Wer an Technologieunternehmen und ihr Büroumfeld denkt, hat schnell solche Bilder im Kopf: Die kastig-graue Bürowelt vergangener Tage geht über in spielerische, möglichst abwechslungsreich gestaltete Raumfolgen. Im Silicon Valley sind spektakuläre Unternehmensarchitekturen mit entsprechenden Innenraumkonzepten schon lange üblich.
Von Mitarbeitern wird heute mehr denn je Kreativität und Selbstorganisation erwartet, um disruptive Produkte bis hin zu neuen Geschäftsmodellen zu entwickeln. Daher scheint es naheliegend, in der alltäglichen Umgebung vielerlei kreative Anknüpfungspunkte zu schaffen. Ob die Gestaltung dabei eher minimalistisch oder verspielt ausfällt, hat mit dem jeweiligen Markenkern und der Experimentierfreude der Firmenchefs zu tun.
In Deutschland, und erst recht im beschaulichen Bonn, waren derartige Lebens- und Arbeitsorte kaum zu finden. Die im Zuge der Postreform entstandene Telekom-Zentrale wurde 1995 in der Bundeshauptstadt vom damaligen Postminister Wolfgang Bötsch und von Bundeskanzler Helmut Kohl eingeweiht. Die Reform setzte die Liberalisierung der Märkte in Gang, beförderte den IT-Boom und privatisierte das Staatsunternehmen überwiegend. Inzwischen ist die Telekom ein international agierender Technologiekonzern mit gewandelter Unternehmens-, Eigentümer- und Geschäftsstruktur.
Möblierungskonzept: Upcycling
Nur die Bürowelten der mittleren 1990er-Jahre blieben – einschließlich Patina – bis vor Kurzem nahezu unangetastet. Das Gebäude bestand innen aus einer Aneinanderreihung kleiner Bürozellen, die beiderseits von künstlich beleuchteten Fluren abgingen.
Für alle Immobilienbelange des Unternehmens ist die Abteilung Group Supply Services (GSUS) Strategie-, Regelungs- und Richtliniengeber. Sie plante ein „Refresh FEA“ – abgeleitet von der Telekom-Hausadresse Friedrich-Ebert-Anlage 140 – und damit eine grundlegende Überarbeitung des Bonner Hauptquartiers.
Das Projekt ist besonders nachhaltig, nicht nur, weil es statt eines Totalabrisses die Gebäudestruktur weitgehend erhielt und ertüchtigte. Das Möblierungskonzept nutzt ebenfalls Upcycling-Strategien, bereitet vorhandene Gegenstände auf und versieht sie mit neuer Bürotauglichkeit.
Kunstprojekte für Detecon
Mit der Kommunikationsagentur Orange Council hatte Architektin Dagmar Ecken als GSUS-Verantwortliche bereits während eines kleineren Projekts positive Erfahrungen gesammelt. 2012 hatte das weltweit tätige Beratungsunternehmen Detecon – mit rund 1 200 Mitarbeitern und 220,5 Millionen Euro Umsatz eine hundertprozentige Telekom-Tochter – den Umzug der Firmenzentrale von Bonn in neue, unspektakuläre Räume nach Köln geplant.
Zusammen mit Orange Council und dem Künstlerkollektiv Freeters entwickelten sie eine unverwechselbare Umgebung, die den funktionalen Aspekten der Büroarbeit Rechnung trägt, vor allem aber die emotionale, kommunikative Seite mittels Kunst thematisiert. Damals hatten der bei Springer & Jacoby tätige Ulrich Zünkeler und sein Bruder, der Galerist und promovierte Jurist Bernhard Zünkeler, für Detecon in Bonn Ausstellungen organisiert. Doch bei der aktuellen Aufgabe handelte es sich um mehr und anderes als um das Hängen von Bildern. Stattdessen ging es um Installationen, spezifische Objekte und Räume, die dem Team eine besondere Verbindung zum Unternehmen eröffneten.
Anregendes Spielfeld
Dabei entstand ein gestalterisches Prinzip und ein Spielfeld, das so neu wie anregend wirkt. Denn die Kunst, um die es hier geht, weist gewisse Parallelen zum Upcycling des Social Design auf, freilich auf hoher professioneller Ebene. Denn sie muss Normen der Arbeitssicherheit und des Brandschutzes standhalten, ohne ihren Charme einzubüßen. Sie hat, was bei Kunst noch immer eigentümlich erscheint, einen maßgeblichen Anwendungsaspekt, ohne ins kunstgewerblich-geschmäcklerische abzukippen.
Ihr Marktwert besteht in ihrem geistig-kulturellen Nutzwert. Und sie ist eng auf den spezifischen Ort, das Unternehmen und den Kontext der Arbeitsumgebung abgestimmt. „Authentic Identity“ nennen das die Macher von Orange Council knapp, ohne sich in langatmige Begründungen zu verstricken.
In der Telekom-Konzernzentrale sollten unzeitgemäße Strukturen aufgebrochen und verändert werden. Während der baulichen Verwandlung von 22 700 Quadratmetern, die Kubus Architekten aus Düsseldorf planten und betreuten, wurden Zellenbüros zum Teil in offene Bürowelten (OBW) transformiert – im Verhältnis 55 zu 45, die Flure im Eckbereich zu Meeting Points erweitert. Verglaste Trennwände der Besprechungsräume dienen als optische Raumerweiterung. „Selbst ohne Möbel sah das schon besser aus“, sagt Michael Barche, einer der vier Geschäftsführer von Orange Council, über den architektonischen Rückbau. Gemeinsam mit Andreas Geyer sowie Ulrich Zünkeler, die wie er aus der Werbung kommen, bildete Barche die Creative Direction des Projektes „Refresh FEA“, mit Bernhard Zünkeler als Kurator.
Open Space Superior
Sie hätten die offenen Flächen, freigelegten Decken und Säulen einfach wieder einpacken, glatt machen und in ein normales Open-Space-Office mit den üblichen Attraktionen und Unzulänglichkeiten verwandeln können. Die Telekom und ihre strategisch ausgerichtete Immobilieneinheit gingen aber einen Schritt weiter.
Für Orange Council wurde das rohe Büroterrain Ausgangspunkt für ge zielte gestalterische Eingriffe. „Was früher Teeküchen waren“, beschreibt Ulrich Zünkeler, „besenkammerartig und abgeriegelt, wurde architektonisch geöffnet. Durch die Breite des geöffneten Flurs entstand eine tolle räumliche Situation, die wir dann bespielen konnten“.
Silodenken überwinden
Die Meeting Points dienen als Treffpunkte für jeweils bis zu 90 Beschäftigte. Diese Orte weisen die inhaltlich gleiche Grundausstattung mit Sitzbank, Tischen und Stühlen, einer Workbench, einer Küchenzeile, Kaffeeautomat und Wasserspender auf. Überdies gibt es Monitore für Präsentationen. Nur die Gestaltung differiert von einem Meeting Point zum nächsten. Das hilft, Silodenken aufzubrechen und regt die Kollegen räumlich entfernter Abteilungen an, andere Meeting Points anzusteuern.
Mitarbeiter und Künstler besuchten im Vorfeld gemeinsam den Objektfundus des Unternehmens, um gezielt Gegenstände für die Transformation auszuwählen. Aus einer Telefonzelle entstand nun aber nicht einfach ein Rückzugsort für Telefonate in der Nähe der offenen Bürowelten, sondern mitunter auch eine Sitzbank oder ein Sessel.
Mit alten Kabeln wurden zum Beispiel drei Stühle zu einer ikonischen Sitzbank verknüpft und so weiter. Weshalb wirkt das Ergebnis so reizvoll? „Wir versuchen“, erklärt Bernhard Zünkeler von Orange Council, „die Authentizitätsmerkmale in disruptive Momente umzuändern. Dann sagen wir: Sieh dir das Bekannte einfach mal unter einer veränderten Perspektive an“.
Akzentsetzungen
Bei der Einrichtung der Räume entschied sich Orange Council für eine 70/20/10-Aufteilung. 70 Prozent des Mobiliars stammen aus der Serienfertigung von Möbelherstellern.
20 Prozent der Gestaltungselemente gelten als Akzentsetzungen, als „Einladung zum Mitmachen und Verändern“. Dazu zählen ausgefallene Einzelstücke, Teppiche, Bilder, Tapeten oder Kissen. 10 Prozent fungieren als räumliche Überraschungsmomente. „Moonshots“, von denen Bernhard Zünkeler behauptet, dass man nicht wissen kann, was sie bewirken, bevor man sie umgesetzt hat.
Sich auf ein derartiges Einrichtungskonzept einzulassen, bedeutet für Vorstände großer Unternehmen eine gewisse Risikobereitschaft. Schließlich hängt die Qualität zumindest jener zehn Prozent der Objekte mit einem besonderen Überraschungseffekt zusammen. Im Gegenzug erhalten sie nach dem Konzept der „Authentic Identity“ etwas Einzigartiges: individuell verwandelte Gegenstände, die aus dem materiellen Erbe des Unternehmens hervorgehen. So etwas kann man nirgends kaufen. So nah kamen sich Kunst und Unternehmen lange nicht mehr. Wie sich das auf beide auswirken wird?
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