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Auf dem Kiesweg hält es Jakob Röthlisberger nicht lange aus. Bald steigt er über Wurzelstöcke und Brombeeren, legt den Kopf in den Nacken, blickt weit hinauf in die Baumkronen. Wie beiläufig streift seine Hand über die Rinde einer alten Buche. Dann wieder betrachtet er den Kindergarten des Waldes, all die jungen Bäume und Sträucher, die tief im Schatten der Baumriesen wachsen.
Wald als lebendiger und dynamischer Lebensraum
Der 53-Jährige geht durch alten Buchenbestand nahe Überlingen am Bodensee. Nach einer halben Stunde haben die Bäume ihm ihre Geschichte erzählt: Vor 20 Jahren raste der Orkan „Lothar“ über die bewaldete Kuppe und riss große Löcher hinein. Allein die kräftigsten Buchen hielten stand, von den Verlierern zeugen Reste aus der Erde gerissener Wurzelballen. Nach dem Sturm hatten die Buchen Licht. Sie mussten sich nicht länger strecken und wuchsen selbstbewusst in die Breite. Röthlisberger zeichnet das Bild eines lebendigen und dynamischen Lebensraumes.
Der Mann aus dem Berner Oberland ist kein bloßer Hobby-Waldläufer. Seine Visitenkarte weist ihn als Leiter des Massivholzeinkaufs beim Schweizer Möbelhersteller Girsberger aus. All das Holz, aus dem in den Girsberger-Werkstätten Massivholzmöbel entstehen, hat Röthlisberger eigens für die Holzverarbeitung ausgewählt.
An den Spuren der Jahrzehnte und Jahrhunderte an einem Baum erkennt er bereits, wie das Holz später in der Inszenierung durch die Schreiner wirken wird. „Das ist keine Zauberei, ich versuche nur, den Baum zu verstehen“, winkt er ab. Sind etwa die als „Chinesenbärte“ bezeichneten Rindennarben an der Buche flach, liegt der überwachsene Ast tief im Stamm. Darüber befindet sich astfreies Holz.
Erfahrung mit der Holzverarbeitung
Röthlisberger betrachtet den Standort eines Baumes, die Sonneneinstrahlung, die Wasserverfügbarkeit und erkennt aus der Beastung die Hauptwindrichtung. Ist die Erde nährstoffreich, werden die Jahrringe breit sein, karger Boden liefert den Schreinern feinjähriges Holz. Er ist im Wald ständig in Bewegung. Er schaut, tastet, setzt in Gedanken ein dreidimensionales Bild des Stamminneren zusammen — die Essenz jahrzehntelanger Beschäftigung und Erfahrung mit der Holzverarbeitung.
Der bärige, lebensfrohe Familienvater ist dabei nicht nur ein kühl kalkulierender Einkäufer. Bei aller Verantwortung für den millionenschweren Lagerbestand an edlen europäischen Hölzern treibt ihn die Liebe zum Wald und zum Holz an. „Wenn wir einen Baum fällen, greifen wir in ein funktionierendes Lebewesen ein. Das verpflichtet uns, etwas Wertvolles daraus zu schaffen“, ist Röthlisberger überzeugt.
„Die schönsten Dinge sind die, die man nicht sieht.“ Jakob Röthlisberger
Aus diesem Respekt heraus ist seine Arbeit nicht damit abgeschlossen, schön gewachsene Eichen-, Nussbaum- oder Ulmenstämme zu kaufen. Er begleitet seine Einkäufe auch in hoch spezialisierte Sägewerke, die mit wertvollem Holz umzugehen wissen. Dann entscheidet er vor Ort, wie der Stamm aufzusägen ist. Maserungen, die schimmern wie Seide, oder Äste, die sich im Brett wie Blüten darstellen: „Die schönsten Dinge sind die, die man nicht sieht; wenn man sie aber mit Leidenschaft sucht, werden sie für unsere Augen sichtbar“, sagt er mit einem Lächeln.
Spezialisierte Sägewerke für das zweite Leben
Aus einem stehenden Stamm diese Schönheit herauszulesen und in das „zweite Leben“ als Möbel zu überführen, versteht er als Kunst und Herausforderung. Diese Art der Holzverarbeitung beschreibt er bescheiden: „Wenn man etwas mit Liebe betrachtet, sieht man viele Details darin.“
Achtung vor einem Organismus
Das erkannte er schon früh. Jakob Röthlisberger war sechs Jahre alt, als er verkündete: „Mama, ich werde Zimmermann.“ Gesagt, getan. Mit 20 Jahren gründete er einen eigenen Betrieb. Im Alter von 34 Jahren warb ihn ein großer Holzhändler als Einkäufer an.
Im Jahr 2008 wechselte er zu Girsberger. Dort weiß man längst, dass dieser Mann „Gold wert“ ist. Röthlisberger ist in die Produktentwicklung eingebunden als Bindeglied zwischen Waldbesitzern und Schreinern. Ein logischer Schritt, muss er doch rechtzeitig jenes Holz aufstöbern und kaufen, das in den kommenden Jahren gefragt sein wird.
„Ich bin ein Mann des verbindlichen Worts“, umreißt er seine Maxime. In fünf Sprachen verhandelt er mit Waldbesitzern in weiten Teilen Europas, und die wissen: Wenn Röthlisberger zu ihnen in den Wald kommt, geht es ihm nie nur ums Geld, sondern auch um die Achtung vor einem Organismus, der so viel erlebt hat und doch immer stehen blieb.
Spannende Anwendung mit dem Werkstoff Holz