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md-Kolumnist Ahmet Çakir bewertet verschiedene Lernmethoden.

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Lernmethoden

Lernmethoden
So kann ein modernes Schulgebäude aussehen. Hier das Forum des Münchener Gymasiums Trudering von Schürmann Dettinger Architekten.Foto: Florian Holzherr
Dass Lernen wichtig ist, wird kaum jemand bestreiten. Doch beim „Wie“ scheiden sich die Geister. Ob mit Lernautomaten oder mit Wissensverlagerung in die Cloud – es kommt wesentlich auf die Vermittler des Wissens an. Sofern sie gute Pädagogen sind.

Autor Ahmet Çakir

Im Anfang war das Wissen, und das Wissen war bei Gott, und Gott war das Wissen. Und Gott sah, dass das Wissen gut war. Da schied Gott Wissen vom Unwissen und nannte Wissen himmlisch und das Unwissen unterirdisch schlecht. Seitdem streben Menschen nach Wissen. Nicht ganz freiwillig indes, denn der Herr sprach: „Wissen ist Macht! Ihr hört nie auf danach zu streben!“ Das ließen sich die Menschen nicht zweimal sagen und sammelten Wissen, egal ob es Macht gibt oder nichts macht.

Eines Tages, als die Menschen glaubten, fragten sie den Herrn, ob sie immer Wissen sammeln müssten. Dieser sagte „immer und überall!“. Bereits beim Frühstücksfernsehen saugten Kinder Wissen auf, bevor sie in der Schule abgeliefert wurden. Büros und Fabrikhallen verwandelten sich in Wissenssammelstellen. In den Bussen und U-Bahnen streuten Displays Wissen und wenig Wissenswertes. Nur im Bett. Nein, auch da lebte man nach dem Wort des Herrn und saugte Wissen im Schlaf auf.

Als die Menschen sahen, dass sie dem Wissen nicht entrinnen konnten, dachten sie sich Lernmethoden aus, die das Sammeln von Wissen erleichtern. In der Antike waren die Methoden noch unausgegoren. Da lief der Wissende über die Agora und seine Jünger pickten die Brocken auf, die er fallen ließ. Etwas später entstand das Gymnasion, Ort der körperlichen und geistigen Ertüchtigung. Aus heutiger Sicht ein Unding, denn er war der männlichen Jugend vorbehalten, wobei das Körperliche im Vordergrund stand. In den Gymnasien wurde nackt trainiert. Heutige Gymnasien zielen eher auf das Geistige, dienen der Ko-Edukation, und deswegen entfällt die Neigung, entblößt zu trainieren.

Meine erste Begegnung mit Lernmethoden fiel – nach Ansicht der Eltern – eher grauenhaft aus. In der Grundschule unterrichtete uns eine Lehrerin, die beim drittletzten Osmanischen Sultan ihre Weihen erhalten hatte. Nicht einmal die Schrift, mit der sie studiert hatte, war übriggeblieben. Aber alte Schultische. Die Eltern flippten endgültig aus, als sie mit uns Drittklässlern in die Stadt zogen, um ein paar Kanister Firnis, Pigmente, Holzleisten und einen Ballen Leinenstoff zu kaufen. Dazu übergroße und kleine Pinsel.

Am Tag darauf mischten wir Farben, um mit den großen Pinseln die Wände zu streichen. Danach wurden die Tische paarweise in der gleichen Farbe gestrichen und in den Raum gestreut. Es saßen sich jeweils drei gegenüber. Die Lehrerin nannte sie Gruppe und ernannte einen der sechs (oder eine davon, Türkisch kennt kein Gender) zum Leiter, verantwortlich für die anderen fünf. Jeder Gruppenleiter war darüber hinaus für ein Fach verantwortlich. Sie unterrichtete zunächst immer die Gruppenleiter. Für die Eltern die erstklassige Arbeitsverweigerung einer alten Dame, die keine Lust mehr hatte. Auch mit der Endverwendung der Farben waren sie unglücklich. Wir mussten aus den Leisten Staffeleien und Rahmen bauen, den Stoff darauf spannen und mit den Farbresten Bilder malen.

Die Bewertung der Eltern über geeignete Lernmethoden im Hinterkopf, mischte ich als Assistent an der Uni in einer Gruppe mit, die nicht nur das Osmanische Reich, sondern auch das Deutsche endgültig in die Geschichtsbücher schicken wollte.

Unser Guru war Helmar Frank, der Gründer des Instituts für Kybernetik an der Pädagogischen Hochschule Berlin. Er hatte den Berliner Senat davon überzeugt, dass Lehrer „schlecht“ sind, weil nur 20 % der Schüler 20 % des vermittelten Wissens aufnehmen. Unsere Maschinen würden 90 % mit 90 % des Stoffes versorgen. So sie existierten.

Ab 1961 saß Frank in seiner Arbeitsgruppe für lernende Automaten in der TH Karlsruhe. Seine Vorstellung: 1974 sollten Lernautomaten etwa 90 % des Unterrichts an Berliner Schulen erteilen.

Lernende Automaten? Das sind zum Beispiel Autos von Uber, die eine Radlerin für ein Plakat halten und überfahren. Nicht im Jahr 1974, sondern 2018. Sie lernen aber.

Wie haben sich unsere damaligen Automaten entwickelt? Gar nicht wäre geprahlt. Sie haben uns gezeigt, wie wichtig ein Lehrer aus Fleisch und Blut ist. Die Automaten selbst haben sich eher nach rückwärts bewegt. So gibt es Lehrgänge, an deren Ende man weniger weiß als vorher.

Was ist aber mit der Behauptung, nur 20 % der Schüler würden 20 % des Stoffs erlernen? Stimmt immer noch. Ergo? Die Mischung heißt „blended“. Man mischt Mensch und Maschine als Lehrer nach Bedarf. Denn die Automaten hatten und haben ihre Stärke darin, tatsächlich mehr Inhalt beim Training einzutrichtern. Lehrer sind Mitarbeiter von Bildungsstätten, die Menschen erziehen (sollen). Wenn sie eher Wissen eintrichtern, heißen sie immer noch Lehrer, sind aber keine Erzieher.

Nicht so an der „Un“-Universität. Die existiert zwar nicht auf Wolke 7 des Apostel Paulus, sondern auf der von Jeff Bezos’. Seine Amazon verkauft nicht mehr nur Bücher, sondern auch Cloud Space für Unis. Manche davon bestehen nur im Internet. Digitales Lernen dominiert die Schlagzeilen … und Präsenzlernen die Realität. Humanoide Roboter für die Lehre erobern Schlagzeilen und Messen.

Haben die Nachfolger unserer Lernautomaten (CBT = computer based training, e-Learning) die Krise überwunden? Ganz sicher nicht. Wären die Lernautomaten allein an der damals gebauten Umwelt gescheitert – der Berliner Senat ließ 15 Oberstufenzentren ohne Tageslicht bauen, von denen alle vor Bezug entkernt werden mussten –, krankt das digitale Lernen etwa im Büro am „Space“, das heißt, an geeigneten Räumlichkeiten, deren Umfang und Qualität der Bedeutung des Lernens entspricht.

Und da wäre noch eine menschliche Schwäche, die man aus einem Spruch ableiten kann. Der lautet „Die einzige Voraussetzung, sich an einer „Un“-Uni zu beteiligen, ist Interesse und Engagement.“ Dass die meisten eher an einer Schule aus dem 19. Jahrhundert besser lernen würden, kann man verstehen, wenn man sich eine CD von einem Konzert kauft, anstatt dieses selbst zu besuchen. Wie viele schaffen es, die CD vollkommen ungestört zu Ende zu hören, was im Konzertsaal erzwungenermaßen erfolgt? Mal schwindet das Interesse, mal leidet das Engagement, wenn draußen die Sonne scheint.

Übrigens: Die Klasse unserer Lehrerin absolvierte zu mehr als der Hälfte ein Studium. Damals hatte die Türkei weniger als 1 % Akademiker und mehr als 50 % Analphabeten. Beim Lernen kann Vorgestern sehr zukunftsweisend sein.

Office 4.0.


Kolumnist Ahmet Çakir

ist Inhaber und wissenschaftlicher Leiter des Ergonomic Instituts für Arbeits- und Sozialforschung in Berlin und Gutachter.

Zum Ergonomic Institut für Arbeits- und Sozialforschung

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