Materialentwicklung und forschungsorientiertes Entwerfen an Kunst- und Designhochschulen gewinnt zunehmend an Bedeutung, da Innovationen nicht mehr nur rein technisch definiert werden. Vielmehr wird Gestaltung inzwischen als wesentlicher Faktor gesehen, um Funktionalität, Form und Herstellung bereits im Entwurfsprozess in Einklang zu bringen und ineinandergreifend zu konzipieren.
Experimentelle Ansätze ausloten
Gerade Hochschulen können für Innovationsprozesse einen wesentlichen Beitrag liefern, da sie die Freiheit haben, auch experimentelle Ansätze auszuloten, die in weiterer Entwicklung dann Initiale für industrielle Produkte werden können.
Experimentieren mit Basaltfasern
Das Experimentieren mit Basaltfasern und -garnen war Inhalt eines Studienprojekts an der Weissensee Kunsthochschule Berlin unter Leitung der Autorin. Es galt, neue gestalterische Anwendungen für das bislang meist technisch eingesetzte Material auszuloten. Dazu muss man wissen, dass Basaltschotter heutzutage industriell aufgeschmolzen und zu Endlosfasern, sogenannten Filamenten, gezogen wird, deren technische Eigenschaften vergleichbar mit Glas- oder Karbonfasern sind.
Was geht mit Balsaltfasern?
Die studentischen Experimente reichten von Basaltglasuren bis zu Basaltvorhängen (siehe auch md 04/2017, „Steinweich“). Vor allem aber zeigten sie neue Anwendungsmöglichkeiten auf. Das ließ auch die Basaltfaserindustrie aufhorchen und ermöglichte Idalene Rapp und Natascha Unger nicht nur die Vertiefung ihrer Projektarbeit Stone Web im Rahmen einer Masterarbeit im Fachgebiet Textil- und Flächendesign / DXM – Design und Experimentelle Materialforschung.
Die Absolventinnen konnten das Leichtbausystem aus Basalt im Anschluss sogar bis zur Produktreife weiterentwickeln.
Elastizität und Stabilität zugleich
Die Module bestehen aus Basaltgarn, das, mit biobasiertem Flüssigharz getränkt, im feuchten Zustand über ein später entnehmbares Formgerüst gewickelt wird und anschließend zu einer stabilen Struktur aushärtet. Durch die spezielle netzartige Anordnung ergibt sich eine Elastizität der Oberflächen bei gleichzeitiger Stabilität der Gesamtstruktur.
Unterschiedliche Garnstärken und Wickeldichten
Die auf einem Oktaeder basierten Formen trugen bei ersten Materialtests an der TU Berlin gut 900 kg Last – das entspricht fast dem Gewicht eines Kleinwagens. Dazu kommt, dass sich durch die Verwendung unterschiedlicher Garnstärken und Wickeldichten auch leichtere Ausführungen, verschiedene Optiken und Stabilitäten erzeugen lassen, die dem jeweiligen Einsatzzweck angepasst werden können.
Materialverhalten und Form wurden in iterativen Prozessen und Schleifen immer wieder optimiert und getestet. Die Bilder zeigen eine Installation aus 100 Modulen, die Möglichkeiten der Raumbildung bietet und zugleich als Sitzlandschaft dient.
Geringer Materialeinsatz des Garns
Die stapelbaren Module sind durch eingesteckte Basaltstäbchen miteinander verbunden und können auf einfache Weise rekonfiguriert werden. Einzelne Elemente lassen sich auch als Hocker oder Tischchen nutzen. Die überkreuzenden Garne bilden eine elastische Struktur, die angenehm zum Sitzen ist.
Die Module sind aus jeweils 128 m langem Garn in fünf unterschiedlichen Stärken gefertigt. Ihr „Leichtgewicht“ liegt zwischen 45 und 950 g, sodass die gesamte Rauminstallation nur
45 kg wiegt. Das System ist deshalb federleicht zu transportieren und passt sich in seiner Modularität unterschiedlichen Anforderungen an. Witterungs- und UV-Beständigkeit eröff- nen den Horizont für weitere Anwendungen, auch im Außenraum.
Kunstharz ist biobasiert
Aufgrund der Zugfestigkeit der Faser kann man mit extrem geringem Materialaufwand stabile Strukturen erreichen. Das zur Versteifung der Fasern benötigte Kunstharz ist biobasiert und wird nur in minimaler Menge eingesetzt, verglichen beispielsweise mit klassischen GFK-Schalen eines Eames ‚Fiberglass Chairs‘.
Ausgestellt wurden die Objekte bereits vielfach, unter anderem im Rahmen der Ars Electronica 2019 und demnächst auch als modulare Möblierung im Museumskontext. Die Absolventinnen arbeiten mit Unterstützung des hochschuleigenen Gründungsprogramms „Designfarm – Design in Tech Accelerator“ weiter an der Prozessoptimierung und an neuen Anwendungen.
Vom Experiment zum Produkt
So zeigt dieses Beispiel, wie vom Materialexperiment bis zum Produkt Hochschulen Innovationen an der Schnittstelle von Lehre, Forschung und Entwicklung fördern können und zugleich individuelle Designerprofile einer neuen Generation daraus erwachsen.
Lesen Sie hierzu unseren Beitrag Steichweich
Factsheet
Projekt: Stone Web (Balsaltfasern)
Design: RappUnger, Berlin (Idalene Rapp, Natascha Unger), www.rapp-unger.com
Hochschule: Weissensee Kunsthochschule Berlin, Fachgebiet Textil- und Flächendesign, Masterstudio
Prof. Christiane Sauer, DXM Design und Experimentelle Materialforschung, www.dxm-berlin.de, www.kh-berlin.de
Material: Basaltfaserroving, 300–4800 tex, biobasiertes Harz, Wickeltechnik
Gewicht: Einzelmodul 45 g–950 g
Gesamtstruktur 100 Module unterschiedlicher Stärke: 45 kg
Autorin Christiane Sauer: Die Architektin und Materialspezialistin lehrt als Professorin für Materialentwurf an der Weissensee Kunsthochschule Berlin.
www.formade.comwww.dxm-berlin.de