In manchen Teilen der Welt wird die Bevölkerung schrumpfen. Das birgt Chancen. Ein visionäres Projekt aus Japan schafft Raum über De-Konstruktion und Konstruktion: ein Gefüge aus farbigen Oberflächen und einfachem Sperrholz.
Der viel diskutierte demographische Wandel ist kein auf Deutschland beschränktes Phänomen. Selbst Länder wie Japan stehen vor den Herausforderungen einer schrumpfenden und überalternden Population. Laut des japanischen “National Institute of Population and Social Security Research” wird die Bevölkerung in den kommenden 50 Jahren um 30 Prozent zurückgehen. Dass diese Zukunftsvisionen durchaus auch positives Potenzial bergen können, zeigt ein aktuelles Architekturprojekt aus Chiba nahe Tokyo.
In den eng bebauten Wohnvierteln mit einer großen Anzahl Wohnungen auf kleinstem Raum, gibt es mehr und mehr Leerstand. So auch in einem typischen Vorstadthaus, das auf einer Grundfläche von 100 m² acht Wohneinheiten auf zwei Stockwerken beherbergte.
Innerhalb der Konstruktion neue räumliche Verbindungen
Die Hälfte der Wohnungen stand bereits leer. Der Eigentümer wollte deshalb das Haus abreißen und ein neues Einfamilienhaus gleicher Größe errichten. Doch das Budget war knapp und hätte nicht für ein neues Haus gleichen Volumens gereicht. Kazuyasu Kochi, visionärer Architekt und Gründer von Kochi Architect’s Studio, nahm sich des Problems an. Seine Entwürfe zeichnen sich durch unkonventionelle räumliche Lösungen aus, die aber immer auf die speziellen Ansprüche der Klienten und des Orts zugeschnitten sind. Ansatzpunkt bei diesem Apartmenthaus war, die bestehende Gebäudestruktur nicht abzureißen, sondern weiter zu nutzen.
Durch Herausschneiden geometrischer Flächen innerhalb der Konstruktion entstehen neue räumliche Verbindungen. Man fühlt sich an die “Cuttings” von Gordon Matta Clark aus den 1970er-Jahren erinnert, der mit einer Kettensäge durchs Gebäude schnitt und durch De-Konstruktion völlig neue überraschende Bezüge schuf.
Vier-Farben-theorem
Kochi projizierte für seinen Entwurf verschiedene geometrische Flächen in den Raum, die als Negativ interpretiert Freiräume schaffen. Das entstehende Bild oszilliert als räumliche Collage zwischen Zwei- und Dreidimensionalität. Die komplexe Geometrie übersetzten die Architekten in physische Modelle, um den Entwurf für die Bauherrn und die Handwerker vor Ort kommunizierbar zu machen.
Raumgeometrie durch Sperrholzplatten
Das bestehende Haus wurde bis auf die tragenden Holzrahmen rückgebaut und die neue Raumgeometrie durch Sperrholzplatten geschaffen, die zugleich Konstruktion und Sichtoberfläche sind. Das homogene Materialkonzept unterstreicht den skulpturhaften Charakter des Innenraumes. Auch Möbel wie der Küchenblock aus Merantisperrholz mit angeschlossenem Esstisch sind Teil des Materialkonzepts und fest eingebaut.
Lasierungen in kräftigen Farben schaffen visuelle Zusammenhänge, die die Räume übergreifend verbinden. Die Verteilung der Farbgestaltung lehnt sich an den Vier-Farben-Satz an, ein mathematisches Theorem aus der Kartographie, das besagt, dass vier Farben ausreichen, um eine beliebige Landkarte so einzufärben, dass nicht zwei angrenzende Länder die gleiche Farbe bekommen. So wechseln sich in den aktiven Tageszonen pink, blau und gelb ab, während die ruhigeren Schlafbereiche zurückhaltend weiß lasiert oder Zwischenräume schlicht naturfarben belassen sind. Im Ergebnis ergibt sich ein bewohnbares kubistisches Bild,das auch im Alltag immer wieder neue Perspektiven eröffnet. Die neuen Bewohner jedenfalls genießen es, das Familienleben im ganzen Haus zu spüren und so ist in die Konstruktion – die alte Hülle, die einst acht gleichförmige Miniwohneinheiten umschloss, eine neue Dynamik eingekehrt, die die alten Räume nachzeichnet, aber als zeitgemäßes Wohnen komplett neu interpretiert.
Autorin: Christiane Sauer
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