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Spot on Design... Labertaschen-Text. René Spitz wechselt ins Fach der Literaturkritik. md-mag.com

Spot on Design
Labertaschen-Text

Labertaschen-Text
Alles und Jedes will uns eine Geschichte erzählen. An Wortspiele auf Einkaufstüten haben wir uns längst gewöhnt. Werbung halt. Foto: Susanne Tamborini-Liebenberg
Stories sollen Produkte verkaufen. Jetzt erobern Texte auch ihre Oberflächen: Kurzgeschichten und lehrreiche Sinnsprüche verzieren Alltagsgegegenstände und sollen sie mit höherer Bedeutung aufladen. René Spitz wechselt ins Fach der Literaturkritik.

Vier Botschaften verpacken wir Menschen in jeder Aussage, die wir treffen – so lautet die berühmte These des Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun. So gebe ich also mit der einfachen Frage: „Wo ist die Zahnpasta?“ erstens über einen Sachverhalt Auskunft („Die Tube ist nicht da, wo sie hingehört.“), zweitens über meine Sicht auf mich selbst („Ich habe sie jedenfalls nicht verschlampt.“), drittens über meine Sicht auf unsere gemeinsame Beziehung („Wir sind uns doch einig, dass Du es gewesen sein musst.“), und schließlich fordere ich meinen Gesprächspartner noch zu einer Handlung auf („Stell die Zahnpasta gefälligst in den Becher!“).

In jüngster Zeit kommt es nun immer häufiger vor, das wir von der Seite angequatscht werden. Nicht frontal, Auge in Auge, sondern mal schräg von unten, mal von oben, eigentlich aus jeder Ecke unseres Gesichtsfelds und zunehmend in den unmöglichsten Momenten. Betreten wir beispielsweise im Hotelzimmer – geplättet vom Tagwerk oder zerknittert nach der kurzen Nacht – das Badezimmer, um uns der würdevollen Wiederherstellung unserer Ansehnlichkeit zu widmen, so geschieht es, dass wir uns nicht allein mit unserer inneren Stimme im stillen Zwiegespräch befinden.

Sondern der Zahnputzbecher funkt ungefragt dazwischen, denn in großen Buchstaben steht darauf geschrieben: „Even superheroes must brush their teeth.“ Was nicht sonderlich bemerkenswert wäre, doch widerspricht ihm der zweite Becher auf subtile Weise: „Self confidence is the best outfit.“ Das Badezimmer reüssiert als Ort der Sammlung und des Flusses von Gedanken in philosophischer Manier. Wäre da nicht die Flasche mit der Flüssigseife. Sie erdet uns wieder in den pragmatischen Notwendigkeiten des Hier und Jetzt: „Stop the water while using me!“ So entspinnt sich ein Dialog aus der Distanz mit dem Weinkühler vom Restaurant, der es noch besser weiß: „Safe water, drink wine.“

Sind so viele Stimmen! „Come as you are“, ermuntert mich das schicke Berliner Hotel. Besten Dank für die Erlaubnis, dass ich so bleiben darf, wie ich bin. Zugleich stachelt mich der Kulturbeutel aus dem Kulturkaufhaus an: „Make up not war“, rüste dich für den Kampf der Geschlechter. Und dann? Verlasse ich die abendliche Schlacht als Single, so erinnert mich das Kissen auf der einsamen Doppelbetthälfte auch noch an mein Versagen, kalten Trost heuchelnd: „Let’s spend the night together“.

In der Schublade schlummert nur die vergessene Schlafmaske eines früheren Gastes: „Don’t you dare“, wag es ja nicht, was immer es auch sei. Ein völlig unsinniger Appell, denn wer so unverfroren ist, die Botschaft einer getragenen Schlafmaske zu missachten, wird sich von schnieke darauf getippten Lettern bestimmt nicht daran hindern lassen.

Verehrtes Hotel, für einen Aufenthalt bei Euch müsste mein Tag 25 Stunden haben, denn ich bräuchte allein eine Stunde nur für die Lektüre Eurer Texte. Und verehrte Designerinnen und Designer, bitte verschont uns vor Geschwätzigkeit, Aufdringlichkeit und weltverbesserlicher Belehrung. Mit der Rede vom selbsterklärenden Produkt war keineswegs gemeint, die Dinge unaufhörlich in verbaler Ansprache um unsere Aufmerksamkeit buhlen zu lassen.

Dass T-Shirts und Einkaufstüten bisweilen zu Scherzen und Wortspielen aufgelegt sind, daran haben wir uns längst gewöhnt. Aktuell begegnen uns auf dem Bürgersteig Ansagen wie: „Hier flaniert Berlin“, oder auch: „Das trägt man jetzt so“. Werbung halt, wer’s mag.

Neuerdings befiehlt uns aber der Teebeutel: „Be happy“, und: „Keep calm“. Was bitteschön heißt Teetrinken denn anderes als: Abwarten. Entspannen. Den Moment genießen. Wer das auch noch in plumpe Worte fassen muss, hat es genauso wenig verstanden wie jeder, der diese Aufforderung braucht, um ihr dann erst brav Folge zu leisten.

Liebe Missionare in eigener Sache, um es in nur einer einzigen Botschaft deutlich zu mahen: Reden bringt Euch zwar Silber. Doch Euer Schweigen wäre Gold wert.

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Kolumnist

Prof. Dr. René Spitz lehrt an der RFH Köln Designwissenschaft. Seit 20 Jahren berichtet er als Designkritiker des WDR. Sein Interesse gilt der gesellschaftlichen Verantwortung der Gestalter.


Spot on Design

Chatterbox bags

Stories are intended to sell products. Now text is also taking over their surfaces: short stories and educational sayings adorn everyday items and simultaneously give them a higher meaning. René Spitz is moving on to the field of literary criticism.

As persons, we pack four messages in each statement we make – this is how far the famous theory by the expert in interpersonal communication Friedemann Schulz von Thun goes. Consequently, if I ask the simple question of “where is the tooth paste?” I firstly provide information about the circumstances (“the tooth paste is not where it belongs.”), secondly, I describe a view of myself (“I for one have not misplaced it.”), thirdly, I illustrate my view of our shared relationship (“we agree that it must have been you.”), and lastly I ask my conversation partner to take action (“put the tooth paste where it belongs!”).

It has recently become very common that we are approached without us having prompted an interaction. Not in a straight-forward way, from face to face, but maybe from diagonally below eye level or from above our heads, actually from any angle of our field of vision and increasingly in the most inconvenient moments. For instance, picture yourself in a hotel room – you are exhausted by the day’s events or feel a little rough after a short night. You step into the bathroom to make yourself presentable and you find you are not only in a conversation with yourself. The toothbrush holder has something to say as it reads “Even superheroes must brush their teeth”.

On its own, this wouldn’t be too remarkable if the second holder wouldn‘t contradict it in a subtle way by saying “Self confidence is the best outfit.“ The bathroom succeeds in being the place to get ourselves back together again, where our mind wanders in a philosophical way. If only it wasn‘t for the bottle of soap. It brings us back to earth with a pragmatic “Stop the water while using me!“ Consequently, you find yourself in a remote dialog with the restaurant‘s wine cooler that seems to know it better: “Save water, drink wine.“

So many voices! “Come as you are“ the trendy Berlin hotel encourages me. Thanks for the permission to stay how I am. Simultaneously, the toiletry bag from the sophisticated department store incites me to “Make up not war“ and get ready for the battle of the sexes. And then what? I leave the evening‘s battleground as a single and the pillow on the unused side of the double bed reminds me of my failure as it pretends to comfort me by saying “Let’s spend the night together.” In the drawer I merely find a blindfold a former guest left behind: “Don’t you dare“, whatever that may be. A completely absurd plea because if you are audacious enough to ignore the message of a used blindfold, you won’t be put off by fancy letters printed on it.

Dear hotel, a day spent at your premises would have to have 25 hours because I’d need an hour alone just to read all your texts! And dear designers, please spare us the chit-chat, obtrusiveness, and superior indoctrination. By demanding self-explanatory products we never asked for constant messages competing for our attention.

We have long been used to t-shirts and shopping bags with jokes and puns. Currently we are faced with statements on the sidewalk like “This is where Berlin strolls along” or even “It’s the fashion now.” That’s just advertising, each to their own.

Recently tea bags are telling us to “Be happy” and “Keep calm”. What else is a cup of tea trying to make us do but relax?! Enjoy the moment while it lasts. If you need someone to put it in words, you have failed to understand the message, just like anyone needing the prompt to then do as they are told.

Columnist

Prof. Dr. René Spitz teaches design science at RFH Cologne. For 20 years he has reported as a design critic on television (WDR, West German Broadcasting). His interest focuses on the social responsibility of designers.


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