felix Meritis, ein denkmalgeschütztes Gebäude, 1788 für die Felix-Meritis-Gesellschaft gebaut – eine philanthropische Vereinigung der Aufklärung. Das Haus war ein zentraler Ort für den Austausch zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft: Im Konzertsaal gastierte schon Johannes Brahms, und es fanden wissenschaftliche Experimente und Vorträge statt. Nach Auflösung der Gesellschaft wurde das Gebäude auch als Zeitungsverlag, als Zentrale der Kommunistischen Partei und als Kulturzentrum genutzt.
Math Architecten interpretieren modern
Das neue Felix Meritis experimentiert nun mit eigenen Programmen im Bereich Technologie, Wissenschaft und Kunst und vermietet Räume für unterschiedliche Events. Jeder Raum erhielt eine ganz eigene Identität, in Anklang an die Geschichte der Räume.
Der Eingangsbereich umfasst die Rezeption und ein Restaurant, die moderne Interpretationen der Originalräume aus dem 18. Jahrhundert sind. Das auf Materialentwicklungen spezialisierte Amsterdamer Designstudio Belén entwickelte in Kooperation mit den Innenarchitekten i 29 textile Wandverkleidungen. Das Designteam fand eine Radierung des Künstlers Reinier Vinkeles aus dem 18. Jahrhundert, die im Hause entstanden war und eine Szene aus dem ursprünglichen Zeichensaal zeigt. Diese diente als Inspiration für einen Wandteppich mit überlangen Garnen in zwei unterschiedlichen Grüntönen, die das ursprüngliche Motiv verfremden und ihm eine physische Präsenz geben. In der Einrichtung dominieren die Grüntöne der Sitzmöbel, ein verspiegelter Bartresen kontrastiert mit matten Natur-Eichenböden.
Überraschende Optik
Im Restaurant wurde das Bild eines holländischen Himmels ebenfalls in eine taktile Wandverkleidung übersetzt. Der tief geschnittene Raum erhält durch die Abbildung eine neue Offenheit, die die Besucher beim Speisen förmlich in den Außenraum versetzt. Das zugrunde liegende 360°-Foto wurde vom Dach aus, das einst eine Sternwarte beherbergte, aufgenommen. Die Umsetzung erfolgte mit Schlaufen bildenden, glänzenden Garnen im Gewebe, die zu einer subtilen textilen Dreidimensionalität mit changierender Optik führen.
Neue Nutzung
Der Konzertsaal, der für seine akustische Qualität berühmt ist, wurde in den ursprünglichen Farben wiederhergestellt, was ihm ein klassisches Aussehen verleiht. Flexible Wandelemente, die zur Schallabsorption oder -reflexion geöffnet oder geschlossen werden können, ermöglichen die optimale Anpassung an unterschiedliche Arten von Musik.
Der Säulensaal behielt einen rohen Charakter, erhielt jedoch im Verborgenen alle notwendige Technik und Beleuchtung. Im Shaffy-Saal verweisen die kräftigen, im Verlauf gestalteten Farben der Wände und Böden auf die 1960er-Jahre, als dieser Raum ein Treffpunkt der Avantgarde unter Mitwirkung des Künstlers Ramses Shaffy war. Im Kontrast zur Farbgebung stehen Wand und Tresenelemente aus passiviertem Stahl. Das Interior des Zeichensaals verweist auf die ehemalige Nutzung mit einer grafischen Farbmusterung und großen „Papierbögen“, die von der Decke hängen.
Material- und Farbvielfalt
Die Husly-Lounge wurde in einen farbenfrohen gelb-grünen Raum verwandelt, der durch ein großes neues Oberlicht natürlich beleuchtet wird. Dieser Raum kann bei größeren Veranstaltungen als Lounge dienen, oder aber – wie alle anderen Säle auch – völlig flexibel für die separate Vermietung für Theater- und Tanzaufführungen, Partys, Konferenzen, oder auch Versammlungen genutzt werden.
Die ursprüngliche Holzbalkenkonstruktion des Kuppelsaals im Dachgeschoss wurde nach altem Vorbild restauriert. Die enorm große Nutzungsvielfalt erfordert eine möglichst flexible Möblierung. Deshalb entwarf I 29 speziell für diesen Zweck einen leichten, stapelbaren Stuhl, der sich in die unterschiedlichen Räume gut einfügt.
Ganz im Sinne der Gesellschaft, die sich „Glücklich durch Verdienste“ betitelte, haben die Beteiligten – Math Architecten, i 29 und Buro Belén – hier ein außergewöhnliches Werk geschaffen, das die Ideen der Vergangenheit in der Gegenwart verortet.
Fakten
Projekt: Felix Meritis
Ort: Keizersgracht 324, 1016 EZ Amsterdam, Niederlande
Auftraggeber: Amerborgh / Amerpodia
Eröffnung: 2021
Fläche: 4 500 m²
Architektur: Originalgebäude 18. Jh.: Jacob Otten Husly
Umbau: Math Architecten, Amsterdam, Webseite des Architekturbüros
Innenarchitektur: i 29, Webseite des Innenarchitekturbüros
Textilgestaltung: i 29 & Buro Belén
Textile Wandbekleidung Restaurant: EE Exclusives
Innenausstatter Möbel: Stooff Interior Projects
Bestuhlung Restaurant: Zilio A&C
Bestuhlung Konferenzbereiche: Felix von Lensvelt
Fotos: Ewout Huibers
Autorin Christiane Sauer
Die Architektin und Materialspezialistin lehrt als Professorin für Materialentwurf an der Weissensee Kunsthochschule Berlin.