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Ein Portrait: Christoph Thun-Hohenstein, Generaldirektor und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wiener MAK. md-mag.com

Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst, MAK, Wien
Christoph Thun-Hohenstein

Welche Bedeutung hat das Handwerk in der Digitalmoderne? Wie kommen CAD, Kultur und Kleinserien zusammen? Bestens, ist Christoph Thun-Hohenstein, Generaldirektor und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wiener MAK, überzeugt.

Autor Oliver Herwig

Im Hof des MAK, des Wiener Museums für angewandte Kunst, parkt ein schwarzer Lieferwagen. Darauf, in weißen Lettern, der Satz: „Was verbindet Design und Alltag?“ Eine provozierend gute Frage, die Generaldirektor Christoph Thun-Hohenstein sofort größer zieht: Wie kann Design der Hauptmotor für ein europäisches Modell der digitalen Moderne sein, fragt der Kunstmanager und Jurist. Denn „Roboter sind nur das sichtbarste Zeichen eines Totalumbruchs unserer Gesellschaft, der noch deutlich zu wenig reflektiert wird und mit dem Drama des Klimawandels zusammenfällt, das wir immer noch nicht genügend erns tnehmen.“ Das ist eine Perspektive, die etwas vom Denken des Generaldirektors vermittelt: groß wie das Büro, in dem die Besprechung stattfindet, ein Saal im piano nobile des Museums, der Platz böte für eine abendliche Gesellschaft.
Vom Vorzimmer geht es scharf rechts durch Flügeltüren, dann verändert sich der Schritt. Er geht in ein gemessenes Schreiten über, denn der Schreibtisch des Generaldirektors steht am anderen Ende des Saals.
Auf halber Höhe eine Tafel mit einem Dutzend Plätzen. Hier nehmen wir Platz. Sofort wird deutlich, dass der 1960 geborene Kärntner nicht etwa nur schöne Dinge verwalten und hochkarätige Ausstellungen anschieben will, sondern ein Ziel hat, vielleicht sogar eine Vision.
Christoph Thun-Hohenstein sieht Design in der Pflicht. „Wenn wir eine inklusive Qualitätsgesellschaft anstreben wollen, müssen wir wegkommen vom Massenkonsum. Nachhaltige Qualität muss für weite Teile der Gesellschaft erschwinglich werden. Das hat mit Luxus nichts zu tun.“
Digital – das neue Handwerk
Womit dann? Nun, eher mit ganz basalen Dingen. Mit einer nachhaltigen Lebensführung zum Beispiel. Das klingt erfrischend: „Die digitale und inklusive Qualitätsgesellschaft ist eine totale Umkehrung dessen, was Design vor 50 Jahren, im Wirtschaftswunder, gemacht hat und seither immer noch macht“, sagt der Autor des Standardwerks „Europarecht“ und konstatiert: „Ich nenne das die dritte digitale Revolution: ein Schulterschluss von Künsten, inklusive Design, Technologie und Zivilgesellschaft. Nutzen wir doch die Digitalität, um eine Konsumrevolution anzustoßen.“ Sein Credo: „Wir sollten auf eine Qualitätsgesellschaft und damit auf Qualitätswachstum hinarbeiten. Das würde dem Design erlauben, wieder seinem ursprünglichen Charakter gerechtzu- werden – Qualitätsprodukte zu gestalten.
Ist das der Grund, weshalb das Haus in kurzer Folge drei große Ausstellungen zum Handwerk anbietet? Da ist etwa „handWERK. Tradiertes Können in der digitalen Welt“ – und schon das Plakat mit dem im digitalen Nirwana verschwindenden Werkzeug zeigt, wo der Hammer hängt – beim Machen, Tun, Angreifen – und Begreifen. Es ist eine Freude, durch die Ausstellungshalle zu schlendern und Material in die Hand zu nehmen. Besonders eindrücklich gelingt das mit Stoffen, die von der Decke hängen wie Seetang. Berühren ist ausdrücklich erwünscht, und so gleiten die rauen und sanften, weichen und spröden Fasern durch die Finger und vermitteln so ganz selbstverständlich, was Handwerk im 21. Jahrhundert auslösen kann: Freude. Reine Freude. Der Gegensatz von Digitalisierung und Gewerken ist nämlich nur ein scheinbarer. Oder eine gefährliche Vereinfachung, wie Richard Sennett sagt. Sie impliziert nämlich, dass die Traditionen und Modalitäten des Handwerks verloren gingen. „Falsch“, sagt der US-Soziologe, der mit seinem Buch „Handwerk“ vor fast zehn Jahren etwas Vergessenes aus der Versenkung holte. „Wir müssen das Digitale als neue Form des Handwerks sehen.“ Und so sind die versammelten Gewerke nicht nur eine Bestandsaufnahme des bis gestern Gültigen, sondern schlagen auch eine Brücke zu neue Konstellationen.
So zeigt das 1864 als k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie eröffnete MAK also neben der Handwerksausstellung eine Glasausstellung (Das Glas der Architekten. Wien 1900–1937) und auch eine über die Bucheinbände der Wiener Werkstätte. „Wir wollen vermitteln, dass die Qualitätskultur nicht hinter uns liegt. Im Gegenteil: aus unserer Vergangenheit können wir Kraft für die Weiterentwicklung schöpfen“, sagt Christoph Thun-Hohenstein. Die „neue Erzählung“ ist jene digitale und inklusive Qualitätsgesellschaft, die auf Qualitätsprodukte Wert legt, nicht, weil diese wertiger oder schöner wären, sondern, weil sie vergleichsweise nachhaltig hergestellt werden.
Es geht um die Einstellung
Wenn aber die nächste digitale Revolution eine Konsumrevolution sein soll, so Christoph Thun-Hohenstein, müsse Digitalität ein Werkzeug werden der Transparenz. Zum Beispiel durch Apps, die den Gemeinwohlfaktor unternehmerischen Handelns messen. Thun-Hohenstein geht es um Unternehmen, die der Kreislaufwirtschaft verpflichtet und womöglich philanthropisch orientiert sind und die ihre Gewinne ordnungsgemäß versteuern. Gemeinwohl schlägt Massenkonsum. „Handwerk ist als Strategie für die Gesellschaft wichtig, weil es nicht nur Luxusprodukte herstellt, sondern Produkte, die man sich leisten kann, wenn man nicht die fünffache Menge an Wegwerfartikeln kauft.“, erläutert Christoph Thun-Hohenstein. „Es gibt definitiv noch einen Konsumrausch, das möchte ich gar nicht verurteilen, aber man muss nicht zehn T-Shirts einer globalen Kette kaufen, die oftmals gar nicht getragen werden.“ Eine aktuelle Greenpeace-Studie zeigt, wie weit wir davon noch entfernt sind. Die Umweltschützer listen darin auf, dass der Durchschnittsbürger von heute rund 60 Kleidungsstücke im Jahr kauft. Aber sie nur noch halb so lange trägt wie vor 15 Jahren. Das ist die Messlatte, mit der sich nicht nur Designer auseinandersetzen müssen: Der mündige Nutzer ist kaum zu erkennen in der Masse der Konsumenten, der Verbraucher. Wenn also Thun-Hohenstein über den Wert des Handwerks philosophiert, hat das gesellschaftliche Implikationen. Design hat plötzlich auch damit zu tun, regional zu kaufen, mit einem Blick auf Qualität. Es geht um Einstellungen, nicht die Größe des Geldbeutels.
Das Haus ist also so etwas wie ein riesiges Labor für Ideen, die dann in die Welt getragen werden, durch Ausstellungen, digitale Medien, Gespräche und Podiumsrunden. 2016 zeigte das MAK insgesamt 28 Ausstellungen, davon 18 im Haupthaus, je eine im Geymüllerschlössel (18. Bezirk) und im Josef Hoffmann Museum, Brtnice, sowie acht im MAK Center, Los Angeles. Insgesamt 182 049 Besucher kamen, und damit rund 13 Prozent mehr als im Vorjahr 2015. Der Hauptanteil entfiel auf das MAK-Hauptgebäude mit 170 288 Besuchern, auch hier ein Plus von 14 Prozent. Rund eine halbe Million Eintrittsgelder erwirtschaftete das Haus, viermal so viel brachte die Vermarktung durch Shop, andere Profitcenter, Sponsoring und Spenden. Seit über fünf Jahren leitet der hochgewachsene ehemalige Spitzendiplomat das Museum für angewandte Kunst. Zuvor hatte der promovierte Kunsthistoriker und Europarechtsexperte im Auswärtigen Amt gearbeitet, darunter in den Auslandsvertretungen Abidjan und Bonn, bei den Vereinten Nationen in Genf und leitete von 1999 bis 2007 das Österreichische Kulturforum in New York (ACFNY). Anschließend wurde er Geschäftsführer der Kreativ-Förderagentur „departure“, dem Kreativzentrum der Wirtschaftsagentur Wien.
Als der Posten des Generaldirektors am MAK ausgeschrieben wurde, bekundete Christoph Thun-Hohenstein Interesse, allerdings informell. Die damalige Kultusministerin Claudia Schmied war dennoch überzeugt: „Gezielt wird er die besonderen Stärken der Sammlungen des MAK aus heutiger Sicht geschärft präsentieren und neue Vermittlungsqualitäten auf die museumseigenen Inhalte anwenden“.
Kunst der Vermittlung
Der bekennende Musikliebhaber setzte im MAK sofort Akzente und baute unter anderem das Designlabor im Untergeschoss von der Studiensammlung zu einem Ort des Dialogs aus, in dem Fragen wie die nach der Beziehung von Design und Alltag völlig unverbraucht und frisch gestellt werden. Videos mit Interviews, interaktive Installationen und unterhaltsame Arbeitsblätter für Kinder zeigen, dass es nicht immer nur das Objekt sein muss, vor dem (fachkundige) Besucher in Ehrfurcht erstarren. Natürlich gibt es auch das noch: Objektpräsentationen, die einfach auf das Ding an sich bauen und auf einen Dialog zwischen Mensch und Objekt setzten, was nicht immer gelingt, wie ein Netz-Kommentar zeigt: Gefallen habe es „leider überhaupt nicht. Also bitte, in einem Raum waren nur Teppiche ausgestellt … wenn das Kunst ist ?!?“
Neudeutsch könnte man antworten, in der unscheinbaren Kammer lägen einige der Assets des Hauses mit seinen 175 Mitarbeitern, eine Sammlung wertvoller orientalischer Teppiche nämlich. Wenn aber das Haus in Zukunft die unsichtbare Seite von Design zeigen will, die Verbindungen, die Warenströme, die Nachhaltigkeitsproblematik und der ökologische Fußabdruck der Waren, ist dann nicht die Präsentation von Objekten obsolet – oder zumindest schwierig?
Christoph Thun-Hohenstein hält an Objekten fest, trotz interaktiver Ausstellungen und anderer Vermittlungsangebote. Die Verborgenes sichtbar machen?
In einem Haus, das eine herausragende Tradition hat, schöne Dinge anzusammeln und zu horten?
Eine Antwort liefert die 2014 durchgeführte, geniale Neuaufstellung der Asien-Sammlung im Erdgeschoss.
Der japanische Künstler Tadashi Kawamata schuf aus Schalbrettern, Glas, Wandfarbe und Mut eine erfrischend andere Schau. Buddhas sitzen in Mauernischen, die tatsächlich in die Wand geschlagen wurden und „rough“ daherkommen, Beschriftungen sind per Hand geschrieben und so unglaublich poetisch, persönlich und frisch. Objekte sind aus Vitrinen befreit, bereit zu einem neuen Dialog.
Wie andererseits über die Grenzen der Bestände hinausblicken? Christoph Thun-Hohenstein zitiert den Philosophen Hartmut Rosa: Die Antwort auf Beschleunigung sei die Entwicklung von Resonanz. Das schließe auch die Resonanz zwischen Menschen und Objekten ein, die „Wertschätzung für schöne, nachhaltig gemachte Dinge und damit den sorgsamen Umgang mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten. Es muss ein Volkssport werden: Wer führt ein gutes Leben mit einem möglichst geringen, ökologischen Fußabdruck?“ Keine Frage: Dieser Mann hat eine Vision. Und er will sie umsetzen.
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