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Dreidimensionale Fallstudie: Los Angeles Teil I

Letter from Los Angeles
Dreidimensionale Fallstudie: Los Angeles Teil I

So fühlt es sich an in der Stadt der Engel. Blaue Vorstadthimmel, weiße Strände, Surfer auf den Wellenkämmen des Pazifik — und dazwischen die Stadt, die weltweit über Populärkultur und Zukunftstrends entscheidet. Für Architekten und Designer eine dreidimensionale Fallstudie: Los Angeles steht für die enorme Komplexität großer Innovationen und deren Kraft sie global durchzusetzen.

Wir nennen die Stadt, die weltweit als “very cool place” gilt, lässig “El Lay”. Mit rund 14 Millionen Einwohnern ist sie die zweitgrößte Metropole der USA — eine schier endlose Agglomeration unabhängiger Städte und Gemeinden, deren Stadtgrenzen häufig nur an einer Autowaschanlage, einem Starbucks Coffeeshop oder anderer “zweitklassiger” Orientierungspunkte zu erkennen sind.
Das Wetter ist annähernd perfekt.

Zwölf Monate im Jahr blauer Himmel und jede Menge Sonne. Das motiviert und stimuliert. Schwüle? Nie gehört! Die Kehrseite der geringen Luftfeuchte ist allerdings, dass das trockene Hinterland wie der Teufel brennt und deshalb ab und zu die Hölle los ist. Es regnet kaum in Südkalifornien. Aber wenn es regnet, dann in Strömen und die Reporter berichten live über jeden Zoll hoch Regen, der auf den Pacific Coast Highway niedergeht. Wasser fehlt so dringend, dass jeder Regentag als Geschenk Gottes betrachtet wird.

Zustrom an Menschen und Ideen

In der Stadt finden pro Jahr rund 450 Tagungen statt. Der Zustrom an Menschen und Ideen ist enorm. Von Rotary International bis Dwell On Design, von der Erotica L.A. bis zur Home Improvement Show ein Mix für fast alles, was das Herz begehrt. Das Spektrum reicht von weich bis hart, ein veritabler Spiegel der Gesellschaft. In diese Vielfalt passt auch das neue Polizeipräsidium LAPD (Los Angeles Police Department) von Paul Danna und Jose Palacios (AECOM). Das Gebäude gilt als gelungen, weil es zwei scheinbare Gegensätze miteinander verbindet: Bürgernähe zu verkörpern und zugleich vor potenziellen Anschlägen zu schützen.

Dank Unterhaltungsindustrie und den entsprechenden internationalen Media-Outlets scheint die Welt alles Wissenswerte über L.A. zu wissen. Das Gute, das Schlechte und das Hässliche. Hier sind Marilyn Monroe und Michael Jackson unter Umständen gestorben, die lang und breit öffentlich diskutiert wurden. Hier hat Musikproduzent Phil Spector, der jetzt wegen Mordes im Gefängnis sitzt, seine legendäre Wall of Sound gemixt: eine wahrhaft wagnerische Annäherung an den Rock and Roll. Roman Polanski, der dieser Stadt mit seinem Film Chinatown ein Denkmal gesetzt hat, war nicht einmal in der fernen Schweiz vor dem Zugriff des Staatsanwalts aus L.A. sicher.

Was das alles mit der Designszene zu tun hat? Multipliziert man die erwähnten Begebenheiten um ein Tausendfaches, steht am Ende eine ganz spezifische L.A.-Atmosphäre von bemerkenswerter Offenheit, unübersehbarer Widersprüchlichkeit, kreativer Toleranz, tragischer Dramatik, überirdischer Schönheit, menschlichen Enttäuschungen, allgegenwärtigem Sonnenschein, Feuer & Überschwemmungen & Krawallen, vorstädtischen Hässlichkeiten — und einer unglaublichen Bedachtsamkeit. Das alles macht Los Angeles zu d e r Trend setzenden Welthauptstadt. Ihr Geheimnis ist das Umfeld, was sie schafft und diese Synthese aus einer eher praktischen als theoretischen Herangehensweise. Los Angeles, so cool!

Kreativer Kreislauf heißt Hollywood

Hier muss man offen sein für neue Ideen und diese umsetzen können. Für Drehbuchautoren, Regisseure und Programmdirektoren ist das das tägliche Brot: Sie übersetzen den unerschöpflichen Strom der nicht selten von aberwitzigen Geschichten aus dem echten Leben gespeisten Stories und speisen ihn ein in die Kanäle der Film- und TV-Studios. Dieser kreative Kreislauf heißt Hollywood und beeinflusst die Neuem gegenüber Aufgeschlossenen im ganzen Land. Schließlich sind die Kalifornier nicht einmal davor zurückgeschreckt, einen österreichischen Schauspieler mit unaussprechlichem Namen und ohne politische Erfahrung, aber dem Ruf eines Terminators, zum Gouverneur des Staates Kalifornien zu wählen: Arnold Schwarzenegger. Das sollten Sie mal woanders probieren!

Walt Disney Concert Hall Symbol für L.A.

Dieses Umfeld also liefert eine fruchtbare Basis für kreative Köpfe wie den in Kanada geborenen Frank Gehry, der seit 1947 in Los Angeles lebt und arbeitet. Seine Privatresidenz hier in der Stadt machte ihn mit einem Schlag als Architekt bekannt, heute werden seine Gebäude auf er ganzen Welt bewundert: das Guggenheim-Museum in Bilbao, das Tanzende Haus in Prag, der Gehry-Tower in Hannover und last but not least die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles; besonders an Wochenenden eine beliebte Kulisse für Film- und Werbedrehs oder Foto-Shootings. Der spektakuläre Entwurf ist eine Hommage an Walt Disneys Engagement für die Kunst und die Stadt, in der er mit seinen neuartigen Trickfilmtechniken und Themenparkkonzepten Erfolge feierte.

Auch das Original-Disneyland ist nur einige Meilen von Downtown entfernt. Die Walt Disney Concert Hall ist das beste Symbol für den L.A.-typischen Kreativ-Kreislauf. Inspiriert von Disney, erschaffen von Gehry, und aufgemischt von einem 28-jährigen Venezolaner, der uns als frisch ernannter Musikdirektor des Los Angeles Philharmonic Beethovens Fünfte um die Ohren haut: Gustavo Dudamel.

Richard Neutras Moderne in Südkalifornien

L.A. verweist auf eine eindrucksvolle Reihe innovativer Architekten. Die wichtigsten Bauten von Rudolph Schindler aus der Zeit Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden in oder in der Nähe von Los Angeles. Richard Neutras Moderne hat in ganz Südkalifornien Spuren hinterlassen. Die Elrod-Residenz von John Lautner wurde 1971 im James-Bond “Diamantenfieber” als wirkungsvolle Kulisse genutzt.

Und ein weiterer Pionier aus Los Angeles, der Architekturfotograf Julius Shulman, hat auf brillante Weise das Case Study House No. 22 von Pierre Koenig dokumentiert. Shulman ist 2009 im Alter von 98 Jahren gestorben, aber die 2008 entstandene Dokumentation von Visual Acoustics (Regie: Eric Bricker, Sprecher: Dustin Hoffman) vermittelt uns einen tiefen Einblick in seine Kunst der Fotografie und seine Interpretation der modernen Architektur.

Architektur mit Blick über die Bucht von Los Angeles

Das Meer übt und übte immer große Anziehungskraft aus: Mit Blick über den Pazifischen Ozean bauten Ray und Charles Eames in den späten 1940er Jahren ihr wegweisendes Case Study House No. 8. Dort lebten und arbeiteten sie bis zu ihrem Tod. Einen Blick über die gesamte Bucht von L.A. bietet auch das Getty Center. Der Entwurf stammt von Richard Meier, der hier Amerikas moderne Version der Akropolis verwirklichte. “Ich glaube, dass die Architektur die Kraft besitzt zu inspirieren, den Geist zu erbauen sowie Seele und Körper zu speisen. Für mich ist sie die öffentlichste aller Künste”, sagte Meier in seiner Ansprache, als er für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

Ein Statement, das auch von Ron Rezek stammen könnte, der zu den führenden amerikanischen Lichtdesignern gehört. Er hat zwar seine in L.A. ansässige Firma 2004 an Artemide verkauft, gestaltet aber immer noch Produkte für die italienische Licht-Ikone, die deutlich seine klare Handschrift aufweisen. Darüber hinaus hat er The Modern Fan Company gegründet, die als einziger Hersteller in den Staaten ausschließlich zeitgemäße Deckenventilatoren entwirft und verkauft. Mit Sicherheit ist Ron ein exzellentes Beispiel für einen erfolgreichen Designer-Unternehmer. Unternehmergeist ist in Südkalifornien tief verwurzelt. Kombiniert mit dem einem lässigen Lebensstil, verhilft er dem Design neuer Produkte zu einem ganz anderen Kontext.

BMW und DesignWorksUSA

Aus diesem Grund hat die BMW Group 1995 eine kleine, aber klassische West Coast-Designberatungsfirma erworben, die von Design-Altmeister Chuck Pelly 1972 gegründet worden war. Die Verbindung der beiden Unternehmen begann 1986, als BWM an Designworks herantrat und einen Sitz für die BMW 8er-Baureihe haben wollte. Heute beschäftigt DesignworksUSA im California Design Studio 150 Mitarbeiter und betreibt Niederlassungen in München und Singapur. In den letzten fünf Jahren wurde DesignworksUSA von Verena Kloos geleitet; ihr folgt 2010 Lorenz Schaffer. Der Fokus des Unternehmens liegt auf Designstrategie, Entwicklung von Premiumdesign und Markenkommunikation.

Und weil das Schnellstraßensystem von L.A. wie geschaffen ist für einen Hersteller von SUV-Geländewagen, war Kalifornien auch der perfekte Ort für die Gestalter des BMW X5. Die eigentliche Überraschung aber in puncto Design ist der aktuelle BMW Z4. Obwohl die Barbie-Puppe ja auch ursprünglich in L.A. auf die Welt kam, ist dieser speziell von Frauen konzipierte Roadster alles andere als ein “Barbie-Auto”.

Um sich dem Thema zu nähern, bildete man ein weibliches Team aus Exterior-Designerin Juliane Blasi (31) und Nadya Arnaout (36), die ein Cockpit für einen internen Wettbewerb entwarf. Dem BMW-Vorstand wurden verschiedene Entwürfe vorgelegt, von denen die der beiden Frauen von DesignWorksUSA schlussendlich tatsächlich in Produktion gingen. Das Designbüro entwirft darüber hinaus Lifestyle-Produkte für die Marken BMW, MINI und Rolls-Royce der BWM Group. Wenn Sie also auf ein BMW-Mountainbike steigen oder auf Ihre MINI-Uhr schauen, haben Sie es höchstwahrscheinlich mit Design aus Südkalifornien zu tun.

Designer sind nun mal von Natur aus neugierig. L.A. fördert mit seiner Atmosphäre diese Neugier so sehr, dass Skurriles und abwegig Scheinendes selbstverständlich neben Hochinteressantem steht. DesignworksUSA arbeitet in disziplinübergreifenden Teams, die gemeinsam Ideen entwickeln und ihre strategische Forschung bündeln. So entstand ein Full-Service-Designstudio mit einem eindrucksvollen Portfolio auch außerhalb der Kfz-Branche.

Zu den Kunden zählen Adidas, Airbus, Deutsche Bahn, Saeco, Hewlett-Packard, John Deere, Mary Kay, Microsoft, Samsung, Siemens, Singapore Airlines und Villeroy & Boch. Die Bandbreite der Produkte reicht von Mobiltelefonen für Nokia bis zu Flugzeuginterieurs für Embraer; das heißt, wir haben es mit einem globalen Designbüro zu tun, das über eine leistungsstarke Infrastruktur verfügt.

Mercedes-Benz hat einen anderen Weg gewählt. Das Unternehmen hat 1990 sein erstes Advanced Design Studio in Südkalifornien eröffnet. Nach dem Scheitern der DaimlerChrysler-Ehe hauchte Mercedes-Benz dem ehemaligen Chrysler Pacifica Design Center durch den Kauf eines rund 3.160 m² großen Geländes in Carlsbad in der Nähe des Legolands neues Leben ein. Die 25 Mitarbeiter haben dort genügend Platz für Modelle im Maßstab 1:1.

Neben den anderen Designstudios in Como, Tokio und Sindelfingen gilt das kalifornische als kreativer Seismograph: Hier sollen sich die Designer inspirieren lassen von Kunst, Architektur, Kultur und Lifestyle. Los Angeles verfügt über ein unglaubliches Design-Portfolio. Bleiben Sie dran.

Autor Ingo Werk

Den Letter from L.A. Teil II finden Sie hier

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